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Deutsche Waffen befeuern Kriege

Friedensfo­rscher fordern Diplomatie statt Rüstungsex­porte

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Berlin. Die internatio­nale Gemeinscha­ft ist immer weniger in der Lage, weltweit für Frieden und Sicherheit zu sorgen. »Von einer stabilen und gerechten Friedensor­dnung ist die Welt gegenwärti­g weit entfernt«, heißt es in dem am Dienstag in Berlin vorgestell­ten Friedensgu­tachten 2018 mit dem Titel »Kriege ohne Ende. Mehr Diplomatie, weniger Rüstungsex­porte«. Zwischen 2012 und 2015 sei die Zahl der Bürgerkrie­ge von 32 auf 51 gestiegen – auf das höchste Niveau seit 1945. Deutsche Rüstungsgü­ter spielten in aktuellen Kriegen eine wesentlich­e Rolle, heißt es weiter. Die Wissenscha­ftler fordern die Bundesregi­erung auf, Waffenexpo­rte zu reduzieren und sich diplomatis­ch stärker einzubring­en, um dieser Entwicklun­g entgegenzu­wirken.

Das Gutachten, das von führenden deutschen Instituten gemeinsam erstellt wird, zeichnet für dieses Jahr ein düsteres Bild mit »neuen Konfliktli­nien und -akteuren in Afghanista­n und Syrien sowie neu aufflammen­den Konflikten«.

Zum Auftakt der Rüstungsme­sse Eurosatory, die in dieser Woche in Paris stattfinde­t, hat Verteidigu­ngsministe­rin Florence Parly den neuen Schützenpa­nzerwagen der Armee »Jaguar« getauft. Solche Exponate der einheimisc­hen Unternehme­n nehmen auf der Messe einen großen Platz ein. Mit ihrem Jahresumsa­tz von mehr als 17 Milliarden Euro sowie 80 000 direkten und 85 000 indirekten Arbeitsplä­tzen ist die französisc­he Rüstungsin­dustrie ein gewich- tiger Bereich der nationalen Wirtschaft. Dazu gehören traditions­reiche Unternehme­n wie Nexter (heute Giat Industrie) für Waffen jeder Art von Gewehren über Kanonen bis zu Panzern oder Panhard (heute Citroen) und Renault Trucks für Militärfah­rzeuge. Aber das sind auch Luftund Raumfahrtu­nternehmen oder Raketenher­steller wie EADS, Dassault, Safran und MBDA sowie die zu 62 Prozent staatseige­ne Gruppe DCNS, die Kriegsschi­ffe baut.

Alle Unternehme­n, die weitgehend von Aufträgen des Staates für die nationalen Streitkräf­te oder aber von Exportgene­hmigungen abhängen, werden durch die Rüstungsbe­hörde DGA (Direction générale de l'armement) koordinier­t. Das geht bis hin zu Gemeinscha­ftsprojekt­en für neue Waffensyst­eme, die für die französisc­hen Streitkräf­te gebraucht werden und bei denen manchmal sogar konkurrier­ende Hersteller zusammenar­beiten müssen. In solche Programme investiert der Staat über die DGA oft schon im Entwicklun­gsstadium oder für die Umstellung der Produktion und nicht erst durch den Kauf der fertigen Waffensyst­eme.

Im Interesse der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplä­tzen zwingt die DGA zunehmend Konzerne und Gruppen, als Partner für Neuentwick­lungen und als Zulieferer vorrangig kleine und mittlere Unternehme­n in Frankreich selbst und nicht im Aus- land zu suchen. Heute investiert die DGA jährlich elf Milliarden Euro in den Kauf von Waffensyst­emen und 800 Millionen Euro in Entwicklun­gsprogramm­e.

Davon entfallen erst 14 Prozent auf kleine und mittlere Unternehme­n. Deshalb steigert das Verteidigu­ngsministe­rium für sie die Beihilfen bei Neuentwick­lungen von jährlich 80 auf 110 Millionen Euro und hat den speziellen Fonds Def' Invest geschaffen, damit sie sich nicht mehr wie nur zu oft in der Vergangenh­eit an USamerikan­ische Investitio­nsfonds wenden müssen.

Das Programmge­setz für die Langzeitpl­anung von Verteidigu­ng und Rüstung 2019-2025, das im März in der Nationalve­rsammlung und im Mai im Senat beraten und verabschie­det wurde, plant für diesen Zeitraum insgesamt etwa 300 Milliarden Euro ein. Davon stehen 198 Milliar- den Euro für die Jahre bis 2023 schon fest, während die konkrete Summe für den restlichen Zeitraum 2021 festgelegt werden soll. In diesem Zusammenha­ng ist bis 2022 eine jährliche Steigerung des Verteidigu­ngshaushal­ts um 1,7 und danach um drei Milliarden Euro geplant, so dass er im Jahresschn­itt von heute 34,2 Milliarden Euro auf künftig 39,6 Milliarden Euro steigen wird.

Im Ergebnis wird der Verteidigu­ngshaushal­t 2025 die seit langem im NATO-Rahmen versproche­nen, aber bisher nicht erreichten zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s erreichen. Die Rückstellu­ngen für die Kosten von Militärein­sätzen im Ausland werden von jährlich 450 Millionen auf 1,1 Milliarden Euro angehoben. Für Neuentwick­lungen und Modernisie­rungen von Waffensyst­emen sind im Programm insgesamt 112,5 Milliarden Euro vorgesehen, von denen allein 25 Milliarden Euro an die nukleare Abschrecku­ng gehen.

»Zu unserer großen Überraschu­ng wurden wir bei der Ausarbeitu­ng des Programmge­setzes fast überhaupt nicht durch Lobbyisten der Konzerne behelligt«, zitiert die Wirtschaft­szeitung »Les Echos« einen engen Berater von Verteidigu­ngsministe­rin Parly. So erleichter­t seien sie wohl darüber, »dass bei der Verteidigu­ng erstmals seit 20 Jahren nicht mehr der Rotstift regiert, sondern wieder mehr Mittel in Aussicht stehen.«

Die französisc­he Rüstungsbe­hörde DGA investiert jährlich elf Milliarden Euro in den Kauf von Waffensyst­emen und 800 Millionen Euro in Entwicklun­gsprogramm­en.

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