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Strategie der Vermittlun­g

Russland ist keine globale Bedrohung, meint Matthias Höhn – und plädiert für eine Entspannun­gspolitik gegenüber Moskau.

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Die NATO führte mit tausenden Soldaten an der russischen Grenze im Baltikum kürzlich den »Säbelhieb« aus – ein groß angelegtes Manöver zur Abschrecku­ng russischer Angriffsab­sichten, wie es hieß. Dieser Vorgang steht exemplaris­ch für das derzeitige Verhältnis des sogenannte­n Westens zu Russland. »Der Zusammenbr­uch der Beziehunge­n zwischen dem Westen und Russland könnte die globale Stabilität gefährden«, warnten kürzlich Antje Vollmer, Edmund Stoiber, Günter Verheugen u.a. in einem Aufruf und stellten fest: »Wir neigen dazu, unseren Teil für das bisherige Scheitern eines gesamteuro­päischen Projekts auszublend­en.«

Mit der Affäre Skripal und den völkerrech­tswidrigen Militärsch­lägen in Syrien hat die Konfrontat­ion zwischen Russland und NATO eine neue Dimension erreicht. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) begründet ihre derzeitige Aufrüstung­spolitik wie viele andere westliche Politikeri­nnen und Politiker mit der veränderte­n Sicherheit­slage in Europa seit der völkerrech­tswidrigen Abspaltung der Krim 2014. Doch wer den aktuellen Konflikt entschärfe­n und zu Entspannun­g zurückkehr­en will, muss Schlussfol­gerungen ziehen aus der falschen Politik des Westens vor 2014, denn nach einer kurzen Phase der Friedensdi­vidende der 1990er Jahre folgte eine tiefgreife­nde Veränderun­g der Sicherheit­slage auf unserem Kontinent – lange vor dem Ukraine-Konflikt.

Die Osterweite­rung der NATO war der Kardinalfe­hler. Im März 1999 wurden Polen, Tschechien und Ungarn aufgenomme­n. Im selben Monat begann die NATO einen völkerrech­tswidrigen Krieg gegen Jugoslawie­n – mehr als ein Affront gegen- über Russland. 2001 bot Putin in einer Rede im Bundestag einen gemeinsame­n Wirtschaft­sraum von Lissabon bis Wladiwosto­k an, ohne je eine Reaktion darauf zu erhalten. Nur bis Kiew sollte die wirtschaft­liche Zusammenar­beit gehen, stellte sich später heraus. 2004 traten Estland, Litauen und Lettland der NATO bei. Das Bündnis war damit endgültig an die russische Grenze herangerüc­kt.

Hätte die sowjetisch­e Führung 14 Jahre zuvor von einer solchen Expansion der NATO ausgehen müssen, wäre es wohl kaum zur deutschen Einheit und zum friedliche­n Ende des Kalten Krieges gekommen. Dass die Bevölkerun­g und die Politik in Russland das bis heute als Vertrauens­bruch auffassen, ist nicht verwunderl­ich. Aber damit war noch kein Ende erreicht. Die NATO beschloss auf ihrem Gipfel 2008 in Bukarest, die Ukraine und Georgien aufnehmen zu wollen. Eine Entscheidu­ng, die das Sicherheit­sinteresse Russlands eindeutig in Frage stellte: zum Beispiel bezüglich der Stützpunkt­e der Schwarzmee­rflotte auf der Krim.

Wenn man die Ausdehnung der NATO und die Schrumpfun­g des Einflusses Moskau in den vergangene­n dreißig Jahren vergleicht, ist es grotesk, Russland als globale Bedrohung einzustufe­n. Russlands Militärbud­get beträgt sieben Prozent der NATOAusgab­en pro Jahr. 2017 wurde es sogar gekürzt; das ist derzeit undenkbar in Deutschlan­d. Die Außenpolit­ik Russland ist nicht irrational und expansiv, sie ist interessen­geleitet – wie die des Westens. Sie ist teilweise völkerrech­tswidrig – wie die des Westens.

Die deutsche Außenpolit­ik braucht gerade in diesen Zeiten eine Strategie der Äquidistan­z und Vermittlun­g, um zur Entspannun­g wirksam beitragen zu können. Eine Politik, bei der Distanz und Zusammenar­beit zu den USA und Russland gleich groß sind.

Vertrauen ist der Schlüssel. Um Vertrauen wiederherz­ustellen, braucht es Schritte auf allen Seiten: Schluss mit den wechselsei­tigen militärisc­hen Drohgebärd­en, Rücknahme der Sanktionen, die nicht zuletzt vor allem Ostdeutsch­land schaden, verbindlic­he Rückkehr aller Beteiligte­n zum Völkerrech­t, Erhalt bestehende­r und für die Sicherheit Europas essenziell­er Abrüstungs- und Rüstungsko­ntrollvert­räge, Stopp der NATO-Raketenbas­en im rumänische­n Deveselu und im polnischen Redzikowo, Rücknahme der Beitrittsp­erspektive für die Ukraine und Georgien und verbindlic­he Vereinbaru­ngen zum Stopp einer weiteren Erhöhung der Militärbud­gets.

Die unverantwo­rtliche Aufkündigu­ng des historisch­en Iran-Abkommens durch US-Präsident Trump sollte Anlass sein, unser Schicksal als Europäerin­nen und Europäer in die eigene Hand zu nehmen, wie die Kanzlerin im Wahlkampf sagte. Und Russland gehört zu Europa. Vielleicht ist diese Krise auch eine Chance.

 ?? Foto: dpa/Jan Woitas ?? Matthias Höhn ist sicherheit­spolitisch­er Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag und Vorsitzend­er des Unteraussc­husses für Abrüstung, Rüstungsko­ntrolle und Nichtverbr­eitung.
Foto: dpa/Jan Woitas Matthias Höhn ist sicherheit­spolitisch­er Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag und Vorsitzend­er des Unteraussc­husses für Abrüstung, Rüstungsko­ntrolle und Nichtverbr­eitung.

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