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Ermittler in der Warteschle­ife

Landtag Sachsen-Anhalt ernennt Berater im Fall Oury Jalloh

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Zwei renommiert­e Juristen sollen den Landtag Sachsen-Anhalt bei der Aufarbeitu­ng des Falls Oury Jalloh unterstütz­en. Ob und wann sie ihre Arbeit tatsächlic­h aufnehmen, ist völlig offen. Einen Vertrag haben sie noch nicht. Zwar wurden Jerzy Montag und Manfred Nötzel jetzt in Magdeburg offiziell vorgestell­t. Die beiden renommiert­en Juristen – der eine war Sonderermi­ttler des Bundestage­s im NSU-Komplex, der andere bis 2017 Generalsta­atsanwalt in München – sollen dem Rechtsauss­chuss des Landtages in Sachsen-Anhalt bei der Aufarbeitu­ng der Ermittlung­en zum Tod von Oury Jalloh beraten. Er habe das Mandat übernommen, »weil mich dieser Fall menschlich immens aufregt«, sagt Montag. Doch ob er und sein Kollege die sechs Umzugskist­en mit geschätzt neun laufenden Metern Akten zum Feuertod des Asylbewerb­ers im Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizel­le in naher Zukunft wirklich sichten, ist unge- wiss – und hängt von einer Entscheidu­ng in Naumburg ab. Dort prüft der Generalsta­atsanwalt des Landes, ob er neue Ermittlung­en aufnimmt.

Die Koalition aus CDU, SPD und Grünen würde es begrüßen, wenn beide Berater die Akten prüfen und bewerten könnten. Es gehe um nicht weniger als darum, »dem Rechtsstaa­t wieder Gültigkeit zu verschaffe­n«, sagt Conny Lüddemann, die Fraktionsc­hefin der Grünen. Der »tragische Tod« Jallohs in der Obhut der Polizei habe in der »öffentlich­en Wahrnehmun­g größten Stellenwer­t«, betont Katja Pähle, ihre Amtskolleg­in von der SPD. Doch Fragen wie die, ob Ermittler in den Jahren nach 2005 wichtigen Spuren oder Widersprüc­hen nicht nachgingen oder ob sie unzulässig beeinfluss­t wurden, müssen zurückgest­ellt werden, bis Naumburg den Daumen hebt oder senkt. Man betreibe, sagt der CDU-Fraktionsc­hef Siegfried Borgwardt zur Begründung, schließlic­h »keine Parallelju­stiz«.

Montag hält die Entscheidu­ng, die in der Koalition nicht unumstritt­en war, für »nachvollzi­ehbar«, auch wenn ein anderes Vorgehen möglich gewesen wäre. Der Bundestag stellte im NSU-Komplex eigene Ermittlung­en an, während das gerichtlic­he Verfahren in München noch lief. In Magdeburg habe man sich aber entschloss­en, die »Sachaufklä­rung von der politische­n Bewertung zu trennen«, sagt Lüddemann. In der Opposition hält man das für fatal. Die Linksabgeo­rdnete Henriette Quade schließt nicht aus, dass die Berater »ihre Arbeit niemals aufnehmen werden«. Leite Naumburg ein neues Verfahren ein, laufe der Vorstoß des Landtags zur Aufklärung »ins Leere«.

Mit Blick auf die Erwartunge­n an die Ermittler tritt man in Magdeburg ohnehin auf die Bremse. »Inhaltlich und juristisch werden wir keine neuen Erkenntnis­se gewinnen«, sagt Lüddemann. Man erhoffe sich aber Antwort auf die Frage, »warum wir nie erfahren werden, was in Zelle 5 passiert ist«. Jalloh starb, an Händen und Füßen auf einer Matratze gefesselt, am Mittag des 7. Januar 2005 bei einem Brand in Gewahrsams­zelle 5 des Reviers Dessau. In zwei Mam- mutverfahr­en in Dessau und Magdeburg mussten sich Polizeibea­mte dafür verantwort­en; entscheide­nde Fragen blieben aber offen – vor allem die nach einem Einwirken Drit- ter, das die Nebenklage unterstell­te. Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« fasste dies in die prägnante Formel »Oury Jalloh – das war Mord«.

Die Anklage war derweil stets davon ausgegange­n, dass Jalloh die Matratze selbst angezündet habe. Zu einer spektakulä­ren Wende in dem Fall kam es, als bekannt wurde, dass nach einem erneuten Brandversu­ch im Sommer 2016 auch der zuständige Dessauer Staatsanwa­lt von der These einer Selbsttötu­ng abrückte. Dennoch stellte die inzwischen mit dem Fall betraute Staatsanwa­ltschaft Halle das Verfahren im Oktober 2017 ein.

Ob das korrekt war, gehört zu den acht Fragen, die Montag und Nötzel klären sollen. Lüddemann spricht von einem »robusten Mandat«. Quade dagegen kritisiert, es solle nur ein »Minimum« an Fragen beantworte­t werden; jene nach personelle­n Verantwort­lichkeiten oder strukturel­len Gründen für den Tod Jallohs und zweier weiterer Menschen in Dessauer Polizeigew­ahrsam würden nicht gestellt. Sie befürchtet zudem, dass die Erkenntnis­se von Montag und Nötzel unter Verschluss bleiben. Lüddemann betont, die Grünen würden sich »dafür einsetzen«, dass der Abschlussb­ericht veröffentl­icht werde. Darüber, fügt sie hinzu, müsse die Koalition aber noch »gemeinsam beraten«.

Die Linksabgeo­rdnete Henriette Quade kritisiert, es solle nur ein »Minimum« an Fragen beantworte­t werden; jene nach personelle­n Verantwort­lichkeiten oder strukturel­len Gründen für den Tod Jallohs würden nicht gestellt.

 ?? Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert ?? Vorstellun­g der Ermittler, die vielleicht zum Einsatz kommen: der ehemalige Generalsta­atsanwalt Manfred Nötzel (Mitte) und Rechtsanwa­lt Jerzy Montag (zweiter von rechts)
Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert Vorstellun­g der Ermittler, die vielleicht zum Einsatz kommen: der ehemalige Generalsta­atsanwalt Manfred Nötzel (Mitte) und Rechtsanwa­lt Jerzy Montag (zweiter von rechts)

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