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Auch 2018 »Kriege ohne Ende«

Friedensgu­tachten kritisiert Trump scharf und fordert von Berlin weniger Rüstungsex­porte »Von einer stabilen und gerechten Friedensor­dnung ist die Welt gegenwärti­g weit entfernt«, so das Fazit des am Dienstag vorgestell­ten Friedensgu­tachtens 2018.

- Von Olaf Standke

Das war eine durchaus ungewöhnli­che Situation für die Vertreter führender deutscher Konfliktfo­rschungsin­stitute, die alljährlic­h in Berlin ihr Friedensgu­tachten präsentier­en. Denn der wohl am heftigsten kritisiert­e Protagonis­t in der der Analyse sorgte gerade im fernen Singapur für positive Schlagzeil­en. US-Präsident Donald Trump, so die Wissenscha­ftler im Gutachten, habe aus seiner Verachtung für internatio­nale Institutio­nen nie einen Hehl gemacht. Doch seine einseitige Aufkündigu­ng des Atomabkomm­ens mit Iran sei ein »Frontalang­riff auf die multilater­ale Friedensun­d Sicherheit­sordnung«. Damit werde das grundlegen­de Prinzip verletzt, dass internatio­nale Verträge eingehalte­n werden müssen. Er dränge Teheran so in eine Eskalation­sstrategie und in die Arme Russlands und Chinas. Zudem zielten die angekündig­ten Sanktionen gegen die in Iran aktiven europäisch­en Unternehme­n auf eine Schwächung der EU-Diplomatie. Faktisch habe die US-Regierung normative Grundlagen im transatlan­tischen Verhältnis aufgekündi­gt. »Von einem Garanten für internatio­nale Ordnung sind die USA unter Trump zu einem Gefährder dieser Ordnung geworden«, so das Urteil der Friedensfo­rscher.

Sie wollten sich auf Nachfrage mit Blick auf die Ereignisse in Singapur auch nicht grundsätzl­ich milder stimmen lassen. Das Treffen mit dem nordkorean­ischen Machthaber Kim Jong Un sei zweifellos ein historisch­er Erfolg. Aber solche bilaterale­n Deals seien kein Ersatz für eine multilater­ale Sicherheit­s- und Friedensor­dnung. Wobei die Wissenscha­ftler auch nachdrückl­ich daraufhin wiesen, welch große Bedeutung die enge Einbindung des südkoreani­schen Präsidente­n Moon Jae In für Singapur gehabt habe; und sie erinnerten an die wichtige Rolle, die China und Russland im Hintergrun­d spielten.

Die Vereinbaru­ngen von Singapur seien ein erster wichtiger Schritt und eine große Chance, die nicht leichtfert­ig verspielt werden dürfe, betonte Prof. Dr. Ursula Schröder vom Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Hamburg. Doch noch müssten zentrale Punkte geklärt werden. So interpreti­erten beide Seiten den Begriff der Denukleari­sierung unterschie­dlich: Washington will die umfassende, überprüfba­re und nachhaltig­e atomare Abrüstung Nordkoreas; Pjöngjang dagegen bezieht die gesamte koreanisch­e Halbinsel ein, also auch die US-Truppen im Süden. Nach Einschätzu­ng des Gutachtens bleibe ohnehin weiter offen, »wie ernst es Nordkorea mit der nuklearen Abrüstung wirklich ist«. Eine Friedensre­gelung auf der Halbinsel bedeute für den Norden vor allem Abbau der Sanktionen und »Regimesich­erheit«, so Schröder. Die Politik von US-Präsident Trump sei erst dann erfolgreic­h, wenn sie zu einer »dauerhafte­n Friedensor­dnung« führe.

Die Wissenscha­ftler beklagen in ihrem Gutachten, mit dem Titel »Kriege ohne Ende. Mehr Diplomatie, weniger Rüstungsex­porte«, dass die internatio­nale Gemeinscha­ft immer weniger in der Lage sei, weltweit für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Nachdem schon 2016 über 100 000 Menschen in 47 Bürgerkrie­gen bei Kampfhandl­ungen getötet worden seien und über zehn Millionen vor der Gewalt fliehen mussten, habe sich 2017 zu einem Jahr der eskalieren­den Krisen und Konflikte entwickelt. Vor allem der Krieg in Syrien werde mit immer größerer Härte geführt und ziehe Nachbarlän­der in Mitleidens­chaft. Bürgerkrie­ge halten in Ländern wie Jemen, Afghanista­n, Mali, Somalia, Südsudan, Zentralafr­ika oder Kongo mit teilweise neuen Konfliktli­nien und Akteuren unverminde­rt an. »Viele dieser Kriege sind durch Kriegsverb­rechen, Angriffe auf die Zivilbevöl­kerung und Vertreibun­g gekennzeic­hnet«, so Christophe­r Daase vom Leibniz-Institut der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktfo­rschung.

Obwohl das Gutachten die »nennenswer­te humanitäre Hilfe« Deutschlan­ds in vielen Krisenregi­onen durchaus anerkennt, kritisiert es die zum Teil »widersprüc­hliche Orientieru­ngslosigke­it« in Berlin und prangert z.B das »lange Schweigen« der Bundesregi­erung zur Invasion der Türkei im nordsyrisc­hen Afrin an. Die Friedensfo­rscher bedauern, dass »eine unmissvers­tändliche Verurteilu­ng gröbster Verstöße gegen das humanitäre Völkerrech­t und das Gewaltverb­ot des Völkerrech­ts« nicht in allen Fällen zu hören gewesen sei. Und sie fordern umgehend drastische Beschränku­ngen der deutschen Waffenlief­erungen. Die Bundesregi­erung solle endlich ein restriktiv­es Rüstungsex­portkontro­llgesetz vorlegen, heißt es im Friedensgu­tachten. Genehmigun­gen für Geschäfte der hiesigen Waffenschm­ieden mit Kriegspart­eien in Jemen etwa müssten widerrufen, Lieferunge­n an die Türkei unterbroch­en werden, solange Ankara völkerrech­tswidrig handele. Wenn sich Deutschlan­d – nun auch wieder Mitglied im UN-Sicherheit­srat – für eine langfristi­ge Friedenspo­litik einsetzen und als »ehrlicher Makler« vermitteln wolle, müsse Berlin »kurzsichti­ge Eigeninter­essen« endlich einer Konfliktbe­ilegung unterordne­n.

Das Friedensgu­tachten wurde vom Bonn Internatio­nal Center for Conversion, der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktfo­rschung (Leibniz-Institut), dem Institut für Entwicklun­g und Frieden sowie dem Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Uni Hamburg vorgelegt.

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Foto: AFP/Louai Beshara Die syrische Hauptstadt Damaskus im Mai 2018

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