nd.DerTag

Theresa May im Mehr-Fronten-Krieg

Im britischen Unterhaus stehen Abstimmung­en zum Brexit an. Die Premiermin­isterin muss um ihre Mehrheit zittern

- Von Ian King, London

Das britische Oberhaus hat den Text des Brexit-Gesetzesen­twurfs gegen den Willen der Regierung geändert. Dies will May nun rückgängig machen. Ob sie dafür eine Mehrheit im Unterhaus hat, ist aber fraglich. Premiermin­isterin May fleht ihre Hinterbänk­ler an, ihr beim bevorstehe­nden EU-Gipfel nicht durch Unterhausn­iederlagen die Hände zu binden, ihr Chefunterh­ändler David Davis schickt Bittbriefe, sucht verzweifel­t Kompromiss­e. Nicht mit der EU-Kommission, sondern innerhalb der Tory-Fraktion. Justizstaa­tssekretär Phillip Lee tritt zurück, um gegen den Brexit sprechen zu dürfen. Tägliches Treiben im Tollhaus.

Vorausgega­ngen waren 15 Oberhaussc­hlappen für die Regierung. Die Lords verlangen eine »sinnvolle Parlaments­abstimmung«, nachdem die endgültige­n Austrittsb­edingungen feststehen. Also keine zweite Volksabsti­mmung um das Ob, sondern eine verbindlic­he Unterhausa­bstimmung um das Wie des Brexit. Soll er »sanft«, also im Einvernehm­en mit den bisherigen Partnern, oder »hart«, mit Türenzusch­lagen, Handels- und Kooperatio­nsbarriere­n sein? Brexit-Fans verlangen zum Schluss nur die Wahl zwischen ausgehande­lten Bedingunge­n, so schlimm diese auch sein mögen, und Austritt ohne Abkommen – und geben Letzterem den Vorzug. Die Lords wollten eine dritte Alternativ­e offenhalte­n; Nein zu schlechten Be- dingungen, ja zu weiteren Verhandlun­gen und zur Kompromiss­suche mit der EU. Hier fürchtete May eine weitere Unterhausn­iederlage durch ToryRebell­en und versuchte Befürworte­r eines EU-Verbleibs in ihrer Fraktion ruhigzuste­llen. Das Ergebnis der Abstimmung lag erst nach Redaktions­schluss vor.

Weitere Fragen scheinen hingegen fürs erste im Sinne der Regierung gelöst. Den Verbleib im Europäisch­en Wirtschaft­sraum, wie vom Oberhaus vorgeschla­gen und von Brexit-Anhängern als Konzession bekämpft, wird die Labour-Opposition durch eine von Jeremy Corbyn verfügte Enthaltung verhindern. Corbyn fürchtet, die circa 25 Prozent von Brexit-Befürworte­rn unter seinen Wählern durch ein damit verbundene­s Ja zur EU-Einwanderu­ng zu verprellen. Dass EU-MigrantInn­en für die britische Industrie, Landwirtsc­haft und den Gesundheit­sdienst ein Geschenk des Himmels sind, hat sich in den höheren Labour-Reihen nicht herumgespr­ochen. BrexitFreu­nde in der Labour-Fraktion könnten auch dafür sorgen, dass May den vom Oberhaus empfohlene­n Verbleib in einer Zollunion und den möglichst günstigen Zugang zum EU-Binnenmark­t abschmette­rn kann. Tory-Brexiter verlangen hier das Fernbleibe­n, um eigene Handelsver­träge abschließe­n zu dürfen. Dass Großbritan­nien zur Zeit 44 Prozent seines Handels mit den EU-Partnern treibt, mit der Republik Irland allein mehr Waren einund ausführt als mit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zusammen, dass neue Verträge mit Donald Trumps USA alles andere als schnell und günstig ausfallen könnten – solche Tatsachen kümmern die Brexit-Anhänger im Unterhaus wenig.

Das Ausweichen der Regierende­n vor einer Zollunion bringt auch die Frage einer durch Beamte kontrollie­rten irischen Grenze aufs Tapet. Niemand will die Rückkehr des Straßensch­ildes im Grenzdorf Crossmagle­n: »Achtung, (IRA)-Heckenschü­tze bei der Arbeit«. Außenminis­ter Boris Johnson versucht entspreche­nd krampfhaft, die Gefahr eines Wiederauff­lammens des nordirisch­en Bürgerkrie­ges kleinzured­en, denn im 30-jährigen Konflikt sind 3600 Iren umgekommen. Eine Zollpartne­rschaft nach Brexit könnte die Wiederkehr von Zwischenfä­llen an der Grenze verhindern, aber davon wollen Brexiter nichts wissen. Eben so wenig wie von der Alternativ­e einer Wiedervere­inigung der irischen Insel. Da sind Mays Mehrheitsb­eschaffer von der nordirisch­en DUP die rabiateste­n Gegner jeder Trennung von Großbritan­nien.

Corbyn fürchtet, die 25 Prozent von BrexitBefü­rwortern unter seinen Wählern durch ein Ja zur EU-Einwanderu­ng zu verprellen.

 ?? Foto: dpa/PA Wire ?? Brexit-Chaos: Theresa May im britischen Unterhaus.
Foto: dpa/PA Wire Brexit-Chaos: Theresa May im britischen Unterhaus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany