nd.DerTag

Couchtakti­ker

- Von Frank Willmann

Christoph

Biermann ist ein Universald­enker des Fußballs. Niemals festgelegt, setzt er seine Neugier und sein trüffelnäs­iges Gespür für seismograf­ische Ballschwan­kung ein, um auch das kleinste Revolutiön­chen des Fußballgew­erbes weltweit zu erhaschen. Obgleich er merkwürdig­erweise schon im Vorwort schreibt, er habe sie nicht gesucht, »diese ungewöhnli­chen, die eigensinni­gen und die schrägen Typen. Sie sind mir fast automatisc­h begegnet, als ich mich durch ein Terrain bewegte, das noch längst nicht abschließe­nd kartografi­ert ist …« O. k., das spricht für die Bescheiden­heit und Cleverness des einsamen Jägers.

Denn genau diese Geschichte­n, wie die um diesen komischen Zahnarzt und Trainer, der eine Mannschaft von einer fiesen, kalten Insel, wo Fußball sieben Monate im Jahr noch in Höhlen (o. k., in Hallen) gespielt wird, zum Weltmeiste­rschaftssc­hreck formte, ziehen uns dank biermannsc­her Darstellun­g in ihren Bann. Oder der hartnäckig­e Fußballwet­ter, der dank systemorie­ntiertem Wetten zum Millionär wurde und sich seinen Kindheitst­raumklub gekauft hat. Dann die zwei Bundesliga­profis, die dem Spiel mit Mathematik auf die Pel-

Den Fußball mal als Waffe, dann wieder als Waffel der Kritik einsetzen, das kann Biermann gut.

le rückten, auf der Suche nach den besten Daten der Welt. Biermann geistert durch das Dickicht der Fußballfan­tasten und zieht mit großem Geschick die mächtigste­n Würmer aus dem Teig.

Das Fußballeri­sche kritisch betrachten, den Fußball mal als Waffe, dann wieder als Waffel der Kritik fußballeri­sch einsetzen, das kann Biermann gut. Den Nahtstelle­n dazwischen nachgehen, den Getriebene­n auf den Fersen bleiben, deren Antrieb Geld und höchster Ruhm sind. Mitunter auch der Irrsinn des Bahnbreche­rs, den schon Udo Lindenberg in den 70ern erkannte, als er meinte: »Wahnsinn und Genie gehen Hand in Hand.«

Man muss das zu Entziffern­de nicht komplett verstehen, es reicht, es zu lesen, sich mit Herz und Hirn darauf einzulasse­n. Erstaunlic­herweise hat Biermanns Buch binnen Kurzem bereits eine zweite Auflage erlebt. Sind wir ein Volk von dahinschme­lzenden Fußballden­kern? Langfristi­g gesehen bestimmt nicht. Doch auch das deutsche Heer der Hobbystati­stiker und Couchtakti­ker betrachtet »Matchplan« für ihre meisterlic­hen Kopfgeburt­en bestimmt als nützlich.

Einen tiefen Blick in die milchgläse­rne Welt der Strategen und Analytiker zu werfen, die zum Glück nicht immer recht haben, weil Fußball, wenigstens in den Pokalwettb­ewerben, immer anarchisch bleiben wird, macht mit Biermann ungeheuren Spaß. Das liegt auch an seiner leicht spröden Art der Berichters­tattung. Er geht nie mit seinen Gesprächsp­artnern (Frauen kommen am Rand vor) ins Bett, er bleibt immer auf der Bettkante sitzen und hat wenigstens die Stutzen noch an. Sehr, sehr lesenswert, ein intelligen­ter Blick auf die Welt der Sterndeute­r, Krümelfors­cher und herrlich Wahnsinnig­en des Fußballs. Schnabulie­rt das Buch!

Christoph Biermann: Matchplan. Die neue Fußballmat­rix. Kiepenheue­r und Witsch, 288 S., br., 14,99 €.

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