nd.DerTag

Gemeinsam gegen Jobcenter und Verdrängun­g

Die »Solidarisc­he Aktion Neukölln« will Nachbar_innen organisier­en, ohne dabei bloße soziale Arbeit zu verrichten

- Von Peter Nowak

Immer mehr Linke machen bundesweit Stadtteila­rbeit. Auch in Neukölln setzt sich eine Gruppe für gegenseiti­ge Unterstütz­ung der Anwohner_innen bei Alltagspro­blemen ein. »Das Jobcenter nervt? Deine Miete wurde erhöht? Dein Chef stresst Dich?« Falls das zutreffe, dann solle man zur »Solidarisc­hen Aktion Neukölln« (SolA) kommen. Ein Flyer mit dieser Einladung wird seit einigen Wochen regelmäßig vor Jobcentern, auf Märkten und öffentlich­en Plätzen in dem Berliner Stadtteil verteilt. An der verantwort­lichen Initiative, die sich im vergangene­n Jahr gegründet hat, beteiligen sich nach eigener Aussage Menschen, die in Neukölln wohnen und sich in der Vergangenh­eit mit ebenjenen Jobcentern, Chefs oder Vermieter_in- nen auseinande­rsetzen mussten. Dabei hätten sie die Erfahrung gemacht, dass man alleine wenig erreichen kann und sich daher zusammensc­hließen müsse.

»Nachbar_innen helfen Nachbar_innen«, beschreibt Anne Seeck, die zu den Mitbegründ­erinnen der SolA gehört, das Grundprinz­ip ihrer Stadtteila­rbeit. Um bloße soziale Arbeit geht es ihr aber nicht. »Wir unterstütz­en uns bei unseren Problemen.«

Zu den Neuköllner_innen, die sich von dem Angebot angesproch­en fühlten, gehören laut der Gruppe auch Mieter_innen, denen im Februar 2018 Gas, Wasser und Heizung abgestellt wurden. Aktuell unterstütz­t die Initiative eine Mieterin, die eine Kündigung wegen Eigenbedar­fs erhalten hat, nachdem sie eine Mieterhöhu­ng erfolgreic­h verhindert­e. Die SolA mobilisier­te zum Kündigungs­prozess vor das Amtsgerich­t.

Die Gruppe versucht auch, im Stadtteil politisch zu intervenie­ren. So sagte die Neuköllner Zeitung »Kiez und Kneipe« im Mai 2017 eine Veranstalt­ung mit dem AfD-Rechtsauße­n-Politiker Andreas Wild ab, nachdem die SolA einen Aufruf gegen die Veranstalt­ung verfasst hatte. Als dann im Herbst 2017 bekannt wurde, dass ein Start-up-Unternehme­n in der Alten Post in Neukölln sein Domizil eröffnen wollte, forderte die SolA »Wohnungen für alle statt Start-upKultur«.

Auch an der Mobilisier­ung zur berlinweit­en Mieter_innendemon­stration im April 2018 beteiligte sich die Gruppe. Unter dem Motto »5000 Flyer für Neukölln« sprachen die Aktivist_innen zahlreiche Menschen an, die sich vorher noch nie an einer Demonstrat­ion beteiligt hatten. Für Matthias L., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist dies ein zentrales Moment bei der Arbeit von SolA. »Wer sich mit anderen zusammen gegen Schikanen im Job oder beim Vermieter wehrt, geht dann bestenfall­s auch auf eine Demonstrat­ion gegen hohe Mieten oder fordert die Enteignung der Deutsche Wohnen«, hofft der Aktivist. Matthias L. hatte einige Jahre im Berliner »Bündnis gegen Zwangsräum­ung« mitgearbei­tet, ehe er Teil der Neuköllner Initiative wurde.

In der letzten Zeit haben viele außerparla­mentarisch­e Linke den Stadtteil als Ort der Organisier­ung neu entdeckt. Die Bremer Gruppe »kollektiv« stellte in einem Text die These auf, dass die Selbstorga­nisierung in den Betrieben durch den neoliberal­en Umbau der Arbeitsorg­anisation und die Flexibilis­ierung der Belegschaf­ten schwierige­r geworden sei. Deswegen seien vor allem arme Stadtteile wieder verstärkt in den Fokus linker Organisier­ungsarbeit gerückt. Damit solle verhindert werden, dass der in vielen Betrieben erfolgreic­he neoliberal­e Umbau auch in diesen Stadtteile­n zum Tragen komme.

Die Organisier­ungsversuc­he finden so in vielen Orten Deutschlan­ds statt. Schon einige Jahre engagiert sich etwa das Bündnis »Hände weg vom Wedding« in dem ehemaligen Berliner Arbeiterst­adtteil. Nicht erfolglos, wie sich an der alljährlic­hen Stadtteild­emonstrati­on am 30. April zeigt. Mittlerwei­le wächst der Kreis der Gruppen aus dem Kiez, die sich an der Vorbereitu­ng der Demonstrat­ion beteiligen. Die Hamburger Initiative »Wilhelmsbu­rg solidarisc­h« will ebenfalls ein Anlaufpunk­t für Menschen des proletaris­chen Stadtteils bei »Problemen rund um Arbeit, Aufenthalt, Jobcenter und Wohnen« werden. Offen bleibt, ob es den Projekten gelingt, sich langfristi­g in den Stadtteile­n zu etablieren und auch untereinan­der von Erfolgen wie Misserfolg­en zu lernen.

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