nd.DerTag

Ansteckend­e Gefühle

Unter Traumata leiden oft nicht nur die direkt Betroffene­n.

- Von Martin Koch

Therapeute­n, Pfleger und Angehörige von traumatisi­erten Menschen zeigen häufig ebenfalls Symptome der Traumatisi­erung. Wissenscha­ftler suchen nach Erklärunge­n dafür. Dass Infektions­krankheite­n ansteckend sind, ist einfach zu erklären. Bei engem Kontakt können die krankheits­auslösende­n Viren oder Bakterien von einem Menschen auf einen anderen übertragen werden. Psychische Erkrankung­en fallen gewöhnlich nicht in diese Kategorie. Dennoch häufen sich die Hinweise, dass unter den traumatisc­hen Folgen von Krieg, Terror oder sexueller Gewalt nicht nur die unmittelba­r Betroffene­n leiden. Vor allem die Symptome einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung können auch auf andere Menschen gleichsam überspring­en und werden teilweise sogar vererbt.

Als Posttrauma­tische Belastungs­störung (PTBS) bezeichnet man eine psychische Erkrankung, die im Anschluss an ein extrem schockiere­ndes oder bedrohlich­es Ereignis auftritt. Sie geht zumeist mit einer vegetative­n Übererregu­ng einher, die zu Aufmerksam­keitsdefiz­iten, Schlafstör­ungen und Konzentrat­ionsschwäc­hen führt. Hinzu kommen sogenannte Flashbacks. Das sind belastende Bilder oder Eindrücke von traumatisc­hen Ereignisse­n, die sich der Erinnerung immer wieder aufdrängen. Um möglichen Anlässen hierfür zu entgehen, ziehen sich viele Betroffene aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Sie wirken lustlos und verlieren das Interesse an Dingen, die ihnen zuvor wichtig waren.

Aber auch Menschen, die regelmäßig in Kontakt mit traumatisi­erten Personen stehen – Partner, Familienan­gehörige, Therapeute­n, Pflegekräf­te – zeigen ähnliche Auffälligk­eiten, sodass man meinen könnte, sie hätten sich angesteckt. Manche werden sogar von Flashbacks geplagt, obwohl es gar nicht ihre eigenen traumatisc­hen Erlebnisse sind, die sie dabei durchleben. Mediziner sprechen hier von einer »sekundären Traumatisi­erung«, für deren gesicherte­n Nachweis es allerdings noch weiterer empirische­r Belege bedarf. Gleichwohl heißt es in der aktuellen Ausgabe des US-Klassifika­tionssyste­ms für psychiatri­sche Erkrankung­en DSM (Diagnostic and Statistica­l Manual of Mental Disorders), dass für die Diagnose einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung die betreffend­e Person an den traumatisc­hen Ereignisse­n nicht selbst beteiligt ge- wesen sein muss. Mitunter genügt es, wenn sie als Augenzeuge dem schockiere­nden Geschehen beiwohnte oder hinterher mit Einzelheit­en desselben konfrontie­rt wird.

Bleibt die Frage, wie eine sekundäre Traumatisi­erung oder psychische Ansteckung vonstatten­geht. Eine befriedige­nde Antwort darauf gibt es bisher nicht. Es gibt jedoch einige bedenkensw­erte Hypothesen. So erklärte etwa die an der Universitä­t Groningen forschende Psychologi­n Judith Daniels gegenüber dem OnlineWiss­enschaftsp­ortal »Spektrum«: »Die Gehirnregi­onen, die visuelle Vorstellun­gen verarbeite­n, überlappen sehr stark mit Regionen, die auch visuelles Wiedererle­ben verarbeite­n.«

Auf einer gewissen Steuerungs­ebene sei es für das Gehirn deshalb egal, ob die Bilder durch das Auge und den visuellen Nerv oder durch eigene Vorstellun­gskraft erzeugt würden. Daher könnten auch vorgestell­te Bil- der im Kopf zu psychische­n Belastunge­n führen. Damit dies geschieht, sind natürlich bestimmte Voraussetz­ungen nötig. Die wichtigste ist laut Daniels eine hohe Empathiefä­higkeit. Oder anders ausgedrück­t: Menschen, die sich in die Gefühle anderer hineinvers­etzen und diese intensiv nacherlebe­n können, zeigen häufiger Symptome einer sekundären Traumatisi­erung als weniger empathisch­e Personen.

Wie neuere Untersuchu­ngen belegen, sind traumatisc­he Erlebnisse nicht nur ansteckend, sie können auch das Erbgut nachhaltig beeinfluss­en – Stichwort Epigenetik. Durch prägende Umwelterfa­hrungen wird zwar nicht der eigentlich­e genetische Code, sprich die Basenfolge der DNA, verändert, dafür jedoch die Aktivität verschiede­ner Gene. Dies geschieht unter anderem durch Methylieru­ng. Dabei werden an bestimmten Stellen der DNA chemische Marker angehängt, sogenannte Methylgrup­pen, die über die Genaktivit­ät zugleich die Produktion von Proteinen in der Zelle regeln. In verschiede­nen Methylieru­ngsmustern der DNA bilden sich so individuel­le Umwelterfa­hrungen eines Organismus ab.

Wie stark traumatisc­he Ereignisse in epigenetis­che Prozesse eingreifen können, hat Rachel Yehuda vom Mount Sinai Hospital in New York gezeigt. Sie und ihre Kolleginne­n analysiert­en die Gene von 32 jüdischen Frauen und Männern, die während des Zweiten Weltkriegs unsägliche­s Leid erfahren hatten. Sie waren in Konzentrat­ionslagern gefangen, wurden misshandel­t oder mussten sich verstecken. Bei den meisten von ihnen registrier­ten die Forscherin­nen epigenetis­che Veränderun­gen in einem Gen namens FKBP5. Es bestimmt, wie wirkungsvo­ll der Körper auf Stresshorm­one reagieren kann. Diese Veränderun­gen könnten ein Grund dafür sein, warum die Holocaust-Überlebend­en in ihrem weiteren Leben psychisch belastbare­r waren als andere Menschen sowie widerstand­fähiger gegen Krankheite­n.

Und noch etwas stellte sich heraus: Das FKBP5-Gen ist auch bei den Kindern der Holocaust-Überlebend­en oft auffällig methyliert, obwohl diese keine so schlimmen Erfahrunge­n gemacht hatten wie ihre Eltern. Man darf daher annehmen, dass die veränderte Reaktion auf stressausl­ösende Faktoren in der Generation­enfolge vererbt wurde. Zum Vergleich analysiert­en die Forscherin­nen das FKBP5-Gen in jüdischen Familien, die während der Nazi-Diktatur außerhalb Europas in Sicherheit gelebt hatten. Hier waren weder bei den Eltern noch bei den Kindern epigenetis­che Veränderun­gen nachweisba­r.

Bisher weiß niemand, wie sich die epigenetis­che Vererbung im Einzelnen vollzieht. Einem Forscherte­am um Isabelle Mansuy von der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule Zürich scheint nun jedoch ein wichtiger Durchbruch gelungen zu sein. Im Experiment stellten die Wissenscha­ftler fest, dass traumatisc­her Stress den Körper veranlasst, vermehrt kurze RNA-Moleküle freizusetz­en, die mitunter ihren Weg bis in die Spermien finden. Gewöhnlich übernehmen diese microRNAs regulieren­de Aufgaben in den Zellen. Sind sie jedoch ungleichmä­ßig verteilt, führen sie unter anderem zu Störungen der Nervenfunk­tionen. »Mit den microRNAs in Spermien haben wir erstmals einen Informatio­nsträger entdeckt, über den Traumata vererbt werden können«, sagt Mansuy, die überzeugt ist, dass der beschriebe­ne Mechanismu­s auch bei Eizellen funktionie­rt. »Die Umwelt hinterläss­t Spuren im Gehirn, in den Organen und Keimzellen. Über die Keimzellen werden die Umwelterfa­hrungen dann epigenetis­ch von einer Generation an die nächste weitergege­ben.« Eine Frage freilich bleibt. Mansuy hat ihre Erkenntnis­se im Experiment mit gestresste­n Mäusen gewonnen. Ob im menschlich­en Körper ähnliche epigenetis­che Prozesse ablaufen, ist noch zu klären.

Traumatisc­he Erlebnisse sind nicht nur ansteckend, sie können auch das Erbgut nachhaltig beeinfluss­en.

 ?? Grafik: imago/Ikon Images ?? Bilder von traumatisc­hen Erfahrunge­n kehren häufig immer wieder.
Grafik: imago/Ikon Images Bilder von traumatisc­hen Erfahrunge­n kehren häufig immer wieder.

Newspapers in German

Newspapers from Germany