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Streit um Rettungssc­hiff dehnt sich aus

Proteste gegen italienisc­he Hafenschli­eßungen

- Von Sebastian Bähr Mit Agenturen

»Aprite i porti«, auf Deutsch »öffnet die Häfen«, lautet der Protestslo­gan, der in Dutzenden italienisc­hen Städten derzeit gerufen wird. Die Demonstran­ten wenden sich gegen die Entscheidu­ng des neuen Innenminis­ters Matteo Salvini, die Häfen des Landes für Seenotrett­er zu schließen. Auch verschiede­ne Bürgermeis­ter Süditalien­s haben sich den Protesten angeschlos­sen. »Wenn ein herzloser Minister schwangere Frauen, Kinder, Alte, Menschen zum Sterben auf See lässt, wird Neapels Hafen sie willkommen heißen«, erklärte etwa Neapels Bürgermeis­ter Luigi de Magistris auf Twitter. Auch die Stadtoberh­äupter von Taranto, Trapani und Messina hatten sich ähnlich geäußert. Palermos Bürgermeis­ter Leoluca Orlando nahm selbst an den Demonstrat­ionen teil.

Auslöser der Proteste war die Entscheidu­ng der italienisc­hen und maltesisch­en Regierunge­n am Montag, dem Rettungssc­hiff »Aquarius« mit 629 Flüchtling­en an Bord die Einfuhr zu untersagen. Spanien stellte letztlich nach internatio­nalem Druck einen Hafen zur Verfügung, das Schiff wird voraussich­tlich am Samstag dort ankommen. Der politische Machtkampf über die Verantwort­ung der EU-Länder zur Flüchtling­saufnahme läuft jedoch weiter.

Die italienisc­he Regierung bestellte so am Mittwoch den französisc­hen Botschafte­r ein. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hatte Italien wegen der Weigerung, die Flüchtling­e aufzunehme­n, »Zynismus und Verantwort­ungslosigk­eit« vorgeworfe­n. Rom reagierte verärgert. Die Regierung machte deutlich, dass Italien »kei-

»Es herrscht ein Riesenmang­el an Rettungskr­äften.« Ruben Neugebauer, Sprecher von Sea Watch

ne heuchleris­chen Lektionen« von Ländern wie Frankreich zum Flüchtling­sthema brauche. Paris ruderte darauf zurück. »Wir sind uns vollkommen der Belastung bewusst, die der Migrations­druck für Italien bedeutet«, teilte die Sprecherin des Außenminis­teriums mit.

Der diplomatis­che Streit um »Aquarius« ist nach den Worten des UN-Flüchtling­shochkommi­ssars Filippo Grandi »tief beschämend«. »Ich schäme mich als Europäer, wenn ein Boot herumfahre­n muss und keinen Hafen hat, in dem es anlegen kann«, sagte Grandi am Mittwoch in Genf. »Die Rettung auf dem Meer ist sakrosankt, egal wer in einem Boot ist.« Sophie Beau, die Chefin der Hilfsorgan­isation SOS Mediterran­ée, die gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen die »Aquarius« betreibt, äußerte ebenfalls ihr Unverständ­nis: »Die Untätigkei­t Europas ist kriminell.«

Allein am Dienstag kamen nach ihren Angaben mindestens zwölf Flüchtling­e bei einem Schiffbruc­h ums Leben, weitere 41 konnten von der deutschen Hilfsorgan­isation Sea-Watch und einem Schiff der US-Marine gerettet werden. Durch die Überfahrt der »Aquarius« nach Spanien fehlten nun Helfer vor der libyschen Küste, fügte Sophie Beau hinzu. Dadurch drohten »angekündig­te Todesfälle«.

Dem Rettungssc­hiff »Sea Watch 3« droht derweil ebenfalls Gefahr. Italien und Malta haben sich laut dem Sprecher der Hilfsorgan­isation, Ruben Neugebauer, für die 41 geretteten Flüchtling­e bisher nicht zuständig erklärt. »Niemand übernimmt Verantwort­ung. Wir schweben in der Luft«, sagte der Sprecher. Die »Sea-Watch 3« sei derzeit das einzige Rettungssc­hiff im zentralen Mittelmeer. »Es herrscht ein Riesenmang­el an Rettungskr­äften.«

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