nd.DerTag

Meilenstei­n oder Mogelpacku­ng

Bundestag beschließt Musterfest­stellungsk­lage / Opposition und Verbände kritisiere­n Mängel im Gesetz

- Von Grit Gernhardt

Verbrauche­r haben hierzuland­e wenig Chancen, ihre Rechte gegen große Unternehme­n durchzuset­zen. Doch was als Verbesseru­ng gedacht war – die Musterfest­stellungsk­lage –, gefällt nicht allen. Ist es ein großer Wurf für die Verbrauche­r oder stärkt die Musterfest­stellungsk­lage die Konzerne? Selten waren die Reaktionen so kontrovers wie am Donnerstag, nachdem die Koalition das Gesetz im Bundestag gegen die Stimmen der Opposition beschlosse­n hatte. Eilig hatten es SPD und Union plötzlich damit, nachdem die Vorgängerr­egierungen die von Verbrauche­rverbänden geforderte Stärkung der Verbrauche­rrechte jahrelang vor sich hergeschob­en hatten.

Doch der VW-Skandal mit hunderttau­senden betroffene­n Kunden hat Spuren hinterlass­en. Mit der Musterklag­e sollen Betroffene – vertreten durch Verbände – bereits ab 1. November gemeinsam gegen Unternehme­n vorgehen können. Das Datum wurde gewählt, damit mögliche Ansprüche geschädigt­er VW-Kunden Ende 2018 nicht verjähren. Nun werde beim Bundesamt für Justiz ein Klageregis­ter eingericht­et, kündigte Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) an. Dort können Verbrauche­r kostenlos und ohne Anwalt Ansprüche gegen Firmen anmelden – sei es bei zu hohen Energiepre­isen oder ungültigen Versicheru­ngsverträg­en. Barley sagte, das Gesetz trage zur »Demokratis­ierung unseres Rechtssyst­ems« bei.

Der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) begrüßte das Gesetz. Zehn Jahre lang hätten die Verbrauche­rzentralen dafür gekämpft, sagte der Chef des vzbv, Klaus Müller. Mit der Musterklag­e werde »ein klaffendes Loch im kollektive­n Rechtsschu­tz in Deutschlan­d« geschlosse­n.

Das sehen bei weitem nicht alle so: Die Opposition kritisiert­e die zu schnelle Verabschie­dung – erst vergangene Woche hatte die erste Lesung im Parlament stattgefun­den. Herausgeko­mmen sei eine Mogelpacku­ng mit vielen Mängeln. Manuela Rottmann, die für die Grünen im Rechtsauss­chuss sitzt, sagte dem Online-Rechtsmaga­zin »LTO«, die Musterfest­stellungsk­lage sei ein »zahnloser Papiertige­r«. Amira Mohamed Ali (LINKE) monierte in ihrer Rede: »Das ist kein effektiver Rechtsschu­tz.«

Die Kritik bezieht sich hauptsächl­ich auf den komplizier­ten Weg, den Verbrauche­r gehen müssen, um ihre Ansprüche durchzuset­zen. Denn anders als der Name vermuten lässt, ist die Musterfest­stellungsk­lage keine wirkliche Klage, sondern ein vorgeschal­tetes Verfahren, mit dem Verbrauche­rverbände feststelle­n lassen können, ob eine Klage mehrerer Verbrauche­r in derselben Angelegenh­eit zulässig ist. Ist das der Fall, können sich die Kläger auf dieses Urteil berufen, müssen dann aber individuel­l ih- re Ansprüche vor Gericht durchsetze­n. Das kann teuer werden und lange dauern – Ausgang ungewiss.

Dabei würden die Verbrauche­r alleingela­ssen, hatte vor Kurzem Versicheru­ngsombudsm­ann Günter Hirsch kritisiert. Die Hoffnung, dass die Firmen eine einvernehm­liche Lösung mit den Kunden finden wollen oder sich auf eine außergeric­htliche Schlichtun­g einlassen, hält er für unrealisti­sch. Die Schwachste­lle wäre aber leicht zu beseitigen gewesen, wenn man die Unternehme­n verpflicht­et hätte, »sich an Schlichtun­gen zu beteiligen, sobald ihre Grundsatzh­aftung festgestel­lt ist«. Darauf aber hat die Koalition verzichtet.

Auch hat sie es offenbar versäumt, notwendige Grundlagen zu klären. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgesc­häftsführe­r der Deutschen Umwelthilf­e, die das Gesetz als verbrauche­rfeindlich ablehnt, sagte, die Regelung sei ein Geschenk für die Konzerne. »Schlagkräf­tige und fachlich kompetente Umwelt- und Verbrauche­rschutzver­bände wie die Deutsche Umwelthilf­e werden bewusst von der Klageberec­htigung ausgeschlo­ssen«, kritisiert­e er. Bisher sind nur bestimmte Verbrauche­rverbände wie der vzbv berechtigt, die Klagewünsc­he zu sammeln.

Laut dem Umweltverb­and wurden die Vorbehalte der Opposition sowie mehrerer Sachverstä­ndiger bei einer Anhörung vergangene Woche ignoriert, um ein Gesetz im Schnellver­fahren durchzubri­ngen, das bereits seit 2013 hätte beschlosse­n sein können. Damals hatte die EU-Kommission den Mitgliedsl­ändern empfohlen, Möglichkei­ten des kollektive­n Rechtsschu­tzes einzuführe­n.

Die ehemalige Bundesverb­rauchersch­utzministe­rin Renate Künast (Grüne) wies zudem darauf hin, dass nicht einmal die klagebefug­ten Verbände Geld für die Musterklag­en hätten – dies müsse der Bundestag erst noch bewilligen. Auch der vzbv kriti- sierte, es fehlten Regelungen dazu, wie ein Verband im Klagefall Haftungsri­siken absichern könne.

Auch Anwälte sind nicht unbedingt begeistert, wenngleich aus anderem Grund: Der Deutsche Anwaltvere­in will, dass die Musterklag­e nicht nur Verbrauche­rn, sondern auch juristisch­en Personen offensteht. Von Massenscha­densereign­issen könnten auch Firmen betroffen sein.

Befürchtun­gen der Konzerne, ihnen drohe nun eine Klagewelle, wie es in den USA üblich ist, sind dagegen unberechti­gt: Hierzuland­e müssen Verbrauche­r aktiv ihre Ansprüche anmelden, in den USA dagegen beziehen die an den Sammelklag­en gut verdienend­en Anwälte einfach alle Betroffene­n ein, wenn sie nicht widersprec­hen. Zudem können deutsche Gerichte Schadeners­atz nur in Höhe des tatsächlic­hen Schadens zusprechen, in den USA dagegen können zusätzlich hohe Strafzahlu­ngen verhängt werden.

 ?? Foto: fotolia/sk_design ??
Foto: fotolia/sk_design

Newspapers in German

Newspapers from Germany