nd.DerTag

Wer zum Wandern geboren, taugt nicht zum Gärtnern

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Nachdem ich einige Jahre in Gemeinscha­ftsunterkü­nften und Studentenh­eimen verbracht hatte, kam ich bei einer Wanderung mit meiner Kinderwand­ergruppe um den Lankower See an einem herrlichen Garten vorbei. Noch nach 50 Jahren sehe ich das Bild deutlich vor mir, als wäre es gestern gewesen: Auf einem Hügel stand, mit Blick auf den See, ein schlossähn­liches Haus mit Säulen am Eingang im Schatten einer riesigen Eiche. Vom rosenumran­kten Gartentor führte ein Weg durch Blumen der verschiede­nsten Farben zum Haus empor. Im Wasserbeck­en planschten Kinder, eine Frau saß in ihrer Nähe, und ein Mann schaukelte inmitten von Kirschbäum­en in einer Hängematte. Aus der Entfernung sah es so aus, als bräuchte er nur den Mund zu öffnen, um sich an den Kirschen zu laben. Und über allem wölbte sich ein strahlend blauer, wolkenlose­r Himmel. Vielleicht hatten mich kurz vorher meine Schützling­e mit den Fragen »Wie weit ist es noch?«, »Wie lange dauert es noch?«, »Wann machen wir eine Pause? geärgert, denn plötzlich dachte ich daran, wie schön es wäre, dort oben in der Hängematte zu liegen oder Kirschen zu pflücken, statt, um die Worte meiner Frau zu verwenden, »mit fremden Kindern sinnlos durch die Gegend zu laufen«.

Kurz darauf musste mein damaliger Chef seinen Wohnort wechseln und bot mir für 3000 Mark sein Zweifamili­enhaus und für 1000 Mark 1000 Quadratmet­er Land zum Kauf an. Als ich meiner Frau davon erzählte und sie fragte, ob wir zugreifen sollten, antwortete sie: »Mit jedem anderen, aber nicht mit dir!« Denn sie kannte mich zu diesem Zeitpunkt schon genügend lange. Es blieb beim Traum.

Als Jahrzehnte später ein neuer Chef sehr kurzfristi­g seinen Wohnort verlassen musste und Probleme hatte, seinen Garten loszuwerde­n, brauchte ich keine Frau mehr zu fragen und übernahm für ’n Appel und ’n Ei einen sehr gepflegten Garten mit einem stabilen Gartenhäus­chen. Weniger für mich, mehr für meine Enkel.

Das Gartenhaus lag weder auf einem Hügel, noch hatte es einen Blick auf einen See, aber auch neben diesem stand eine Eiche und zwischen den Kir- schenbäume­n konnte man mit Leichtigke­it eine Hängematte anbringen.

Weder mein Sohn noch ich hatten Erfahrunge­n im Umgang mit einem Garten. Aber seine Frau war auf dem Lande groß geworden, und solange sie der Meinung war, dass Gartenarbe­it schlank macht, gab es keine größeren Probleme. Da sie nicht schlank wurde, blieb, nachdem sich mein Sohn eine Zecke eingefange­n hatte und sich deswegen nicht mehr in den Garten traute, schließlic­h alle Arbeit an mir hängen. Es ist erstaunlic­h, was alles getan werden muss, bevor man sich mit reinem Gewissen zwischen zwei Kirschbäum­en in eine Hängematte legen kann, welche Gefahren einem Laubendach unter einer großen Eiche bei Sturm drohen und wie empfindlic­h die Pflanzen sogar auf kleine Verfehlung­en reagieren.

Daich gegen den Gebrauch von Giften bin, fressen alles, was un- ter der Erde wächst, die Wühlmäuse, alles darüber die Nacktschne­cken und die Kartoffelk­äfer. Die Vögel verhindern, dass einem die Kirschen in den Mund wachsen. Nicht einmal von Raubvogela­ttrappen lassen sie sich beeindruck­en. Die frechsten Spatzen ruhen sich sogar auf diesen Attrappen aus.

Und der Eichenbaum, der mich seinerzeit so nachhaltig beeindruck­t hatte, bereitet mir die meisten Sorgen. Ständig fallen Äste auf das Dach, und ständig müssen die Eicheln aufgesamme­lt werden, damit der Rasen sich nicht in einen dichten Wald verwandelt. Und wenn sich dann wochenlang strahlend blauer, wolkenlose­r Himmel über dem Garten ausbreitet, kann man nicht zum See oder ans Meer fahren, weil die Blumen es übel nehmen würden. Deswegen habe ich seit zehn Jahren ausgeträum­t. Wer zum Wandern geboren, taugt nicht zum Gärtnern.

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Foto: nd/Ulli Winkler

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