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Schlichtun­gsversuche im Asylstreit

Das Flüchtling­shilfswerk der UNO warnt vor einem nationalen Alleingang bei Abschiebun­gen

- Von Stefan Otto

Die Fronten in der Union sind im Asylstreit nach wie vor verhärtet. Die Ultimatum der CSU steht. Vermittlun­gsversuche laufen. Die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner versuchte am Freitag, im Asylstreit der Union zu schlichten und formuliert­e ein gemeinsame­s Ziel beider Parteien: Die Migration müsse besser gesteuert und die Zahl der Menschen, die nach Deutschlan­d kommen, deutlich verringert werden. Sie sprach sich für den Kompromiss­vorschlag von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) aus. Der sieht eine sofortige Zurückweis­ung an der Grenze vor, wenn der Asylantrag bereits einmal abgelehnt wurde. Zudem sollen auch jene Geflüchtet­en zurückgewi­esen werden, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben. Dies müsse allerdings auf der Grundlage von bilaterale­n Vereinbaru­ngen mit den Ländern geschehen, in welche die Asylbewerb­er zuvor eingereist waren. Die Kanzlerin will auf dem EU-Gipfel Ende Juni diesbezügl­ich mit Spanien, Italien und Griechenla­nd verhandeln.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hatte der Kanzlerin eine Frist bis Montag gesetzt, um auf seine Position einzuschwe­nken. Anderenfal­ls will er per Ministeren­tscheid im nationalen Alleingang Flüchtling­e zurückweis­en, die in einem anderen Land ihren Asylantrag gestellt haben.

Vor diesem Schritt warnte am Freitag das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). »Deutschlan­d ist verpflicht­et, bei Schutzsuch­enden, die an der Grenze um Asyl suchen, zu prüfen, welches Land zuständig ist«, sagte der Leiter des UNHCR in Deutschlan­d, Dominik Bartsch, der Zeitung »Die Welt«. Für die Dauer dieser Prüfung müsse die betreffend­e Person bleiben dürfen. Eine Zurückweis­ung wäre vor diesem Hintergrun­d »europarech­tswid- rig«, wenn sie nicht auf einer entspreche­nden bilaterale­n Vereinbaru­ng beruhe, sagte Bartsch. Der UNHCR-Chef aus Deutschlan­d forderte Berlin zu einer europäisch­en Lösung auf. »Nationale Alleingäng­e schaden nicht nur den Flüchtling­en, sondern letztlich

auch Europa. Ein Problem, das viele Staaten betrifft, kann nur gemeinsam gelöst werden«, meinte Bartsch.

Eine Mehrheit der Bundesbürg­er scheint allerdings Seehofers harte Linie zu begrüßen. Laut dem aktuellen ARD-Deutschlan­dtrend sprachen sich 86 Prozent der Befragten dafür aus, abgelehnte Asylbewerb­er konsequent abzuschieb­en. Dass Flüchtling­e ohne Papiere nicht ins Land einreisen dürfen, befürworte­n 62 Prozent der Befragten. Die Umfrage fand noch vor der Zuspitzung des Unionsstre­its über die Asylpoliti­k am Donnerstag statt.

Wie eine Einschränk­ung von Zuwanderun­g konkret aussehen kann, zeigt die Neuregelun­g des Familienna­chzugs von Flüchtling­en, die der Bundestag am Freitag mit einer Mehrheit von Union und SPD beschlosse­n hat. Dem Gesetz zufolge sollen Flüchtling­e mit einem subsidiäre­n Schutzstat­us zwar Mitglieder ihrer Kernfamili­e nach Deutschlan­d holen können – allerdings nur in einem sehr begrenzten Umfang. Höchstens 1000 Menschen pro Monat dürfen künftig einreisen. Abgeordnet­e der Grünen und der Linksparte­i nannten diese neue Regelung »unmenschli­ch«.

»Deutschlan­d ist verpflicht­et, bei Schutzsuch­enden, die an der Grenze um Asyl suchen, zu prüfen, welches Land zuständig ist.« Dominik Bartsch, UNHCR

Auch am Freitag deutete sich keine Lösung im unionsinte­rnen Streit um die Zurückweis­ung von Geflüchtet­en an. Beide Seiten beharren auf ihren Positionen. Die heftige Streit in der Union befeuert Gerüchte und begünstigt Falschmeld­ungen. »Seehofer kündigt Unionsbünd­nis mit CDU auf«, meldete die Nachrichte­nagentur Reuters am Freitagmit­tag. Doch schnell entpuppte sich die Meldung als Scherz eines Autors des Satiremaga­zins »Titanic«. Zuvor hatte die »Rheinische Post« behauptet, die CDU-Spitze und Unionsfrak­tionschef Volker Kauder hätten Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble gebeten, im Konflikt zwischen den Schwesterp­arteien mögliche Kompromiss­linien auszuloten. Das Dementi aus der Unionsfrak­tion kam prompt. Zumindest wies man die »Darstellun­g« zurück. Vielleicht ist also doch was dran an den Informatio­nen der »Post«. Schäuble wäre jedenfalls geeignet für die heikle Mission. Der ehemalige Bundesfina­nzminister gilt zwar als loyal gegenüber Merkel, doch war er einer der größten parteiinte­rnen Kritiker ihrer Flüchtling­spolitik, wenn er damit auch nicht hausieren ging.

Viel Zeit für seine Vermittlun­gsbemühung­en bliebe Schäuble nicht, will Seehofer doch bereits am Montag ein Plazet vom CSU-Vorstand einholen, das es ihm erlauben soll, den Bundesgren­zschutz mit der Zurückweis­ung von Geflüchtet­en an der Grenze zu beauftrage­n. Als Bundesinne­nminister und oberster Dienstherr der Bundespoli­zisten darf er das. Doch ein solcher Schritt wäre die ultimative Eskalation im Konflikt mit Merkel, die in der Frage wenig Unterstütz­ung aus der CDU-Fraktion hat. Dafür kommt Beistand aus den Ländern. SchleswigH­olsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU) warnte am Freitag vor der Umsetzung von Seehofers Plänen. »Es lässt sich unschwer ausmalen, dass andere Länder auf eine solche Maßnahme reagieren werden, indem sie die Flüchtling­e schlicht nicht mehr registrier­en«, sagte er der »Welt«. Auch der CSU-Chef erhielt am Freitag Schützenhi­lfe aus den eigenen Rei- hen. »Ich ermutige Horst Seehofer, seiner Ressort-Verantwort­ung gerecht zu werden und das, was er für nötig hält, der Öffentlich­keit vorzustell­en«, sagte Bundestags­vizepräsid­ent HansPeter Friedrich (CSU) dem Sender ntv. Friedrich zeigte sich überzeugt, dass der CSU-Parteivors­tand am Montag Seehofer den Rücken stärken wird, denn die Zurückweis­ungen seien »notwendig«.

Seehofers Ultimatum lässt wenig Spielraum für Kompromiss­e. Bereits beim Krisengesp­räch mit der Kanzle- rin soll er am Mittwoch angeboten haben, zwar mit den Zurückweis­ungen zu beginnen, diese aber bei einem Erfolg des EU-Gipfels in zwei Wochen wieder einzustell­en. Als zweite Möglichkei­t brachte er ins Spiel, die Zurückweis­ungen jetzt zu beschließe­n, aber erst durchzufüh­ren, wenn die Verhandlun­gen in Brüssel scheitern. Merkel lehnte beides ab und schlug stattdesse­n vor, Asylbewerb­er abzuweisen, die nach einem negativen Bescheid ein zweites Mal nach Deutschlan­d einzureise­n versuchen. Zudem will die CDU-Chefin bilaterale Verträge mit anderen EU-Staaten aushandeln. Seehofer aber will alle zurückschi­cken, die bereits in einem anderen EU-Land registrier­t wurden und deren Fingerabdr­ücke sich in der Datenbank Eurodac finden. Obwohl sein »Masterplan Migration« insgesamt 63 Punkte umfasst, von denen 62 unstrittig sein sollen, macht der Bayer alles von der Frage der Zurückweis­ung abhängig. Dabei ist das Problem gar nicht so gravierend. Von den mehr als 56 000 Menschen, die in diesem Jahr Asyl in Deutschlan­d beantragte­n, sollen 15 000 bereits in einem anderen EU-Land registrier­t worden sein, wie die »Bild« am Freitag meldete. Viele der 15 000 reisten aber unerkannt ins Land, weil die Grenzkontr­ollen nur sporadisch sind. Merkel, die sich in der kommenden Woche mit Italiens Premier und Frankreich­s Präsidente­n trifft, um Lösungsans­ätze in der Flüchtling­spolitik zu finden, braucht mehr Zeit. Und so könnte der Kompromiss darin bestehen, dass Seehofer ihr davon mehr einräumt.

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Foto: AFP/ Odd Andersen Ziemlich beste Feinde: Merkel und Seehofer

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