Schlichtungsversuche im Asylstreit
Das Flüchtlingshilfswerk der UNO warnt vor einem nationalen Alleingang bei Abschiebungen
Die Fronten in der Union sind im Asylstreit nach wie vor verhärtet. Die Ultimatum der CSU steht. Vermittlungsversuche laufen. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner versuchte am Freitag, im Asylstreit der Union zu schlichten und formulierte ein gemeinsames Ziel beider Parteien: Die Migration müsse besser gesteuert und die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kommen, deutlich verringert werden. Sie sprach sich für den Kompromissvorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. Der sieht eine sofortige Zurückweisung an der Grenze vor, wenn der Asylantrag bereits einmal abgelehnt wurde. Zudem sollen auch jene Geflüchteten zurückgewiesen werden, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben. Dies müsse allerdings auf der Grundlage von bilateralen Vereinbarungen mit den Ländern geschehen, in welche die Asylbewerber zuvor eingereist waren. Die Kanzlerin will auf dem EU-Gipfel Ende Juni diesbezüglich mit Spanien, Italien und Griechenland verhandeln.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte der Kanzlerin eine Frist bis Montag gesetzt, um auf seine Position einzuschwenken. Anderenfalls will er per Ministerentscheid im nationalen Alleingang Flüchtlinge zurückweisen, die in einem anderen Land ihren Asylantrag gestellt haben.
Vor diesem Schritt warnte am Freitag das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). »Deutschland ist verpflichtet, bei Schutzsuchenden, die an der Grenze um Asyl suchen, zu prüfen, welches Land zuständig ist«, sagte der Leiter des UNHCR in Deutschland, Dominik Bartsch, der Zeitung »Die Welt«. Für die Dauer dieser Prüfung müsse die betreffende Person bleiben dürfen. Eine Zurückweisung wäre vor diesem Hintergrund »europarechtswid- rig«, wenn sie nicht auf einer entsprechenden bilateralen Vereinbarung beruhe, sagte Bartsch. Der UNHCR-Chef aus Deutschland forderte Berlin zu einer europäischen Lösung auf. »Nationale Alleingänge schaden nicht nur den Flüchtlingen, sondern letztlich
auch Europa. Ein Problem, das viele Staaten betrifft, kann nur gemeinsam gelöst werden«, meinte Bartsch.
Eine Mehrheit der Bundesbürger scheint allerdings Seehofers harte Linie zu begrüßen. Laut dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend sprachen sich 86 Prozent der Befragten dafür aus, abgelehnte Asylbewerber konsequent abzuschieben. Dass Flüchtlinge ohne Papiere nicht ins Land einreisen dürfen, befürworten 62 Prozent der Befragten. Die Umfrage fand noch vor der Zuspitzung des Unionsstreits über die Asylpolitik am Donnerstag statt.
Wie eine Einschränkung von Zuwanderung konkret aussehen kann, zeigt die Neuregelung des Familiennachzugs von Flüchtlingen, die der Bundestag am Freitag mit einer Mehrheit von Union und SPD beschlossen hat. Dem Gesetz zufolge sollen Flüchtlinge mit einem subsidiären Schutzstatus zwar Mitglieder ihrer Kernfamilie nach Deutschland holen können – allerdings nur in einem sehr begrenzten Umfang. Höchstens 1000 Menschen pro Monat dürfen künftig einreisen. Abgeordnete der Grünen und der Linkspartei nannten diese neue Regelung »unmenschlich«.
»Deutschland ist verpflichtet, bei Schutzsuchenden, die an der Grenze um Asyl suchen, zu prüfen, welches Land zuständig ist.« Dominik Bartsch, UNHCR
Auch am Freitag deutete sich keine Lösung im unionsinternen Streit um die Zurückweisung von Geflüchteten an. Beide Seiten beharren auf ihren Positionen. Die heftige Streit in der Union befeuert Gerüchte und begünstigt Falschmeldungen. »Seehofer kündigt Unionsbündnis mit CDU auf«, meldete die Nachrichtenagentur Reuters am Freitagmittag. Doch schnell entpuppte sich die Meldung als Scherz eines Autors des Satiremagazins »Titanic«. Zuvor hatte die »Rheinische Post« behauptet, die CDU-Spitze und Unionsfraktionschef Volker Kauder hätten Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gebeten, im Konflikt zwischen den Schwesterparteien mögliche Kompromisslinien auszuloten. Das Dementi aus der Unionsfraktion kam prompt. Zumindest wies man die »Darstellung« zurück. Vielleicht ist also doch was dran an den Informationen der »Post«. Schäuble wäre jedenfalls geeignet für die heikle Mission. Der ehemalige Bundesfinanzminister gilt zwar als loyal gegenüber Merkel, doch war er einer der größten parteiinternen Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik, wenn er damit auch nicht hausieren ging.
Viel Zeit für seine Vermittlungsbemühungen bliebe Schäuble nicht, will Seehofer doch bereits am Montag ein Plazet vom CSU-Vorstand einholen, das es ihm erlauben soll, den Bundesgrenzschutz mit der Zurückweisung von Geflüchteten an der Grenze zu beauftragen. Als Bundesinnenminister und oberster Dienstherr der Bundespolizisten darf er das. Doch ein solcher Schritt wäre die ultimative Eskalation im Konflikt mit Merkel, die in der Frage wenig Unterstützung aus der CDU-Fraktion hat. Dafür kommt Beistand aus den Ländern. SchleswigHolsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnte am Freitag vor der Umsetzung von Seehofers Plänen. »Es lässt sich unschwer ausmalen, dass andere Länder auf eine solche Maßnahme reagieren werden, indem sie die Flüchtlinge schlicht nicht mehr registrieren«, sagte er der »Welt«. Auch der CSU-Chef erhielt am Freitag Schützenhilfe aus den eigenen Rei- hen. »Ich ermutige Horst Seehofer, seiner Ressort-Verantwortung gerecht zu werden und das, was er für nötig hält, der Öffentlichkeit vorzustellen«, sagte Bundestagsvizepräsident HansPeter Friedrich (CSU) dem Sender ntv. Friedrich zeigte sich überzeugt, dass der CSU-Parteivorstand am Montag Seehofer den Rücken stärken wird, denn die Zurückweisungen seien »notwendig«.
Seehofers Ultimatum lässt wenig Spielraum für Kompromisse. Bereits beim Krisengespräch mit der Kanzle- rin soll er am Mittwoch angeboten haben, zwar mit den Zurückweisungen zu beginnen, diese aber bei einem Erfolg des EU-Gipfels in zwei Wochen wieder einzustellen. Als zweite Möglichkeit brachte er ins Spiel, die Zurückweisungen jetzt zu beschließen, aber erst durchzuführen, wenn die Verhandlungen in Brüssel scheitern. Merkel lehnte beides ab und schlug stattdessen vor, Asylbewerber abzuweisen, die nach einem negativen Bescheid ein zweites Mal nach Deutschland einzureisen versuchen. Zudem will die CDU-Chefin bilaterale Verträge mit anderen EU-Staaten aushandeln. Seehofer aber will alle zurückschicken, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden und deren Fingerabdrücke sich in der Datenbank Eurodac finden. Obwohl sein »Masterplan Migration« insgesamt 63 Punkte umfasst, von denen 62 unstrittig sein sollen, macht der Bayer alles von der Frage der Zurückweisung abhängig. Dabei ist das Problem gar nicht so gravierend. Von den mehr als 56 000 Menschen, die in diesem Jahr Asyl in Deutschland beantragten, sollen 15 000 bereits in einem anderen EU-Land registriert worden sein, wie die »Bild« am Freitag meldete. Viele der 15 000 reisten aber unerkannt ins Land, weil die Grenzkontrollen nur sporadisch sind. Merkel, die sich in der kommenden Woche mit Italiens Premier und Frankreichs Präsidenten trifft, um Lösungsansätze in der Flüchtlingspolitik zu finden, braucht mehr Zeit. Und so könnte der Kompromiss darin bestehen, dass Seehofer ihr davon mehr einräumt.