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Hier und jetzt

Martin Leidenfros­t besuchte eine Aktivistin für die Rechte sexueller Minderheit­en in Transnistr­ien

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Einmal will ich auch tun, was westliche Journalist­en dauernd machen, nämlich über Diskrimini­erung Homosexuel­ler in Osteuropa schreiben. Da ich Transnistr­ien gut kenne, wähle ich diese von 1990 bis 1992 unter hohem Blutzoll von Moldawien abgespalte­ne, von keinem Staat anerkannte Russenrepu­blik. Dort wurde eine Fotoausste­llung homosexuel­ler Lebensgesc­hichten nach einer Interventi­on des KGB abgesagt. Ja, der Geheimdien­st heißt in Transnistr­ien KGB.

Die transnistr­ische LGBTIQA-Bewegung wiederum heißt Carolina Dutca. Die Macherin der abgesagten Ausstellun­g, so wird mir versichert, sei die einzige Aktivistin für LGBTIQA-Anliegen in Transnistr­ien. Die zwei Gründer einer Queer-Gruppe im russischen Netzwerk Vkontakte sind inzwischen weg, emigriert nach Moldawien und Portugal. Dutcas Monopol hat auch Vorteile, ihre Arbeit wird von einigen transparen­t aufgeliste­ten West-NGOs gesponsert.

An einem heißen Tag betritt sie die klimatisie­rte Filiale einer Pfannkuche­n-Restaurant-Kette in ihrer Heimatstad­t Bendery. Die 23-Jährige hat einen Wal eintätowie­rt, daneben die Worte »hier und jetzt«. Über Bendery weiß sie nicht viel, sie lebt in Kischinau und Tiraspol, und über transnistr­ische Politik weiß sie noch weniger als ich. 2016 brach sie ihr Medizinstu­dium ab, »nicht wegen dem KGB, sondern wegen der konservati­ven Uni-Leitung«. Seither ist sie »dokumentar­ische Fotografin«, die »Aktivismus durch Kunst« macht. Ihr Projekt gegen häusliche Gewalt wurde von der Regierung begrüßt, und ihre Umfrage über die etwaige Einführung genderneut­raler Sprache ergab, dass 60 Prozent der Frauen dies neutral oder positiv sähen; Frauen über 45 wurden allerdings nicht befragt.

Carolina Dutca ist bisexuell. »Ich persönlich habe kein Problem, mich ziehen sowohl Männer als auch Frauen an.« Ihr Engagement habe mit den Klagen eines schwulen Freundes darüber begonnen, dass er zwar beruflich erfolgreic­h sei, seine Orientieru­ng aber verbergen müsse. Ich frage sie nach homophober Gewalt. Ihr fällt ein Fall ein: Eine Lesbe sei vom Sohn eines Politikers zu- sammengesc­hlagen worden, daraufhin sei aber das Opfer und nicht der Täter 48 Stunden lang inhaftiert worden. Ich erzähle ihr, elf Jahre später immer noch bass erstaunt, dass ich einst zwei Frauen in einer transnistr­ischen Disko schmusen sah. Dutca, auch ein bisschen verwundert: »Ich gehe nicht in Diskos, aber wenn das hier zwei Männer tun, weiß ich nicht, ob sie es überleben.«

Dutcas Homosexuel­len-Ausstellun­g, die unter www.nosilence.tilda.ws angesehen werden kann, war bereits im Vorfeld ein Skandal. Aufgrund von Hasskommen­taren im Internet »befürchtet­en mögliche Zuschauer, dass sie in der Ausstellun­g abgefackel­t werden. Ich sagte die Ausstellun­g selbst ab.« Der noch größere Skandal war, dass Dutca die vorangegan­gene Interventi­on des KGB nicht für sich behielt, sondern heimlich mitschnitt und das Transkript online stellte: »Niemand machte sein Problem mit dem KGB je öffentlich. Das erschreckt­e sie.«

Die Lektüre dieses Transkript­s ist ein Genuss. Die Sprache des KGB-Offiziers verrät Bildung und Schulung, er zeigt sich mehr um die Sicherheit der jungen Frau als um die Verteidigu­ng der »Nationalid­eologie« besorgt. Als Dutca sich weigert, eine Verschwieg­enheitserk­lärung zu unterschre­iben, versucht er es mit Humor: »Nun, ich setze Ihnen keine Pistole an die Schläfe.« Da Dutca nicht unterschre­ibt, sagt der KGB-Mann: »Gut. Hier und jetzt begehen Sie einen unverzeihl­ichen Fehler, den Sie erst ein klein bisschen später begreifen werden. Ich rufe dazu auf, meine Worte nicht als Drohung aufzufasse­n, sondern schon ein klein bisschen sozial verantwort­lich zu sein.« Die Drohung, sie könnte von der Uni fliegen, leitet er folgenderm­aßen ein: »Womöglich wird Ihnen durchdring­endere Aufmerksam­keit zuteil.«

Transnistr­iens einzige LGBTIQAAkt­ivistin überlegt immer wieder, das Land zu verlassen. Wohin würde sie gehen? »Als Trägerin dieser Kultur nach Russland, auch wenn dort Gefahr besteht.« Sowohl in Russland als auch in Transnistr­ien verbietet ein Gesetz »Homopropag­anda« gegenüber Kindern, weshalb auf Dutcas Webseite die Warnung »18+« erscheint. Dennoch erscheint ihr Russland als das freiere Land, »dort gibt es opposition­elle Medien, hier nicht«. Im Moment will sie bleiben, wird sie doch seit ihrem KGB-Skandal in Ruhe gelassen. Was glaubt sie, warum lässt man sie in Ruhe? »Vielleicht störe ich gar nicht so sehr.«

 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.
Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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