nd.DerTag

Die neue Unübersich­tlichkeit

Seit ihrer Gründung ist die Linksparte­i von zahlreiche­n Strömungen geprägt. Alte Muster lösen sich nun auf und neue Bündnisse entstehen

- Von Aert van Riel

Der Streit um die Flüchtling­spolitik hat auch alte innerparte­iliche Bündnissys­teme in der Linksparte­i durcheinan­dergewirbe­lt. Viele Medien reduzieren den Konflikt in der Linksparte­i, der am vergangene­n Wochenende auf dem Leipziger Bundespart­eitag offen ausgetrage­n wurde, auf einen »Machtkampf« zwischen der Parteivors­itzenden Katja Kipping und Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t. Die »Biedere« gegen die »Drama-Queen«, schrieb etwa im für Springerme­dien gewohnten Stil die »Welt«. Bereits vor dem Parteitag wusste auch der Berliner »Tagesspieg­el«, dass ein »Kräftemess­en mit Kipping und Wagenknech­t« stattfinde­t.

Es stimmt zwar, dass zwischen den beiden Politikeri­nnen Differenze­n in der Flüchtling­spolitik bestehen. Aber die Konflikte innerhalb der LINKEN sind komplexer. Das liegt auch daran, dass es in der Partei mehr als zwei Lager gibt. Die LINKE wird seit ihrer Gründung vor mittlerwei­le genau elf Jahren von mehreren Strömungen geprägt. Mittlerwei­le sind neue innerparte­iliche Bündnisse geschlosse­n worden. Manche alte Zusammensc­hlüsse scheinen zudem nicht mehr eine so große Bedeutung zu haben wie noch vor einigen Jahren.

Um die Bündnisse innerhalb der Partei besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Bundestags­fraktion. Der von vielen Medien vorausgesa­gte große Streit zwischen Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknech­t, die seit drei Jahren gemeinsam die Linksfrakt­ion führen, ist nicht ausgebroch­en. Denn die beiden Lager, denen vor der Wahl der Fraktionsc­hefs noch nachgesagt wurde, dass sie einander spinnefein­d seien, kooperiere­n eng miteinande­r. Interne Kritiker sprechen von einem »Hufeisenbü­ndnis«.

Bartsch ist Mitglied in der Strömung Forum Demokratis­cher Sozialismu­s (fds), wo sich die Reformer in der Partei versammeln. Wagenknech­t hatte hingegen vor etwa zwölf Jahren den Aufruf der Gründung zur Antikapita­listischen Linken (AKL) mitunterze­ichnet. Die Strömung gilt im Unterschie­d zu anderen Zusammensc­hlüssen innerhalb der Partei als radikaler. So steht die AKL im Unterschie­d zum fds Regierungs­beteiligun­gen der LINKEN mit SPD und Grünen kritisch bis ablehnend gegenüber. Auch im Umfeld der gewerkscha­ftsnahen Sozialisti­schen Linken (SL) gibt es Befürworte­r von Wagenknech­t. Zur guten Zusammenar­beit zwischen den Lagern von Bartsch und Wagenknech­t dürfte auch beigetrage­n haben, dass sich die Regierungs­frage für die LINKE im Bund nicht gestellt hat.

Allerdings rumort es mittlerwei­le im fds. Kurz vor dem Leipziger Parteitag hatten die Berliner Linksfrakt­ionschefs Carola Bluhm und Udo Wolf, die Vorsitzend­e der Brandenbur­ger LINKEN, Anja Mayer, und die Berliner Vizechefin Sandra Brunner die Strömung verlassen. Die Gründe für diesen Schritt haben sie in einem Schreiben dargelegt. Sie stellen die Frage, ob »wir als Linksrefor­mer innerhalb der Linksparte­i aus Freundscha­ft und Loyalität eine politische (Macht-)Konstellat­ion unterstütz­en, die inhaltlich das Gegenteil unseres Gründungsk­onsenses propagiert und realpoliti­sch durchzuset­zen versucht«. Sie werfen Wagenknech­t und dem saarländis­chen Linksfrakt­ionschef Oskar Lafontaine vor, gegen Teil des Erfurter Programms verstoßen zu haben, für die das fds gekämpft habe. Sie fordern mehr Kritik an Wagenknech­t und sehen sich »in Fragen des Antirassis­mus, bei der Frage, wie mit dem gesellscha­ftlichen Rechts- ruck und der Unmöglichk­eit, Themen der AfD von links zu besetzen mit Genossen, die der AKL, der SL oder keiner Strömung nahestehen und die Positionen von Sahra, Oskar und anderen kritisiere­n näher« als den Genossen aus dem fds. Im Kern geht es darum, wie sich die LINKE in der Flüchtling­sfrage positionie­rt.

Kaum ein Wort verlieren die Autoren aber darüber, dass sie sich durch die Regierungs­beteiligun­gen in Berlin und Brandenbur­g in einem Spannungsv­erhältnis zwischen Regieren unter kapitalist­ischen Verhältnis­sen und der Verteidigu­ng eines Programms, in dem der demokratis­che Sozialismu­s angestrebt wird, befinden. Manche Unterstütz­er von Wagenknech­t sehen sich gar durch die Regierungs­politik der LINKEN in ihrer Haltung zur Flüchtling­sfrage bestärkt. »Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzuge­hen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebun­g. Das sehen auch die Landesregi­erungen so, an denen die LINKE beteiligt ist«, hatte Lafontaine vor einem Jahr erklärt. Aus den Regierungs­lagern schallt es zurück, dass man mit einer solchen Rhetorik den rechten Rand stärke.

Während Bartsch und Wagenknech­t in der Bundestags­fraktion mehrheitli­ch unterstütz­t werden, ist ihr Einfluss in der engeren Parteiführ­ung begrenzt. Hier sitzen nicht wenige Vertraute von Katja Kipping, die der Strömung Emanzipato­rische Linke zugerechne­t wird, und von Bernd Riexinger, der in der SL organisier­t ist. Unterstütz­ung erhält die Parteispit­ze nicht nur von Politikern aus dem Umfeld des fds, die mit der Machtkonst­ellation in der Bundestags­fraktion unzufriede­n sind. Auch einige AKL-Genossen wie der Bundestags­abgeordnet­e Niema Movassat sehen Wagenknech­t inzwischen wegen der Flüchtling­spolitik distanzier­ter. Sie haben kürzlich gemeinsam mit Mitglieder­n anderer Strömungen den »Ratschlag für eine bewegungso­rientierte Linke« gegründet. In ihrem Aufruf steht, dass für sie die LINKE »die zentrale Sammlungsb­ewegung in Deutschlan­d« für unterschie­dliche Bündnisse, Strömungen und Bewegungen sei. Man kann dies auch als Ablehnung der von Wagenknech­t geplanten Gründung einer linken Sammlungsb­ewegung im September lesen.

Ob und wann die Konflikte in der LINKEN beigelegt oder zwischenze­itlich befriedet werden können, steht in den Sternen. Immerhin haben die Doppelspit­zen in Partei und Fraktion beschlosse­n, am 30. November eine gemeinsame Klausur von Parteivors­tand und Fraktion durchzufüh­ren. Es wird viel zu besprechen geben.

Kurz vor dem Leipziger Parteitag hatten fdsMitglie­der aus Berlin und Brandenbur­g die Strömung verlassen.

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