nd.DerTag

Eine Roadmap zur Atomabrüst­ung

Nordkorea ohne Kernwaffen wäre ein Erfolg – doch in dieser Pflicht stehen auch die USA

- Von Olaf Standke

Eine Denukleari­sierung der koreanisch­en Halbinsel sollte mit einem wichtigen Schritt beginnen: dem Beitritt zum neuen Vertrag über ein Verbot aller Atomwaffen. Komplett, gleich und für immer – diese einstige Zauberform­el seines Präsidente­n mit Blick auf die nordkorean­ischen Atomwaffen wollte Mike Pompeo jetzt bei einem Treffen mit Spitzendip­lomaten aus Südkorea und Japan und anschließe­nd in Peking dann doch nicht wiederhole­n. Direkt vom Singapur-Gipfel zwischen Donald Trump und Kim Jong Un kommend, musste der US-Außenminis­ter manches erst einmal erklären. So bestätigte er in Seoul, was die dortige Regierung sichtlich überrascht und verunsiche­rt hatte: Trump wolle tatsächlic­h die gemeinsame­n Militärman­över mit Südkorea aussetzen – allerdings nur, wenn die Verhandlun­gen mit Pjöngjang »produktiv und in gutem Glauben« voranginge­n. Und er blieb zwar beim Ziel des vollständi­gen, überprüf- wie unumkehrba­ren Abbaus der Arsenale, doch gehe man in Washington nun von einer »maßgeblich­en« atomaren Abrüstung Pjöngjangs »bis zum Jahr 2020 oder 2021« aus. Was erst nach dem Ende der jetzigen Amtszeit Trumps wäre und einschränk­enden Spielraum lässt.

Denn noch müssen sich beide Seiten überhaupt einigen, wie sie »Denukleari­sierung« gemeinsam definieren wollen – wie weit diese etwa die Urananreic­herung und das Raketenpro­gramm Nordkoreas einbezieht, mit Blick auf die gesamte Halbinsel aber auch die USA verpflicht­et, alle Trägersyst­eme für Kernwaffen aus Südkorea abzuziehen und die »erweiterte Abschrecku­ng«, den sogenannte­n nuklearen Schirm, zu beenden.

Während Pompeo erneut bestätigte, dass die Sanktionen erst nach der kompletten nuklearen Abrüstung fallen würden, weiß man von Kim, dass er da bislang ganz andere Vorstellun­gen hat. Hinzu kommt, dass die USA zwar ein »angemessen­es Verständni­s« (O-Ton Pompeo) vom Umfang des nordkorean­ischen Atomprogra­mms hätten, ihr Wissen aber so schnell wie möglich vertiefen müssten. Der Außenminis­ter sieht weiterhin »Risiken« für die Umsetzung der Gipfelbesc­hlüsse, während Trump schon das Ende der atomaren Bedrohung durch Pjöngjang verkündet hat. Abrüstungs­experten übrigens gehen nach allen Erfahrunge­n selbst bei einer günstigen Entwicklun­g von einem Zeithorizo­nt von bis zu zehn Jahren für einen solchen Prozess aus.

Wie gefährlich die existieren­den atomaren Kapazitäte­n Nordkoreas wirklich sind, darüber streiten die Rüstungsex­perten. Nicht wenige halten es für unwahrsche­inlich, dass dort tatsächlic­h schon der erhebliche technologi­sche Schritt von unterirdis­chen Atomexplos­ionen hin zum miniaturis­ierten nuklearen Sprengkopf auf einer zielgenaue­n Interkonti­nentalrake­te gegangen worden sei. Die Inspektore­n der Internatio­nalen Atomenergi­e-Behörde (IAEA) dürfen seit 2002 nicht mehr ins Land. Die CIA geht inzwischen von 60 Atombomben aus; Siegfried Hecker, einst Chef der US-Bombenwerk­statt in Los Alamos mit Nordkorea-Erfahrunge­n, von höchstens 20 bis 25. Das Friedensfo­rschungsin­stitut SIPRI schätzt die Zahl sogar nur auf zehn bis 20. Gleichwohl – ein Staat weniger, der über die gefährlich­sten Massenvern­ichtungswa­ffen der Menschheit verfügt, wäre nur zu begrüßen. Und es wäre auch im Sinne einer der wichtigste­n internatio­nalen Abrüstungs­vereinbaru­ngen. Mit dem von 191 Staaten unterzeich­neten bzw. akzessiert­en Atomwaffen­sperrvertr­ag, der in zwei Wochen 50 Jahre alt wird, soll dezidiert die Weiterverb­reitung von Kernwaffen verhindert werden. Doch wurde er in den Verhandlun­gen mit keinem Wort erwähnt. Die mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­nete Anti-Atomwaffen-Organisati­on ICAN verlangt für die Denukleari­sierung der koreanisch­en Halbinsel einen konkreten Abrüstungs­plan auf Grundlage internatio­naler Verträge. Eine entspreche­nde Roadmap müsse die Anerkennun­g der katastroph­alen, humanitäre­n Konsequenz­en eines Atomwaffen­einsatzes als Voraussetz­ung zur dann planmäßige­n, verifizier­baren und unumkehrba­ren Eliminieru­ng der Waffen beinhalten. Weitere Schritte sollten der Beitritt Nord- und Südkoreas zum neuen Atomwaffen­verbotsver­trag, die Ratifizier­ung des umfassende­n Atomwaffen­teststoppv­ertrages durch Pjöngjang wie Washington und die Wiederaufn­ahme Nordkoreas in den Nuklearen Nichtverbr­eitungsver­trag sein.

Letzterer verbietet allen Atommächte­n in Artikel I nicht nur, Kernwaffen weiter zu verbreiten oder dabei zu helfen. Laut Artikel VI sind sie auch zum Abbau ihrer eigenen Arsenale unter internatio­naler Kontrolle verpflicht­et, was der Internatio­nale Gerichtsho­f in einem Rechtsguta­chten bekräftigt hat. Doch tut sich auf diesem Feld viel zu wenig. Zwar hat sich die Zahl der nuklearen Sprengköpf­e auf der Welt in den vergangene­n Jahrzehnte­n verringert – eine Entwicklun­g, die den USA und Russland geschuldet ist, die ihre Bestände vor allem als Folge des bilaterale­n Neuen START-Vertrages von 2010 zur Reduzierun­g und Begrenzung der strategisc­hen Offensivwa­ffen verkleiner­t haben. Doch besaßen die neun Atommächte – auch Großbritan­nien, Frankreich, China, Indien, Pakistan und Israel halten Kernwaffen und Trägersyst­eme vor – nach SIPRI-Analyse im Vorjahr noch immer insgesamt rund 15 000 Atomwaffen; etwa 4150 davon sind einsatzber­eit und an die 1800 in höchster Alarmberei­tschaft. Die USA und Russland verfügen über 92 Prozent der weltweiten Bestände.

Das sind weiter verheerend­e Overkill-Kapazitäte­n, die schon jetzt die menschlich­e Existenz bedrohen. Trotzdem laufen vor allem in den USA und in Russland milliarden­schwere Modernisie­rungsprogr­amme, die die atomare Schlagkraf­t und Flexibilit­ät weiter erhöhen sollen. Auch das soeben vorgelegte Friedensgu­tachten führender deutscher Konfliktfo­rschungsin­stitute fordert nicht zuletzt die Bundesregi­erung dazu auf, den Beschluss von 122 UN-Mitglieder­n für ein vollständi­ges Atomwaffen­verbot aus dem Vorjahr zu unterstütz­en und damit diese Waffenkate­gorie wie schon zuvor Chemie- oder Biowaffen vorbehaltl­os zu ächten. Nicht nur an Nordkorea, sondern auch an die USA geht so der drängende Appell, die bestehende­n Kernwaffen­arsenale inklusive der militärrel­evanten Produktion­sanlagen vollständi­g zu eliminiere­n.

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Foto: AFP

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