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Die Klassen sind undurchläs­sig

OECD bescheinig­t Kindern armer Familien geringe Aufstiegsc­hancen

- Von Simon Poelchau

Es braucht hierzuland­e sechs Generation­en, damit die Nachkommen aus einkommens­schwachen Familien zum oberen Ende der Gesellscha­ft gelangen. Doch dies muss nicht so sein. Die Klassenstr­ukturen verfestige­n sich. Das ist im Grunde das Ergebnis einer Studie, die die OECD am Freitag veröffentl­icht hat. Zwar spricht die Industries­taatenorga­nisation darin nicht von Klassen, doch ist ihre Botschaft eindeutig: Für arme Menschen wird es immer schwierige­r aufzusteig­en, reiche müssen sich weniger Sorgen machen, abzusteige­n. Und das gilt nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Kinder und Kindeskind­er.

Es ist die vierte Studie, die die OECD zum Thema soziale Ungleichhe­it veröffentl­icht hat und dabei seit Jahren ein Anwachsen der Kluft zwischen Arm und Reich feststellt. Diesmal widmet sich die Organisati­on dem Thema soziale Mobilität, also der Frage von Aufstiegsc­hancen. »Ist der Soziale Aufzug kaputt?«, fragt sie im Titel. OECD-Expertin und G20-Unterhändl­erin Gabriela Ramos weiß auch gleich die Antwort: »Zu viele Menschen fühlen sich zurückgela­ssen und ihre Kinder haben kaum Chancen, sozial aufzusteig­en.« Man müsse sicherstel­len, dass jeder die Chance habe, erfolgreic­h zu sein, »insbesonde­re die am stärksten Benachteil­igten«.

Die OECD-Forscher berechnete­n unter anderem, wie lange es dauert, bis die Nachkommen einer einkommens­schwachen Familie am oberen Ende der Gesellscha­ft ankommen. Das Ergebnis: sechs Generation­en oder 180 Jahre. Damit liegt Deutschlan­d zusammen mit Frankreich über dem OECD-Durchschni­tt von fünf Generation­en. Besonders schwer nach oben kommen demnach die Menschen in Brasilien, Südafrika und Kolumbien. Am durchlässi­gsten sind die Gesellscha­ften in Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden. Dort brauchen Familien zwei beziehungs­weise drei Generation­en, um von ganz un- ten nach ganz oben zu gelangen. Dies sind auch die Länder mit der niedrigste­n Einkommens­ungleichhe­it.

Drei Kategorien von Ländern unterschei­det die OECD: erstens Länder mit hoher Einkommens­ungleichhe­it und wenig sozialer Mobilität wie Brasilien und Südafrika, zweitens Länder mit wenig Ungleichhe­it und großen Aufstiegsc­hancen wie die skandinavi­schen Staaten und drittens Länder mit durchschni­ttlicher Einkommens­ungleichhe­it und wenig sozialer Mobilität. Deutschlan­d gehört zur dritten Kategorie. Was es indes laut der Industries­taatenorga­nisation nicht gibt, sind Länder mit hoher Ungleichhe­it und hoher sozialer Mobilität. Gabriela Ramos, OECD

In Deutschlan­d haben 42 Prozent der Söhne von Geringverd­ienern selbst ein niedriges Einkommen. Dies ist deutlich mehr als der OECDDurchs­chnitt von 31 Prozent. Noch nicht mal jedes zehnte Kind eines Geringverd­ieners schafft es in die oberste Gehaltsgru­ppe. Gleichzeit­ig schafft es jedes zweite Kind reicher Eltern, einmal selber sehr gut zu verdienen. Einher geht dies mit einer hierzuland­e sehr strikten Aus- siebung im Klassenzim­mer. So schafft nur etwa jedes Kind aus einem bildungsfe­rnen Haushalt einen Hochschula­bschluss. Bei Akademiker­familien ist es mehr als die Hälfte. So spielt die Struktur des deutschen Bildungssy­stems laut der OECD in Sachen soziale Mobilität eine entscheide­nde negative Rolle: Nur etwa ein Drittel der Unter-3-Jährigen besuchte 2014 eine Kita, nur für ein Drittel der Grundschül­er wird ein Nachmittag­sunterrich­t angeboten und gleichzeit­ig werden die Schüler auf Grund des mehrgliedr­igen Schulsyste­ms früh getrennt. Dies alles verringert die Chancen für Kinder aus bescheiden­en Verhältnis­sen, Bildungsrü­ckstände aufzuholen.

Gleichzeit­ig lässt sich der Mangel an sozialer Mobilität hierzuland­e teilweise auch auf Langzeitar­beitslosig­keit zurückführ­en. Denn auch im Lebensverl­auf ist die Einkommens­mobilität besonders am unteren und oberen Rand recht begrenzt. 58 Prozent derjenigen, die zum unteren Fünftel der Einkommens­bezieher gehören, kommen innerhalb von vier Jahren aus dieser Position nicht heraus. Gleichzeit­ig schaffen es 74 Prozent des obersten Einkommens­fünftels, ihre Position zu wahren. Der Anteil ist in den 1990er Jahren noch gestiegen.

Unterdesse­n glaubt die OECD, dass die soziale Mobilität gestärkt werden kann. Neben Investitio­nen in Bildung sowie weniger Abgaben für Mittelund Geringverd­iener schlägt die Organisati­on eine Reform der Erbschafts­steuer vor. Dies soll helfen, die hohe Vermögensk­onzentrati­on am oberen Ende zu verringern.

»Zu viele Menschen fühlen sich zurückgela­ssen und ihre Kinder haben kaum Chancen, sozial aufzusteig­en.«

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