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Ballverdru­ss

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

- Von Felix Bartels Alle Kolumnen unter: dasND.de/abseits

Dem Fußball scheint Ähnliches zu blühen wie Apple, Sushi oder Netflix. Er läuft nach wie vor und irgendwie auch ganz gut, doch das symbolisch­e Kapital schwindet. Längst hat sich Verdrossen­heit unter die Begeisteru­ng gemischt, ist das Mythische im Alltäglich­en ertrunken und der Reiz verloren, mehr darin zu sehen, als darin ist. Die Fahnen, diese elenden, sind heute dünner gesät denn je, und während die WM früher allgegenwä­rtig war, ist das Einzige, was sich heute noch aufdrängt, das bierselige Antlitz Thomas Müllers beim Rewe.

Es mag wohl sein, dass alles irgendwann mal ausgepress­t ist. Vielleicht auch sind sinken die Zahlen beim TV und in den Stadien bloß zeitweilig. Man könnte äußerliche Gründe anführen wie etwa, dass der Saisonkale­nder seit der Jahrhunder­twende so dicht besetzt ist, dass die Woche keinen fußballfre­ien Tag mehr hat. Der Einsatz nicht sportlich erzeugter Mittel zudem, durch den Vereine, die nie eine Rolle spielten, über Nacht an die Spitze katapultie­rt wurden, stört die romantisch­e Vorstellun­g, es gehe beim Fußball zuerst um sportliche­n Wettbewerb.

Der Taktikboom, der das in diesen Belangen stets unterentwi­ckelte Deutschlan­d um 2010 herum erreichte, konnte den Verdruss nur kurzzeitig aufhalten. Skandale schließlic­h um Korruption und Doping sowie die speziell im Länderspie­lbereich zuletzt dominanten Spielsyste­me defensiver Ausrichtun­g taten den Rest. Die EM 2016 mit ihrem traurigen Schnitt von 2,12 Toren pro Spiel hatte mit Portugal einen angemessen tristen Meister.

All das wird den Fußball nicht killen – und wenn diese WM mit dynamische­m Spiel und schönen Toren startet, wird es ohnehin schnell in den Hintergrun­d treten. Tut sie das nicht, ist auf den Unterhaltu­ngswert schrecklic­h wichtiger Sportjourn­alisten noch immer Verlass. Insbesonde­re wenn sie entschloss­en sind, dieser WM aus Gründen, die nichts mit Fußball zu tun haben, keine Chance zu geben. Bei »Zeit Online« etwa schrieb am 6. Juni einer namens Stef- fen Dobbert, dass er die WM boykottier­en werde. Weil sie in Russland stattfinde­t nämlich. »Mit der WM-Vergabe an Russland hat der Fifa-Fußball seine Unschuld verloren.« Gemeint ist wohl jene Unschuld, die der Weltverban­d unter Havelange und Blatter, mit dem Betrug des DFB um die WM-Vergabe und den Arbeitslag­ern in Katar angehäuft hat. Alles war so schön, und dann kam Putin. Schon wieder steht der Iwan an der Wolga.

Doch deutsch sein heißt Gründe haben. Einfach nur irgendwas scheiße finden, das wäre zu ehrlich. Und welche sind es? Ja, die inneren Zustände, die charismati­sche Herrschaft, das rückständi­ge Denken, und dann trennen sie nicht mal ihren Müll, wie das WM-Heft des »Kicker« besorgt berichtet. Dobbert seinesteil­s merkt gerade noch, dass dergleiche­n ihn in die Schwierigk­eit brächte, künftig auch alle anderen Turniere boykottier­en zu müssen. Also zieht er eine rote Linie: »Ein Land, das Angriffskr­iege führt, darf nicht Gastgeber von Großereign­issen wie Olympische­n Spielen oder Fußballwel­tmeistersc­haften sein.« Um anschließe­nd den Vergleich zum OlympiaBoy­kott von 1980 zu bemühen. Damals beschlosse­n die NATO-Staaten unter Führung der USA, die zu diesem Zeitpunkt seit 1945 ca. 20 militärisc­he Operatione­n jenseits des Bündnisgeb­iets geführt hatten, wo die rote Linie liege, bei der Sowjetunio­n nämlich. Heute beschließt die »Zeit«, wo sie liegt. Als im Juli 2000 die WM an Deutschlan­d vergeben wurde, hatte die Bundeswehr gerade Belgrad zu Asche gebombt. Ich vervollstä­ndige meinen Satz. Deutsch sein heißt Gründe haben, ohne sich von Tatsachen stören zu lassen.

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Foto: 123rf/Roman Koksarov

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