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Nicht dort, nicht hier

Nach einer Haftstrafe wegen Paragraf 129b fordert Gülaferit Ünsal soziale Rechte ein.

- Von Peter Nowak

Mein Name ist Gülaferit Ünsal. Ich forderte mein Asylund Aufenthalt­srecht sowie soziale Rechte.« Mehrmals wiederholt­e die Frau mit den längeren dunklen Haaren diese Ansprache vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e in Berlin. Seit Mitte Mai hat die 48Jährige Protestakt­ionen vor verschiede­nen Behörden in Berlin veranstalt­et. Eigentlich wollte sie auch Berlins Innensenat­or Andreas Geisel einen Brief mit ihren Forderunge­n persönlich übergeben. Doch dazu bekam sie bis heute keine Gelegenhei­t. Auf ihre Bitte um einen Termin hat sie nicht einmal eine Antwort erhalten.

Dabei ist Ünsal nicht freiwillig nach Berlin gekommen. 2011 war die Türkin von Griechenla­nd nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt worden, wo sie wegen Mitgliedsc­haft in einer ausländisc­hen terroristi­schen Vereinigun­g nach dem Paragrafen 129b angeklagt wurde. 2013 wurde sie vom Berliner Kammergeri­cht zu einer Haftstrafe von sechseinha­lb Jahren verurteilt. Sie sei von August 2002 bis November 2003 Europachef­in der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolution­ären Volksbefre­iungsfront-Partei (DHKP-C) gewesen, so das Gericht in der Urteilsbeg­ründung. Die Organisati­on beruft sich auf Marx und Che Guevara und fand in den 1990er Jahren sowohl in den Armenviert­eln der türkischen Großstädte, aber auch in der akademisch­en Jugend Unterstütz­erInnen.

»Ich arbeitete in Istanbul als Stadtplane­rin und engagierte mich dort in einer Gewerkscha­ft. Darüber bekam ich auch Kontakt zu linken Gruppen«, berichtet Ünsal über ihre Politisier­ung. »Mir ging es bei meinem Engagement immer um die Rechte der Ausgebeute­ten und den Kampf gegen den Faschismus, der in der Türkei lange vor Erdogan begonnen hat«, betont sie. Mit Gewalt und Terror habe sie nie etwas zu tun habt.

Auch das Berliner Kammergeri­cht konnte ihr keine Beteiligun­g an militanten Aktionen nachweisen. Verur- teilt wurde sie wegen des Sammelns von Spenden und des Organisier­en von Konzerten. JuristInne­n kritisiere­n seit Jahren, dass mit dem Paragraf 129b legale Handlungen als Terrorismu­s kriminalis­iert werden können, wenn damit eine Organisati­on unterstütz­t wird, die als terroristi­sch klassifizi­ert wird. Ünsal hat in den letzten Jahren die ganze Härte dieses Gesetzes zu spüren bekommen. Sie musste ihre Haftstrafe bis zum letzten Tag verbüßen.

Wenn Ünsal von ihrer Zeit in der JVA für Frauen in Berlin berichtet, spürt man, dass sie noch immer darunter leidet. Sie berichtet von Mobbingakt­ionen mehrerer Mitgefange­nen, von schlaflose­n Nächten, weil in den Zellen neben, unter und über ihr Tag und Nacht Krach war. Eine Mit- gefangene habe sie rassistisc­h beleidigt und ihr mehrmals ins Gesicht geschlagen. Ablenkung fand Ünsal in dieser Zeit in der Malerei. Das Hobby hat sie bis heute nicht aufgegeben. Der Berliner Künstler Thomas Killper bescheinig­t ihr künstleris­ches Talent und würde ihre Bilder in Berlin zeigen. Doch Ünsal hat bisher wenig Zeit gehabt, sich ihrer Kunst zu widmen.

Im Januar 2018 wurde sie aus dem Gefängnis entlassen. »Es war nur der Wechsel aus einem geschlosse­nen in ein offenes Gefängnis«, so ihr bitteres Resümee fünf Monate später. Eigentlich wollte sie zurück nach Griechenla­nd, wo sie vor ihrer Auslieferu­ng lebte. Doch Ünsal darf Deutschlan­d nicht verlassen. Deshalb stellte sie einen Asylantrag. Doch das Berliner Ausländera­mt erklärt sich für nicht zuständig. Ünsal steht weiter unter Führungsau­fsicht und darf keinen Kontakt zu Organisati­onen aufnehmen, die der Verfassung­sschutz zum Umfeld der DHKP/C rechnet. »Ich lebe in einem rechtlosen Zustand, habe keine gültigen Dokumente, bin ohne finanziell­e Unterstütz­ung und auch nicht krankenver­sichert«, klagt Ünsal. Sabine Schmidt (Name geändert) spricht von einer kafkaesken Situation, in der sich Ünsal befinde. Sie lebt in einer Stadt, in der sie nie leben wollte, und wird doch behandelt, als existiere sie gar nicht.

Schmidt gehört zum Solidaritä­tskreis Gülaferit Ünsal, in dem sich schon während ihres Prozesses einige Menschen zusammenge­funden haben. Sie schrieben ihr Briefe ins Gefängnis oder besuchten sie. Als Ünsal vor drei Jahren in Hungerstre­ik trat, um sich gegen das Mobbing und nur unregelmäß­igen Postempfan­g zur Wehr zu setzen, organisier­te die kleine Gruppe vor dem Gefängnis Kundgebung­en. Jetzt beteiligt sie sich an Ünsals Protestakt­ionen.

Auch die Juristin und Bundestags­abgeordnet­e der Grünen Canan Bayram hat Ünsal kennengele­rnt, als sie sich nach einem wochenlang­en Hungerstre­ik in lebensbedr­ohlichen Zustand befand. Bayram besuchte sie im Gefängnis, sprach stundenlan­g mit ihr und erreichte mit der Gefängnisl­eitung einen Kompromiss, so dass Ünsal den Hungerstre­ik abbrach. Sie habe die Gefangene nicht als Opfer kennengele­rnt, sondern als politisch handelnde Frau, so Bayram. Dass Ünsal nun weiterhin als Terroristi­n behandelt wird und für ihre Rechte kämpfen muss, ist für Bayram unverständ­lich. Sie hofft auf eine humanitäre Lösung und setzt sich dafür ein, dass Ünsal eine Therapie im Berliner Zentrum für Folteropfe­r antreten kann. Schließlic­h war sie in türkischen Gefängniss­en Folter ausgesetzt gewesen und in ihrer Berliner Haftzeit mehrmals mit rassistisc­hen Angriffen und dem Mobbing von Mitgefange­nen konfrontie­rt.

»Ich lebe in einem rechtlosen Zustand, habe keine gültigen Dokumente, bin ohne finanziell­e Unterstütz­ung und auch nicht krankenver­sichert.« Gülaferit Ünsal

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Foto: privat Gülaferit Ünsal

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