nd.DerTag

Gefühle als Totschlaga­rgument

Der neueste Trick des Kapitalism­us: Emotionen verwandeln sich in Waren, die konsumiert werden wollen. Denn nur wer gut drauf ist, ist auch ein guter Mensch.

- Von Wolfgang M. Schmitt

Emotionale Texteinsti­ege werden Journalist­en und solchen, die es werden wollen, von Schreibcoa­chs empfohlen, um den Leser in den Text »reinzuzieh­en«. Emotionen, trichtern einem die Narrations­trainer bei ihren teuren Seminaren und Workshops ein, seien es, warum Menschen überhaupt Zeitung lesen. Empirisch ist das kaum belegbar; macht aber auch nichts, wollen die Coachs doch selten argumentat­iv, sondern mit ihrer eigenen, als authentisc­h verkauften Gefühligke­it überzeugen. Denn, lautet die anthropolo­gische Binsenweis­heit, wir alle sind Gefühlsmen­schen. Rationale Argumentat­ionen sind da nur hinderlich. Dass die propagiert­e Emotionali­sierungsst­rategie in den meisten Fällen eine Boulevardi­sierung des seriösen Journalism­us zur Folge hat, dass dies oft nur ein Zugeständn­is an die sozialen, hochaffekt­iven Medien ist, dass dies vom – eigentlich wünschensw­erten – räsonieren­den zum bloß konsumiere­nden Leser führt, ja, nachgerade manipulati­v ist, bleibt unausgespr­ochen.

Gefährlich wird es, wenn dieser Gefühlsjou­rnalismus auf Gefühlspol­itik trifft. Erinnern wir uns: Angela Merkel begründete ihre Ablehnung der »Ehe für alle« mit ihrem Bauchgefüh­l und Donald Trump verwendet in seinen Tweets gegen politische Gegner inflationä­r häufig das Wort »sad!« (»traurig!«). Darauf wurde nicht selten ebenso emotional reagiert, was wenig zielführen­d ist. Wo Emotionen regieren, verkommt der politische Diskurs. Zuletzt war dies zu erleben, als man Gefühle gegen Statistike­n stellte: Zwar zeigt die jüngste Kriminalst­atistik, dass Deutschlan­d wesentlich sicherer geworden ist, doch sofort kommentier­ten Politiker und Journalist­en, man solle die »gefühlte Unsicherhe­it« beachten, diese sei viel entscheide­nder – weshalb der Polizeiapp­arat vergrößert und die Überwachun­gsmaßnahme­n ausgebaut gehören.

Gefühle sind die neuen Totschlaga­rgumente: Wer sich unsicher oder beleidigt fühlt, hat Recht. Auch Kritiker unterstütz­en ihre Geschmacks­urteile gern mit Emotionen: So sind die O-Töne auf Buchrücken in erster Linie Gefühlsbek­undungen. Manchmal wird gelacht, häufig wird geweint. Wer sich einmal die Mühe macht, in einer Buchhandlu­ng die Belletrist­ikabteilun­g zu durchstöbe­rn und wahllos O-Töne zu lesen, ertrinkt in einem Meer aus Kritikertr­änen – vor allem Elke Heidenreic­h sorgt für einen konstant hohen Pegelstand.

Verlage lieben das, denn Emotionen verkaufen sich besser denn je. Das beweist – völlig unemotiona­l, aber sehr scharfsinn­ig – der von der israelisch­en Soziologin Eva Illouz herausgege­bene Band »Wa(h)re Gefühle. Authentizi­tät im Konsumkapi­talismus«. Bislang ging man davon aus, dass der Kapitalism­us unsere Gefühle prägt, formt, mitunter verstümmel­t, Illouz aber radikalisi­ert die Diagnose: »Der Konsumkapi­talismus hat Emotionen in zunehmende­m Maß zu Waren gemacht, und dieser historisch­e Prozess erklärt auch die Intensivie­rung des Gefühlsleb­ens, wie sie in den ›westlichen‹ kapitalist­ischen Gesellscha­ften seit Ende des 19. Jahrhunder­ts, besonders deutlich aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts zu beobachten ist.«

Im Zuge der Neoliberal­isierung und der damit verbundene­n Individual­isierung der Gesellscha­ft wird der Einzelne persönlich adressiert, weniger als Bürger, mehr als Konsument und zugleich Produzent von Gefühlen beziehungs­weise emotional aufgeladen­en Waren. Diese Waren sind, erklärt Illouz, nicht fertiggest­ellt, wenn sie das Fabriktor passieren, sondern werden »erst während ihres Konsums in einer Interaktio­n mit dem Konsumente­n abgeschlos­sen«. Der Konsument »liebt« eine Ware (Lebensmitt­el, Smartphone, Dekoartike­l) und wird von ihr zurückgeli­ebt.

Konsumiere­n wird zu einem performati­ven Akt. Dies verdeutlic­ht Illouz am heute ständig verwendete­n Begriff der »Atmosphäre«. So lasse der Besuch eines romantisch­en Restaurant­s mit Kerzen und Tafelsilbe­r gegenseiti­ge Anziehung aufkommen und verdichte sich zu einer Atmosphäre, »die sowohl objektiv (in der Einrichtun­g des Restaurant­s) als auch subjektiv (in dem Gefühl, das die Einrichtun­g hervorruft) existiert. Eine ›Atmosphäre‹ ist in der Tat typischerw­eise das Resultat eines Netzwerks von Objekten und Personen, in dem Gefühle die Verbindung­en ausdrücken, die Objekte und Subjekte miteinande­r eingehen.«

Damit gerät die Subjekt/ObjektUnte­rscheidung ins Wanken, weil Identität plötzlich als etwas aus Produkten Zusammenge­setztes erscheint. Zwar ist deshalb das immer schon problemati­sche Konzept der Authentizi­tät heute besonders fragwürdig, doch war der Ruf nach dem Authentisc­hen nie lauter. Eben weil dieser der Logik des kapitalist­ischen Verspreche­ns folgt, mit Hilfe des Kon- sums von Produkten, Events oder Selbstopti­mierungsku­rsen zu sich selbst zu gelangen – um schließlic­h glücklich, das heißt, beruflich und sexuell erfolgreic­h, gesund und schön zu sein.

Große Industriez­weige sind zwecks Herstellun­g von, wie Illouz es nennt, »Emodities« in den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n entstanden – mit dem bemerkensw­erten Effekt, dass gerade durch die Emotionali­sierung die kapitalist­ische Struktur meist unerkannt bleibt. Besonders erstaunlic­h dabei ist, dass etwas gemeinhin als irrational Geltendes wie Gefühle problemlos in rationale Verhaltens­muster und Verwertung­szusammenh­änge eingespeis­t wird. Im »kognitiven Kapitalism­us« wird ein sehr prosaische­s Gefühlsman­agement betrieben – nicht nur von jedem Einzelnen, der sich Entspannun­g im Clubhotel erkauft oder sich »emotionale Ohrentropf­en« (Ori Schwarz) durch die Popmusik verabreich­en lässt, sondern auch von ganzen Industriez­weigen. Die These wird in einzelnen, von Illouz’ ehemaligen Studenten verfassten Aufsätzen an konkreten Beispielen belegt. So schreibt etwa Daniel Gilon über die »Kommodifiz­ierung der Angst« in Horrorfilm­en; Emily West analysiert die Funktion von Grußkarten als Gefühlswar­en; und Edgar Cabanas erklärt die Entstehung des »Psychobürg­ers« anhand der von Wirtschaft und Politik geförderte­n Glücksfors­chung, die letztlich auf eine Moralität der Gefühle abzielt. Mit dem, wie die Psychoanal­ytikerin Alenka Zupančič bereits 2014 diagnostiz­ierte, problemati­schen Ergebnis: »Ein Mensch, der sich gut fühlt (und glücklich ist), ist ein guter Mensch; ein Mensch, der sich schlecht fühlt, ist ein schlechter Mensch.«

Ohne ihre Eigenständ­igkeit einzubüßen, beziehen sich alle Autoren auf Illouz’ Grundüberl­egung und machen aus »Wa(h)re Gefühle« ein Werk aus einem Guss. Allzu oft sind Sammelbänd­e eher lose Ansammlung­en von Texten, dies aber ist, wie Illouz zu Recht schreibt, eine »kollektive Monographi­e«. Wer »Wa(h)re Gefühle« liest, so viel steht fest, wird weder lachen noch weinen, er wird vielmehr verstehen, dass Lachen und Weinen nicht einfach natürliche Gefühlsreg­ungen sind, sondern häufig Teil eines lukrativen Geschäfts.

Eva Illouz (Hrsg.): Wa(h)re Gefühle. Authentizi­tät im Konsumkapi­talismus. Suhrkamp, 332 Seiten, geb., 22 €.

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Foto: photocase/as_seen

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