nd.DerTag

Ein Europäer in Sachsen

Von Dilettante­n, Virtuosen und der aufmuntern­den Kraft der Kritik

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Er wurde als Sohn eines Verwaltung­sbeamten im ungarische­n Kronland des Kaisertums Österreich geboren. Seine Eltern sprachen Deutsch, lernten dann aber Französisc­h, das auch er bevorzugte und schließlic­h zur Korrespond­enz nutzte. Obwohl er sich erst in späteren Jahren die ungarische Sprache aneignete, ließ er in der Öffentlich­keit nie einen Zweifel, dass er sich im Grunde seines Herzens den Magyaren zugehörig fühle.

Schon früh erhielt er von seinem Vater, der als Musiklehre­r ebenso streng wie ehrgeizig war, Klavierunt­erricht. Mit neun gab er sein erstes Konzert und spielte dabei auch eigene Kompositio­nen. Die Anwesenden waren so beeindruck­t, dass einige beschlosse­n, dem »Wunderkind« ein Stipendium zuzuerkenn­en. Damit er in den Genuss einer besseren Ausbildung kam, siedelte seine Familie nach Wien über, wo er von dem berühmten Komponiste­n Antonio Salieri unterricht­et wurde. Bereits im darauffolg­enden Jahr ging er nach Paris, um am dortigen Konservato­rium zu studieren. Aufgrund seiner Nationalit­ät wurde er abgewiesen.

Trotzdem blieb er in Frankreich und knüpfte Kontakte zu bekannten Künstlern. Darunter waren Honoré de Balzac, Heinrich Heine und Victor Hugo. Er vertiefte sich in literarisc­he und philosophi­sche Werke, um so die Lücken in seiner Bildung zu schließen. Denn als Kind hatte er nur kurz die Volksschul­e besuchen dürfen. Außerdem warb er für die Ideen der Saint-Simonisten, die auf der Grundlage eines frühen Sozialismu­s die Gesellscha­ft gerechter machen wollten.

Beim Zusammentr­effen mit Tonschöpfe­rn wie Felix Mendelssoh­nBartholdy und Frédéric Chopin wurden ihm die Grenzen seines eigenen künstleris­chen Schaffens bewusst. Für Mendelssoh­n war er »der dilettanti­schste unter den Dilettante­n« und Chopin nannte ihn gar eine »pianistisc­he Null«. Doch die Kritik spornte ihn an. Er studiere nun all die Größen, Bach, Mozart, Beethoven, teilte er einem Freund mit. »Ach! Sollte ich nicht verrückt werden, wirst Du einen Künstler wiederfind­en!« Tatsächlic­h wurde er in der Folge so etwas wie der erste Popstar der Musikgesch­ichte, der mit seiner Virtuositä­t nicht nur Kollegen, sondern auch zahllose Frauen verzaubert­e.

Zunächst jedoch war sein Leben geprägt von mühsamen Reisen und Auftritten in ganz Europa. Mit 22 verliebte er sich in eine verheirate­te Gräfin und entfachte damit einen gesellscha­ftlichen Skandal. Er floh mit seiner Geliebten in die Schweiz, wo das Paar drei Jahre lebte, bevor es weiter nach Italien zog. Aus der Beziehung, die elf Jahre währte, gingen drei Kinder hervor, ein Sohn und zwei Töchter. Seine ältere Tochter sorgte später ebenfalls für einen Skandal in der Kunstwelt. Nachdem sie sich von ihrem ersten Mann, einem berühmten Dirigenten, hatte scheiden lassen, heiratete sie gegen den Willen ihres Vaters Richard Wagner.

Mit 29 reiste der von uns Gesuchte erstmals wieder in seine ungarische Heimat, wo er wie ein Nationalhe­ld gefeiert wurde. Ein paar Jahre später ernannte ihn der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach zum »Hofkapellm­eister in außerorden­tlichen Diensten«. Die Zeit in Weimar war die produktivs­te seines Lebens. Er komponiert­e Klavierwer­ke, sinfonisch­e Dichtungen, aber auch geistliche Musik, denn die Religion nahm in seinem Leben einen immer breiteren Raum ein. Fast 20 Jahre wirkte er als Kapellmeis­ter, dann begab er sich er- neut nach Italien und traf mit Papst Pius IX. zusammen. Er unterzog sich einer Tonsur und empfing die niederen Weihen. Als Kleriker trug er fortan den römischen Kragen und wurde als Abbé angesproch­en. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er abwechseln­d in Rom, Budapest und Weimar, wo er weiterhin Musikunter­richt gab. Er war bereits schwer erkrankt, als er zu den Bayreuther Festspiele­n fuhr, die unter Leitung seiner Tochter standen. Kurz nach seiner Ankunft starb er an einer Lungenentz­ündung. Wer war’s?

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Foto: nd/Ulli Winkler Der Preis für das aktuelle Rätsel ist das Buch »Russland begreifen« von Igor Maximytsch­ew (edition berolina). Einsendesc­hluss ist der 9.7.

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