In Vergessenheit
Trotz Snowdens Enthüllungen wird die Überwachung fortgesetzt.
Die EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sollte eigentlich bis Juni in nationales Recht umgesetzt werden. Schützt der in Deutschland vorliegende Entwurf Whistleblower ausreichend? Was war das für eine Aufregung, die im Juni vor fünf Jahren begann! Ein bis dahin unbekannter Kontraktarbeiter der National Security Agency (NSA) hatte seinem Arbeitgeber interne Schulungsunterlagen gestohlen und sie mit Hilfe von Journalisten an die Öffentlichkeit gebracht. Und die war im höchsten Maße empört darüber, wie der größte US-Geheimdienst seine Aufgaben erledigt. Immer neue Informationen machten die Runde. In Deutschland, wo Datenschutz mehr als eine floskelhaft wiederholte Forderung ist, waren sie Gegenstand einer jahrelangen und durchaus erhellenden parlamentarischen Aufklärung. Die löste, weil vor allem der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND als gesetzbrecherischer Kumpan der NSA agierte, eine Geheimdienstreform aus. Was bleibt von der Aufregung, die der Whistleblower Edward Snowden erzeugt hat?
Zunächst einmal, dass er von der US-Regierung weiter wie ein Verräter behandelt wird. Daheim droht dem Mann, wie US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf oft genug betont hat, die Todesstrafe. Also sitzt Snowden weiter im Moskauer Asyl, wo er gestrandet ist, nachdem die USBehörden im Jahr 2013 seinen Reisepass für ungültig erklärt hatten. Sicher ist das nicht die erste Wahl für einen Whistleblower wie ihn, doch in den meisten anderen Ländern der Welt drohen Snowden Festnahme und Auslieferung an die USA. Ab und zu besuchen Freunde und Verwandte den Aussätzigen, der im Kurznachrichtendienst Twitter weiter gegen die totale Überwachung im Netz kämpft. Er analysiert, wertet aus und gibt Ratschläge, wie man sich privat schützen kann. Trotz seines Accounts, dem fast vier Millionen Menschen folgen, verblassen langsam sein Ruhm und sein Name.
Derweil hat die NSA ihre Schnüffelpraxis weiter perfektioniert und macht beim Spionieren – wie der USPräsident generell – weiter keinen Unterschied zwischen Freund und Feind. Man kann sich, ohne die Fantasie zu bemühen, vorstellen, wie man in Washington gelacht hat, als die Europäische Union ganz geheim Abwehrmechanismen zur Strafzollpolitik der USA beraten hat. Tatsache ist, die ob der Massenüberwachung der Dienste einige Jahre aufgebrachte Öffentlichkeit hat sich weitgehend beruhigt. Auch weil ihr neue Knochen zur Empörung hingeworfen wurden. Das »soziale Netzwerk« Facebook, so lernt man gerade zu akzeptieren, ist kein Deut besser als die Net-Spione der US-Regierung. Und was tat sich beim BND?
Jüngst hat der einstige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, der »Süddeutschen Zeitung« ein Interview gegeben. Darin äußert er Respekt für Snowden, der die Welt der Nachrichtendienste »aufgemischt« hat, wie es keinem anderen seit dem Zweiten Weltkrieg gelungen ist. Dass der BND reihenweise EU-Politiker und Firmen angezapft hat, bucht Schindler unter »Un- zulänglichkeiten« ab. Es hätten schlicht die Regeln gefehlt, meint er. Indirekt geht er auch auf die nach dem NSA-Skandal von oben verordnete Reform der deutschen Geheimdienste ein. Es herrsche in Deutschland manchmal der Irrglaube, man könne dieses ganze Problem heilen, wenn man hierzulande eine rechtsstaatliche Korsettstange nach der anderen einziehe. »Das ist falsch.« Schindler vermisst den Rückhalt der Politik für die Geheimdienstarbeit. Wenn man wolle, dass der BND keine Gesetze bricht, müsse man den Auslandsgeheimdienst abschaffen.
Gibt es nach der Reform des BNDGesetzes und der mutmaßlichen Stärkung des Parlamentarischen Kontrollgremiums mehr Aufsicht? Schindler bezweifelt das. Es sei zwar klar, dass der Gegenstand der Kontrolle vom Kontrolleur und nicht vom zu Kontrollierenden bestimmt wird, doch diese Selbstverständlichkeit sei »weiterhin wenig ausgeprägt«. Was es bringt, sich gegen die Praxis des BND aufzulehnen, erfuhr vor wenigen Tagen der Internetknotenbetreiber DeCIX. Die Firma argumentierte unter anderem, dass beim Ausleiten der Internetkommunikation in vollständiger Kopie dem BND auch ein Großteil des rein innerdeutschen Datenverkehrs übermittelt werde. Und der gehe schließlich den Auslandsgeheimdienst nach aktueller Gesetzeslage nichts an. Das Bundesverwaltungsgericht folgte dem nicht und hat so nach Ansicht von Kritikern ein verheerendes Signal in Richtung Massenüberwachung ausgesandt. De-CIX hat angekündigt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Es wäre das erste Mal, dass sich die Hüter des Grundgesetzes mit dem Phänomen Massenüberwachung auseinandersetzen müssen.
Bürgerrechtler erhoffen sich juristische Unterstützung auch von anderer Seite. Zur Einhegung der Geheimdienste gehört auch ein besserer Schutz von Whistleblowern. Nicht erst seit Snowdens Enthüllungen wurde darüber auf Europaebene diskutiert. Im April hat die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vorgelegt, um in der Europäischen Gemeinschaft einheitliche Regeln zu schaffen. Kommissionsvize Frans Timmermans hatte dabei betont, dass Enthüllungen wie Dieselgate, LuxLeaks oder die Panama-Papers dem öffentlichen Interesse gedient haben. Die Skandale wären nicht öffentlich geworden, hätten Hinweisgeber »nicht den Mut gehabt, sie zu melden«.
Nun kommt es auf die nationale Umsetzung an. Bis zum Jahresende, so hört man aus dem deutschen Justizministerium, soll das deutsche Recht nachgebessert sein. Kritiker befürchten allerdings eine Art Gewissensprüfung. Anders als im EU-Entwurf spielt für das deutsche Justizministerium die Motivation der Hinweisgeber eine wichtige Rolle. Geschützt werden nur jene, die in der Absicht handeln, »das öffentliche Interesse zu schützen«. Das lässt viel Raum für Interpretationen. Laut EUVorgabe betrifft der Schutz von Informanten Behörden und Unternehmen mit 50 und mehr Mitarbeitern oder ab zehn Millionen Euro Umsatz. Es soll ein dreistufiges Meldesystem eingeführt werden. Wenn interne Kanäle nicht ausreichen, sind Anzeigen bei zuständigen Behörden statthaft; nutzt das nichts, kann man sich an die Öffentlichkeit wenden. Vorzugsweise über die Medien oder soziale Plattformen im Internet.
Wie praktikabel das ist, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass wegen Whistleblowing keine Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Regelungen zur Wahrung der Anonymität des Informanten sind allerdings nicht vorgesehen. Die Gefahr, letztlich wie Snowden als Verfemter zu enden, ist also weiterhin massiv.