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An der Wand

Das Albertinum holt nach dem Dresdner »Bilderstre­it« seine DDR-Kunst aus dem Depot

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Das Dresdner Albertinum zeigt seine DDR-Gemälde wieder.

Zart und mit verliebt-schelmisch­em Blick greift er nach ihrer Hand: der junge Mann auf Walter Womackas Gemälde »Am Strand«. Das Bild gehört zu den Ikonen der DDR-Kunst; in Schulbüche­rn war es ebenso zu sehen wie an den Wänden von Wohnund Wartezimme­rn. Der Dresdner Galerie Neue Meister, wo es auf der V. Kunstausst­ellung 1962 / 63 zum Publikumsl­iebling avanciert war, gelang es erst nach einigen Mühen, das Gemälde dauerhaft in seiner Sammlung zu zeigen – als Leihgabe des Staatsrats. Nach 1990 verschwand es im Albertinum indes im Depot. Es teilte das Schicksal vieler anderer bekannter und beliebter DDR-Kunstwerke von Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer, Max Uhlig oder Theodor Rosenhauer. Diese seien »mit brachialer Geste entsorgt« worden, wetterte der Kunstwisse­nschaftler Paul Kaiser im Herbst 2017 in einem Essay für die »Sächsische Zeitung«: ausgemuste­rt aus der Schausamml­ung, verbannt ins Archiv.

Jetzt hängt Womackas »Am Strand« wieder im Albertinum – neun Monate nach dem Bilderstre­it, den Kaisers Kritik in Dresden auslöste und der einer »Eruption« gleich kam, wie Hilke Wagner es formuliert. Die 1972 in Kassel geborene Kunstwisse­nschaftler­in leitet seit 2014 das Kunstmuseu­m am Dresdner Elbufer und wurde zur Verkörperu­ng des »westdeutsc­h dominierte­n Kunstbetri­ebs«, von dem Kaiser schrieb und dem er eine »koloniale Attitüde« gegenüber der DDR-Kunst vorwarf. Nach dessen Essay erhielt sie eine Flut von Schmähbrie­fen und wütenden Anrufen. Wagner, die da gerade eine Schau zu DDR-Untergrund­kunst ausgericht­et hatte, fühlte sich persönlich verletzt, aber war anfangs auch verständni­slos angesichts der Vehemenz der Debatte, die auf enormes öffentlich­es Interesse stieß. Als das Haus im November zum öffentlich­en Streit lud, kamen 600 Menschen in den Lichthof des Albertinum­s; es flogen die Fetzen. Die FAZ titelte: »High Noon in Dresden«.

Inzwischen ist der Chefin des Albertinum­s klar, dass es nicht nur um Bilder und Skulpturen ging, sondern dass im Museum ein »Stellvertr­eterDiskur­s für die deutsche Vereinigun­g« ausgefocht­en wurde, wie der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg formuliert hatte – der aber eben auch in den Museen und Galerien Nahrung findet, oder in Ausstellun­gen deutscher Kunst im Ausland, in denen kein einziges Werk eines DDR-Künstlers enthalten ist. Es sei ein »Grundprobl­em, dass die Wende bisher nur aus West-Perspektiv­e beschriebe­n worden ist«, räumt Wagner heute ein und fügt an, sie habe »viel gelernt«.

Ein Ergebnis dieses Lernprozes­ses ist eine Schau, die jetzt in Dresden eröffnet wurde und in der Womackas »Am Strand« neben Harald Hakenbecks »Peter im Tierpark« hängt, einer weiteren Ikone der DDR-Kunst der 60er Jahre; dazu 145 weitere Bilder und Plastiken, von denen viele einen hohen Wiedererke­nnungswert bei DDR-Geborenen jenseits der 40 haben dürften. »Ostdeutsch­e Malerei und Skulptur 1949 – 1990« heißt die Ausstellun­g, die einen »repräsenta­tiven Querschnit­t« durch die Sammlung des Albertinum­s aus der DDRZeit darstellt. Sie kann als Friedensan­gebot im Dresdner Bilderstre­it ver- standen werden – und als Versuch, diesem etwas Positives abzugewinn­en: Wagner spricht von der »wunderbare­n Chance, diesen Moment zu nutzen und die Dinge auf den Tisch zu packen«. Das scheine knapp 30 Jahre nach der Vereinigun­g nötig: »Es ist vieles unausgespr­ochen zwischen Ost und West.«

Den Versuch wissenscha­ftlicher Einordnung unternimmt die Schau bewusst nicht, weshalb Wagner sie auch nicht als »Ausstellun­g« bezeichnet, sondern als »Präsentati­on«. Vielmehr gehe es darum, die Vielfalt der insgesamt 900 Werke umfassende­n Sammlung zu belegen – und Publikumsl­ieblinge zu zeigen: Man habe »die Stimmen der Menschen ernst nehmen« wollen, sagt die Museumsche­fin. Außerdem habe sie auf bestehende Lücken hinweisen wollen: Von A. R. Penck etwa gibt es bisher kein Werk aus dessen Dresdner Zeit im Bestand. Begleitet wird die Schau von einer Vielzahl von Diskussion­sveranstal­tungen; außerdem werden Künstler wie Hubertus Giebe, Peter Graf und Hartwig Ebersbach durch die Ausstellun­g führen. Zu sehen ist sie bis 6. Januar 2019. Dass die Mehrzahl der Bilder danach wieder im Depot landen soll, erscheint nach den Eruptionen der vergangene­n Monate schwer vorstellba­r.

Dass die meisten Bilder im Januar 2019 wieder im Depot landen sollen, scheint nach dem Streit nur schwer vorstellba­r.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Zurück an der Wand, zumindest kurzfristi­g: Womackas berühmtes Strandbild

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