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Auf dem Rückzug

Die Gletscher in der Antarktis verlieren den Halt.

- Von Barbara Barkhausen, Sydney

Der Pine-Island-Gletscher in der Westantark­tis stirbt einen langsamen Tod. Einzig die Eiszunge war dabei erstaunlic­h lange stabil. Jetzt schrumpft auch sie rasant. Deutsche Forscher fanden die Ursache. Der Pine-Island-Gletscher ist 250 Kilometer lang und rund zwei Kilometer dick. Damit ist er einer der gewaltigst­en Gletscher der Erde. Der in der Westantark­tis gelegene Gigant gehört mit einer Fließgesch­windigkeit von vier Kilometern pro Jahr zu den am schnellste­n fließenden Eisströmen auf der Südhalbkug­el. Gemeinsam mit seinen benachbart­en Gletschern transporti­ert der Eisstrom jährlich mehr als 300 Gigatonnen Landeis in die Amundsense­e. Eine gigantisch­e Menge, die fünf bis zehn Prozent des weltweiten Meeresspie­gelanstieg­s ausmacht. Forscher haben nun Rätsel um den Gletscher gelöst.

Warum das Gletschere­is so schnell abfließt, das hatten Forscher bereits herausgefu­nden. Verantwort­lich sind warme Wassermass­en, die aus dem Zirkumpola­rstrom abzweigen. Sie gelangen unter den schwimmend­en Teil des Gletschers und schmelzen das Schelfeis von unten. Die Eiszunge verliert so seit 25 Jahren bis zu 5,3 Meter Eisdicke pro Jahr. Doch trotz der dramatisch­en Schmelze hatte sich die Abbruchkan­te des Pine-Island-Gletschers bisher kaum zurückgezo­gen. Erst 2015 brach ein massiver Eisberg ab und die Schelfeisk­ante verlagerte sich um 20 Kilometer in Richtung Küste. Die schwimmend­e Eiszunge schrumpfte damals auf eine Fläche von rund 470 Quadratkil­ometern.

Forscher des Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresfors­chung (AWI) wollten den Grund für dieses Verhalten des Gletschers herausfind­en. Dafür kartierten sie den Meeresbode­n vor dem Gletscher. Ein Zeitraffer­video gab Aufschluss, warum der Gletscher sich urplötzlic­h in Richtung Küste zurückgezo­gen hat. Des Rätsels Lösung ist, dass die Eismassen an wichtigen Punkten die Bodenhaftu­ng verloren haben, wie die Forscher berichten.

»Die Fließricht­ung und die Fließgesch­windigkeit eines Gletschers hängen stark von der Topographi­e seines Untergrund­es ab«, sagt Geophysike­r Jan Erik Arndt. Im Fall des Pine-Island-Gletschers dienten bisher wohl Unterseebe­rge als Eisbremse. »Ab dem Jahr 2006 sind diese markanten Punkte jedoch nicht mehr zu sehen«, sagt Forscher Karsten Gohl. »Das Schelfeis muss bis zu diesem Zeitpunkt so weit von unten abgeschmol­zen sein, dass es entweder zu leicht war, um noch einen Abdruck an der Eisoberflä­che zu produziere­n, oder die Eisfläche hatte bereits den Kontakt zu den darunterli­egenden Bergen verloren.« Wenn ein Schelfeis den Kontakt zu einem solchen Hindernis verliere, reagiere der Eisstrom, als hätte jemand den Bremsklotz weggezogen.

Die Berge können auch den Abbruch eines Eisberges auslösen – etwa wenn die Schelfeisk­ante vorrückt und mit voller Wucht auf eine Erhebung aufläuft. Dazu kam es wahrschein­lich 2007 und 2015, als ganze Eisberge abbrachen. Derzeit hat das Schelfeis aber neuen Halt gefunden, so die Wissenscha­ftler. »Derzeit verläuft die rund 50 Kilometer lange Schelfeisk­ante des Pine-Island-Gletschers zwischen einer Insel im Norden und einem weiteren Gletscher im Süden, die dem Eis wieder etwas Halt geben«, so Arndt. Wenn die Eisschmelz­e an der Schelfeisu­nterseite jedoch weiter voranschre­iten sollte, könne der Prozess irgendwann dazu führen, dass das dann wesentlich dünnere Schelfeis an sich instabil werde. Der Punkt sei bei einer Eisdicke von 400 Metern an der Schelfeisk­ante noch nicht erreicht.

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Foto: dpa/Yonhapnews Agency
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Foto: dpa/Yonhapnews Agency Adelie-Pinguine auf einer Eisscholle in der westlichen Antarktis

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