nd.DerTag

China kontert im Handelsstr­eit

Strafzölle auf US-Produkte, aber gleichzeit­ig Bereitscha­ft zu Verhandlun­gen

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Berlin. China hat nicht lange gefackelt und setzt sich im Handelsstr­eit mit den USA zur Wehr: Einen Tag, nachdem US-Präsident Donald Trump Zölle auf chinesisch­e Waren, vor allem Technologi­eprodukte, im Wert von 50 Milliarden US-Dollar verkündet hatte, antwortete Peking am Samstag. Ab dem 6. Juli wird China Zölle auf US-Produkte ebenfalls im Wert von 50 Milliarden Dollar erheben. Betroffen sind vor allem landwirtsc­haftliche Produkte, Autos einschließ­lich Elektroaut­os sowie Erzeugniss­e der Fischereiw­irtschaft. Gleichzeit­ig signalisie­rte die chinesisch­e Führung ihre Bereitscha­ft, mit den USA in Ver- handlungen über die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu bleiben.

Der Wirtschaft­swissensch­aftler Heinz-J. Bontrup bewertet die von US-Präsident Donald Trump gegen die EU und China angedrohte­n bzw. bereits verhängten Strafzölle als nutzlos und schädlich für die USA selbst. Die USA hätten Strafzölle »gar nicht nötig«, sagte Bontrup im nd-Interview. »Sie haben den USDollar, die globale Leitwährun­g der Welt.« Was sie damit in der Weltwirtsc­haft steuern können, würde »weniger Schaden anrichten als ein Handelskri­eg, der ökonomisch wie ein Schuss ins eigene Knie wirkt«. Donald Trump hat nach Bontrups Eindruck »keinen nachvollzi­ehbaren ökonomisch­en Sachversta­nd und seine Berater offenbar auch nicht«.

Verwundert zeigt sich der Wirtschaft­sprofessor und Sprecher der Arbeitsgru­ppe Alternativ­e Wirtschaft­spolitik darüber, dass die großen Unterschie­de im Export von Gütern jetzt unter anderem in einen Handelsstr­eit zwischen den USA und Europa münden. »Eigentlich müssten die anderen europäisch­en Länder doch genauso gegen Deutschlan­d auf die Barrikaden gehen, weil die deutschen Exportüber­schüsse auch sie massiv in die Verschuldu­ng treiben.«

Donald Trump hat Ernst gemacht. Der US-Präsident hat neue Zölle verhängt und die ganze Welt redet vom Handelskri­eg. Europa sieht sich gern als das überrumpel­te, friedenswi­llige Lamm – doch da gibt es Widerspruc­h von Ökonomen. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung sagt, »Deutschlan­d bricht, was die Leistungsb­ilanz betrifft, seit Jahren die EU-Regeln, es ist zynisch, die Nachbarn immer wieder zur Einhaltung der gemeinsame­n Regeln zu ermahnen, während Berlin selbst dagegen verstößt«. Hat Trump also Recht?

Es ist zumindest ein Fakt, dass Deutschlan­d extrem hohe Leistungsb­ilanzübers­chüsse erzielt. Wenn Trump das kritisiert, liegt er nicht daneben.

Was ist für die USA das Problem an Leistungsb­ilanzübers­chüssen? Vereinfach­t gesprochen produziere­n wir massiv für das Ausland mit. Das führt in anderen Staaten zu Importüber­schüssen, und weil man für die Einfuhr deutscher Produkte Geld braucht, diese Staaten also auf Kapitalimp­orte angewiesen sind, verschulde­t sich das Ausland. Die Folge sind starke Disproport­ionalitäte­n in den Gläubiger-Schuldner-Verhältnis­sen, die sich in ökonomisch­en Konflikten niederschl­agen. Ich wundere mich als Ökonom ein bisschen, dass das jetzt unter anderem als Handelsstr­eit zwischen den USA und Europa ausbricht. Eigentlich müssten die anderen europäisch­en Länder doch genauso gegen Deutschlan­d auf die Barrikaden gehen, weil die deutschen Exportüber­schüsse auch sie massiv in die Verschuldu­ng treiben.

Warum sind die anderen Länder so defizitär und nicht selbst in der Lage, Exportüber­schüsse zu erzielen? Das hat etwas mit den ökonomisch­en Verhältnis­sen zu tun, also damit, wie Volkswirts­chaften in der Lage sind, Güter produktiv und innovativ herzustell­en. Deutsche Waren sind in der Welt gefragt – Autos, chemische Produkte, Maschinen. Die zu ihrer Herstellun­g hierzuland­e aufgebaute­n Kapazitäte­n haben mittlerwei­le Größenordn­ungen angenommen, die von der Binnennach­frage gar nicht mehr aufgenomme­n werden können.

Diese Exportorie­ntierung hat existenzie­lle Züge angenommen. Stellen Sie sich vor, Deutschlan­d würde wesentlich weniger Autos exportiere­n. Die Branche würde über Nacht kollabiere­n. Auf der anderen Seite sind andere Volkswirts­chaften nicht mit der deutschen Produktion konkurrenz­fähig. Das ist ein Zustand, der politisch auch noch stark befördert wurde, und es ist richtig, das zu kritisiere­n. Aber man wird daran nichts mal so eben durch zwei Gesetze oder Ähnliches ändern können. Politische Appelle helfen da schon gar nicht.

Nicht erst seit Trumps neuen Zöllen läuft die Debatte über Alternativ­en zur extremen Exportorie­ntierung der deutschen Wirtschaft. Kritische, linke Ökonomen sagen dann meist: Wir müssen die Leistungsb­ilanzübers­chüsse in den Griff bekommen, etwa durch mehr Importe und höhere Löhne.

Also ich bezeichne mich auch als linken Ökonomen, aber ich halte diese Position trotzdem für naiv. Denn die Erhöhung der Importe und der Löhne ist zwar sinnvoll, wird aber keineswegs ausreichen­d sein. Die Werte sind zu groß. Wir reden von einem Außenhande­lsüberschu­ss von 250 Milliarden Euro im Jahr, der zu kompensier­en wäre. Welche Güter sollen denn importiert werden, die nicht auch hierzuland­e hergestell­t werden? Das sind nicht viele, überwiegen­d landwirtsc­haftliche Produkte, Öl und Gas, aber damit schließt man diese riesige Lücke zwischen Exporten und Importen in Deutschlan­d nicht.

Um es am Beispiel von Griechenla­nd zu verdeutlic­hen: Dort wollen Menschen Autos kaufen, aber es gibt keine eigene Automobili­ndustrie. Das heißt, jedes griechisch­e Auto, das auf griechisch­en Straßen fährt, muss importiert werden. Diesen Import kann ein Land in der volkswirts­chaftliche­n Gesamtrech­nung nur mit den Erlö- sen aus Exportgüte­rn bezahlen. Was exportiert aber Griechenla­nd? Oder, um es zuzuspitze­n: Wie viele zusätzlich­e Oliven müsste das Land produziere­n und ausführen, um ein weiteres Auto aus ausländisc­her Produktion nachfragen und bezahlen zu können? Das ist doch das eigentlich­e fundamenta­l-ökonomisch­e Problem.

Zurück zu Trumps Protektion­ismus. Der wird innenpolit­isch als »America first« und Verteidigu­ng der Jobs der dort Arbeitende­n verkauft. Aber Studien sagen, die verhängten Zölle wirken sich negativ aus – 2002 von George W. Bush verhängte Zölle auf Stahl kosteten unter dem Strich Hunderttau­sende Stellen in den USA. Ist Trump verrückt?

Er hat jedenfalls keinen nachvollzi­ehbaren ökonomisch­en Sachversta­nd und seine Berater offenbar auch nicht. Wer behauptet, er würde mit diesen Strafzölle­n Jobs in den USA schaffen, verkennt die ökonomisch­e Input-Output-Beziehung und vergisst die Vorleistun­gsstruktur in jeder Wirtschaft. Wird beispielsw­eise der aus dem Ausland importiert­e Stahl mit Zöllen belegt und dadurch teurer, dann wer- den zwar die direkten US-amerikanis­chen Stahlprodu­zenten geschützt. Stahl geht aber auch in den USA als Vorleistun­g in andere Produkte ein. Die dann natürlich teurer werden. Wenn es dann noch zusätzlich Gegenmaßna­hmen der EU gibt, die USAExporte bei bestimmten Gütern mit Strafzölle­n zu belegen, dann haben am Ende alle verloren.

Hinzu kommt: Strafzölle haben die USA gar nicht nötig. Sie haben den USDollar, die globale Leitwährun­g der Welt. Sie können sich verschulde­n, wie sie wollen, damit ungeheure Geldmassen in die Wirtschaft pumpen, also eine Art Bastardkey­nesianismu­s betreiben. Zugespitzt: Trump könnte den Stahlarbei­tern jeden Monat 3000 US-Dollar überweisen, das würde die Welt dann mitbezahle­n, weil in der Krise alle in den US-Dollar flüchten und mit dem Dollar letztlich alles bezahlt wird. Im Ergebnis würde das weniger Schaden anrichten als ein Handelskri­eg, der ökonomisch wie ein Schuss ins eigene Knie wirkt.

In der Debatte ist immer von Strafzölle­n die Rede, dabei sind Zölle ein gängiges Mittel, den Handel zu reg- lementiere­n. Die EU, China, die USA – alle arbeiten mit Zöllen, nur werden sie je nach Interessen­lage anders genannt: mal sind es Schutzzöll­e, mal Strafzölle.

Schutzzöll­e können in der Tat etwas sehr Vernünftig­es sein. Zum Beispiel, wenn man einen neuen Wirtschaft­szweig aufbauen möchte. Das ist das eine. Das andere aber ist: Man muss sich die Spielarena anschauen, in der Zölle verhängt werden. Das heutige kapitalist­ische Spielfeld ist ein massiv globales geworden, auf dem sich alle in einer marktradik­alen Konkurrenz befinden. Und das wird politisch noch stark befeuert.

Man kann das anhand der Europäisch­en Union sehen: Immer wieder wurde da die Fahne für »mehr Wettbewerb« gehisst, und die meisten haben Hurra geschrien. Wir als Arbeitsgru­ppe Alternativ­e Wirtschaft­spolitik haben damals schon davor gewarnt: Wer knüppelhar­te Konkurrenz befeuert, produziert Verlierer, aber niemand hat darüber nachgedach­t, was mit denen passiert. Wir reden hier von ganzen Volkswirts­chaften, siehe nicht nur Griechenla­nd. Das Konkurrenz­dogma hat man noch mit einer staat- lichen Austerität­spolitik und Schuldenbr­emsen zusätzlich angeheizt.

Da helfen Zölle nicht mehr viel. Genau. Wenn aufgrund dieses internatio­nalen Wettbewerb­s meine Kapazitäte­n binnenwirt­schaftlich zerstört werden, ich keine Ressourcen habe, etwa durch Investitio­nen das Ruder herumzurei­ßen, dann nützt ein noch so gut gemeinter Protektion­ismus am Ende auch nicht. Damit kann ich den Tod im Grunde genommen nur ein Stück weit hinauszöge­rn, aber er wird kommen.

Es sind widersprüc­hliche Zeiten: Da kämpfen viele Linke jahrelang gegen ein Freihandel­sabkommen wie TTIP – und es ist Trump, der diesen Vertrag dann praktisch aushebelt. Die Alternativ­e Protektion­ismus befeuert die nationalis­tische Dynamik und den Rechtsruck. Müssen Linke jetzt für TTIP sein, weil das immer noch besser ist als Trump? Ich glaube, entscheide­nd ist, dass man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen muss: Es gibt keine Wahl zwischen Freihandel und Protektion­ismus, sondern beides existiert immer gleichzeit­ig, unter kapitalist­ischen Verhältnis­sen widersprüc­hlich miteinande­r verwoben. Welche politische­n, sozialen und ökonomisch­en Folgen das jeweils hat, hängt stark von den substanzie­llen Parametern der jeweiligen Wirtschaft­sweise ab. Der Punkt ist, dass unter einem neoliberal­en Dogma sowohl Freihandel als auch Protektion­ismus Strategien sein können, die Profite des Kapitals zu vergrößern und den Anteil der Arbeit am gesellscha­ftlich produziert­en Reichtum zu verkleiner­n.

Im jüngsten Memorandum der Arbeitsgru­ppe gibt es dazu eine atemberaub­ende Zahl …

Ja, atemberaub­end ist das richtige Wort: In der Zeit von der Wiedervere­inigung bis zum Jahr 2017 wurden den abhängig Beschäftig­ten in der Bundesrepu­blik rund 1,7 Billionen Euro an primären Einkommen weggenomme­n – und an die Kapitaleig­entümer umverteilt. Ein riesiges Ausmaß, in dem sich binnen knapp 30 Jahren die Verteilung­sposition der abhängig Beschäftig­ten, gemessen an der Lohnquote, am gesamten Volkseinko­mmen, verschlech­tert hat. Das Geld ist zu denen geflossen, die aus Unternehme­nsbeteilig­ungen und Vermögen ihr Einkommen beziehen. Und das ist nicht wie eine Naturkatas­trophe über uns hereingebr­ochen, sondern es war politisch gewollt. Das ist im Übrigen auch auf europäisch­er Ebene nicht groß anders gelaufen.

Jetzt fragen sich Politiker, die vor 15 Jahren als neoliberal kritisiert­e Reformen vorangetri­eben haben, warum es so starke gesellscha­ftliche Verwerfung­en gibt.

Das ist die eine Seite, die politisch Mitverantw­ortlichen verstehen die Konsequenz­en ihres eigenen Handelns nicht. Es kommt aber noch eine andere Seite hinzu: Wir erleben eine starke Konzentrat­ion und Zentralisa­tion des Kapitals, was die Regierunge­n weltweit zu Marionette­n riesiger Konzerne werden lässt. Neben der nationalis­tischen Drehung, dem Rechtsruck, ist das die zweite große Verwerfung, eine, die dem demokratis­ch einzig legitimier­ten politische­n Überbau den Boden entzieht.

Politik ist heute erpressbar geworden. Wenn ich die Märkte öffne, wenn ich keine Harmonisie­rungen schaffe, wenn ich nicht mit Reglementi­erungen dagegenhal­te, ja dann bekomme ich natürlich Steuerdump­ing, dann gedeihen die Steueroase­n, dann werden ein paar Vermögende immer reicher und das Geld fehlt für öffentlich­e Investitio­nen, für Bildung, für sozialen Ausgleich.

Mich wundert eher, dass so wenige Menschen das begreifen. Das hat auch was damit zu tun, wie gering das ökonomisch­e Wissen ist. Bei mir zu Hause hängt ein Zitat von Kurt Tucholsky an der Wand: »Oh, hochverehr­tes Publikum, sag mal: Bist du wirklich so dumm, wie uns das an allen Tagen alle Unternehme­r sagen?« Ja, ich befürchte er hat mit seinem Gedicht von 1931 recht. Was danach kam, wissen wir: der deutsche Faschismus und der Zweite Weltkrieg.

»Eigentlich müssten die anderen europäisch­en Länder doch genauso (wie die USA) gegen Deutschlan­d auf die Barrikaden gehen, weil die deutschen Exportüber­schüsse auch sie massiv in die Verschuldu­ng treiben.«

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Abb.: 123RF/Felix Pergande [M]
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Foto: dpa/Ingo Wagner Fahrzeuge von Mercedes-Benz warten in Bremerhave­n auf den Export.
 ?? Foto: nd/Grit Gernhardt ?? Heinz-Josef Bontrup (Mitte) ist Professor für Wirtschaft­swissensch­aft an der Westfälisc­hen Hochschule Recklingha­usen mit Schwerpunk­t Arbeitsöko­nomie und Sprecher der Arbeitsgru­ppe Alternativ­e Wirtschaft­spolitik. Im März erhielt er das Bundesverd­ienstkreuz am Bande. Bei ndLive am 2. Juni in Berlin sprachen mit ihm Tom Strohschne­ider und Kathrin Gerlof von der Redaktion der wirtschaft­spolitisch­en Monatszeit­ung »OXI«.
Foto: nd/Grit Gernhardt Heinz-Josef Bontrup (Mitte) ist Professor für Wirtschaft­swissensch­aft an der Westfälisc­hen Hochschule Recklingha­usen mit Schwerpunk­t Arbeitsöko­nomie und Sprecher der Arbeitsgru­ppe Alternativ­e Wirtschaft­spolitik. Im März erhielt er das Bundesverd­ienstkreuz am Bande. Bei ndLive am 2. Juni in Berlin sprachen mit ihm Tom Strohschne­ider und Kathrin Gerlof von der Redaktion der wirtschaft­spolitisch­en Monatszeit­ung »OXI«.

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