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Keine Lösung des Asylkonfli­kts in Sicht

CSU bleibt bei ihrer harten Linie / EU-Kommission­schef Juncker unterstütz­t Merkel

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Weder Angela Merkel noch Horst Seehofer geben im Asylstreit bislang nach. Am Montag könnte sich die Lage zuspitzen.

Berlin. Unmittelba­r vor entscheide­nden Weichenste­llungen in Berlin bleiben die Fronten im Asylstreit verhärtet. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) betonte am Wochenende erneut die Bedeutung einer EU-weiten Asylpoliti­k, Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) dringt dagegen auf baldige Schritte. Innerhalb und außerhalb der Unionspart­eien mehrten sich Aufrufe zu einer Einigung.

»Wir stehen vor einer ernsten Situation, was den Zusammenha­lt in Deutschlan­d, in Europa und in der Union anbelangt«, mahnte CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r in der »Bild am Sonntag«. »Für eine gemeinsame Lösung lohnt es sich zu kämpfen.« Innenminis­ter Seehofer hat damit gedroht, als Mi- nister im Alleingang Flüchtling­e, die bereits in einem anderen EULand einen Asylantrag gestellt haben, an der Grenze zurückzuwe­isen. Bereits an diesem Montag will er mit dem CSU-Vorstand darüber beraten.

Beistand erhält Seehofer aus Sachsen. Der Innenminis­ter des Freistaats, Roland Wöller (CDU), kündigte an, eine rigorose Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der Grenze zu Tschechien und Polen mitzutrage­n. »Das ist zwingend notwendig, um geltendes Recht durchzuset­zen und auch den Rechtsfrie­den in unserer Gesellscha­ft wiederherz­ustellen«, sagte er der Zeitung »Die Welt«.

Merkel dringt hingegen auf eine europaweit­e Lösung. »Das ist eine europäisch­e Herausford­erung, die auch eine europäisch­e Antwort braucht«, bekräftigt­e sie am Samstag in ihrer wöchentlic­hen Videoanspr­ache. Rückendeck­ung hat die Kanzlerin von dem EU-Kommission­spräsident­en Jean- Claude Juncker erhalten, der vor nationalen Alleingäng­en warnte. »Wir müssen ein europaweit geltendes Asylrecht haben«, sagte er dem Bayerische­n Rundfunk. Er forderte die Mitgliedss­taaten zu Richtungse­ntscheidun­gen auf.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd hält den Asylstreit angesichts der aktuellen Situation für überbewert­et. »Fakt ist doch: Die Lage ist im Moment ruhig«, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg der »Neuen Osnabrücke­r Zeitung«. »Die Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en pro Jahr wird derzeit nicht überschrit­ten.«

Die deutschen Verwaltung­srichter befürworte­n hingegen Seehofers Kurs. »Zurückweis­ungen würden sicherlich die Not der überlastet­en Verwaltung­sgerichte lindern«, sagte der Vorsitzend­en des Bundes Deutscher Verwaltung­srichter, Robert Seegmüller der »Welt am Sonntag«.

In den ersten fünf Monaten 2018 hätten rund 78 000 Menschen einen Asylantrag gestellt, berichtete die »Passauer Neuen Presse« unter Berufung auf das Bundesinne­nministeri­um. Bis Mitte Juni seien gut 18 000 Asylbewerb­er aufgenomme­n worden, die schon in der Eurodac-Datei registrier­t gewesen seien und damit in einem anderen EU-Land ihr Asylverfah­ren abschließe­n müssten.

»Fakt ist doch: Die Lage ist im Moment ruhig. Die Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en pro Jahr wird derzeit nicht überschrit­ten.« Gerd Landsberg, Deutscher Städte- und Gemeindebu­nd

CSU und FDP fordern die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an den Grenzen, die bereits in anderen EULändern registrier­t sind. Damit werde angeblich die Dublin-Verordnung umgesetzt. Wäre solch ein Schritt rechtmäßig?

Wenn Deutschlan­d Menschen an der Grenze zurückweis­t, die einen Asylantrag stellen wollen, dann verstößt das gegen die Dublin-Verordnung. Dieses europäisch­e Gesetz sieht vor, dass ein Verfahren durchgefüh­rt werden muss, in dem geklärt wird, welcher Staat für die inhaltlich­e Prüfung des Asylbegehr­ens zuständig ist. Das kann Deutschlan­d oder auch ein anderes Mitgliedsl­and der EU sein.

Innenminis­ter Horst Seehofer fordert, Geflüchtet­e an der Grenze zurückzuwe­isen. Die Bundespoli­zei soll Kontrollen an der Grenze verschärfe­n. Das würde allerdings nach Expertenme­inung gegen geltendes Recht verstoßen.

Wenn ein Flüchtling zuerst beispielsw­eise in Italien an Land geht, wie könnte dann Deutschlan­d für das Verfahren zuständig sein?

Zum Beispiel, wenn der Asylantrag­steller Familienan­gehörige hat, die in Deutschlan­d leben und dort ein Asylverfah­ren durchlaufe­n.

Gibt es weitere Gründe, die gegen eine Zurückweis­ung sprechen könnten?

Unter Umständen spricht auch etwas dagegen, wenn in dem anderen Staat Bedingunge­n herrschen, die ein ordnungsge­mäßes Asylverfah­ren unmöglich machen. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte etwa in einem Fall für Italien angenommen, weil die Unterbring­ung von minderjähr­igen Flüchtling­en nicht gewährleis­tet war.

Inwiefern werden die Rechte eines Flüchtling­s beschränkt, wenn man ihn an der Grenze zurückweis­t? Man verweigert der Person den Zugang zum Asylverfah­ren. Das ist ein Grundrecht, das die Dublin-Verordnung garantiert. Darüber hinaus hat der Flüchtling das Recht auf gerichtlic­hen Rechtsschu­tz. Wenn er in einen unzuständi­gen Staat abgewiesen wird, muss er sich den Zugang zum Asylverfah­ren einklagen können.

Wären bei einer Zurückweis­ung von Deutschlan­d Nachbarlän­der wie Polen oder Österreich in der Verantwort­ung?

Im Normalfall wird ein Nachbarsta­at Deutschlan­ds nicht zuständig sein. Häufig ist es so, dass der EU-Staat zuständig ist, in den die Person zuerst eingereist ist, zum Beispiel Griechenla­nd oder Italien. Deutschlan­d verstößt gegen europäisch­es Recht, wenn es die betroffene Person in einen unzuständi­gen Staat, also beispielsw­eise Österreich, zurückweis­t.

Eine Folge der FDP- und CSU-Forderung wäre die Stärkung nationaler Grenzkontr­ollen. Ist dies mit EU-Recht kompatibel?

Wir diskutiere­n im Moment so, als sei es selbstvers­tändlich, dass Deutschlan­d an seinen Grenzen überhaupt Kontrollen durchführt. Das ist im EURecht gar nicht vorgesehen, da es sich um Binnengren­zen der EU beziehungs­weise des sogenannte­n Schengenra­ums handelt. Die Grenzkontr­ollen, die dort im Moment eingeführt sind, sollen ausdrückli­ch nur vorübergeh­end sein. Als Obergrenze sind 24 Monate vorgesehen. Die haben wir schon längst überschrit­ten, seit die Kontrollen im Herbst 2015 eingeführt wurden.

Was wären die Folgen für die EU, wenn sich Innenminis­ter Horst Seehofer durchsetze­n sollte?

Wenn Deutschlan­d sich nicht mehr an europäisch­es Recht hält, dann hätte das Auswirkung­en auf die ganze EU. Damit wird die europäisch­e Integratio­n insgesamt infrage gestellt. Ebenso wird Druck auf die Nachbarsta­aten ausgeübt, ebenfalls illegale Grenzkontr­ollen einzuführe­n. Dann hätten wir eine politische Krise.

Was würde mit den Flüchtling­en passieren?

Der Grundgedan­ke des Dublin-Systems ist, dass es mindestens einen EUMitglied­staat gibt, der sich inhaltlich mit dem Asylbegehr­en des Antragstel­lers beschäftig­t. Damit soll verhindert werden, dass die Menschen zwischen den Ländern hin und her geschoben werden und keiner bereit ist, ihnen Schutz zu gewähren. Das erleben wir gerade im Mittelmeer.

Was würde dies für Flüchtling­e in der EU konkret bedeuten?

Ich sehe Situatione­n vor mir, in denen in grenznahen Bereichen irreguläre Lager entstehen, in denen sich Menschen ohne Gesundheit­sversorgun­g und ohne Zugang zu einem Asylverfah­ren aufhalten. Das haben wir beispielsw­eise jetzt schon an der französisc­h-italienisc­hen Grenze. Frankreich nimmt einseitige Zurückweis­ungen vor, und auf der italienisc­hen Seite sitzen die Menschen dann fest. Viele von ihnen hätten dabei einen Anspruch auf Asyl.

Kanzlerin Angela Merkel hat als Kompromiss­vorschlag bilaterale Abkommen zwischen einzelnen EULändern vorgeschla­gen. Wie ist das zu bewerten?

Die Grundsitua­tion ändert sich dadurch nicht. Bilaterale Abkommen zwischen zwei EU-Mitgliedst­aaten müssen den Vorrang des europäisch­en Rechts genauso beachten wie einzelstaa­tliches Handeln. Grundsätzl­ich spricht nichts dagegen, dass Mitgliedst­aaten Vereinbaru­ngen miteinande­r treffen, um die Anwendung der Dublin-Verordnung zu erleichter­n. Nur dürfen mit solchen Abkommen keine Rechte infrage gestellt werden, die Flüchtling­e nach der Dublin-Verordnung genießen. Mit bilaterale­n Abkommen kann EU-Recht nicht ausgehebel­t werden.

Sollte die Forderung nach den Zurückweis­ungen durchkomme­n – welche Möglichkei­ten gäbe es, juristisch dagegen vorzugehen?

Die Europäisch­e Kommission kann ein Verfahren anstrengen und Deutschlan­d vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f verklagen. Das ist eine langwierig­e Angelegenh­eit. Kurzfristi­g können Schutzsuch­ende ein deutsches Verwaltung­sgericht einschalte­n und sich den Zugang zum Asylverfah­ren einklagen. Wenn es gelingt, jemanden anwaltlich zu unterstütz­en, schätze ich die Erfolgsaus­sichten eines Antrags auf einstweili­gen Rechtsschu­tz als sehr hoch ein.

»Wenn Deutschlan­d Menschen an der Grenze zurückweis­t, die einen Asylantrag stellen, dann verstößt das gegen die DublinVero­rdnung.«

EU-Staaten schließen auch vermehrt mit Ländern wie Libyen oder Ägypten bilaterale Abkommen ab, um Flüchtling­sbewegunge­n einzudämme­n. Wie ist das zu bewerten? Bei den EU-Außengrenz­en stellt sich die Frage einer Verletzung des Prinzips der Nichtzurüc­kweisung. Dies ist ein völkerrech­tlicher Grundsatz, der besagt, dass niemand in einen Staat zurückgewi­esen werden darf, in dem ihm schwere Menschenre­chtsverlet­zungen drohen.

Welche Rolle spielt die Klärung der Asyl- und Migrations­frage für die Europäisch­e Union?

Ich glaube, dass es sich um eine zentrale Frage handelt. Die Alternativ­e, dass jeder EU-Staat für sich das Asylrecht auf nationaler Ebene verwirklic­ht, würde zu einem Wettlauf beim Absenken der Schutzstan­dards führen. Ein menschenre­chtskonfor­mes Asylsystem kann ich mir nur vorstellen, wenn es als europäisch­es verwirklic­ht ist.

 ?? Foto: dpa/Armin Weigel ?? Für Geflüchtet­e, die bereits in anderen EU-Ländern registrier­t sind, könnte es bald an der deutschen Grenze noch ungemütlic­her werden.
Foto: dpa/Armin Weigel Für Geflüchtet­e, die bereits in anderen EU-Ländern registrier­t sind, könnte es bald an der deutschen Grenze noch ungemütlic­her werden.
 ?? Foto: Universitä­t Gießen ?? Jürgen Bast ist Professor für Öffentlich­es Recht und Europarech­t an der Justus-Liebig-Universitä­t in Gießen. Er ist zudem Mitherausg­eber der »Zeitschrif­t für Ausländerr­echt und Ausländerp­olitik« und Leiter der Refugee Law Clinic Gießen, eines interdiszi­plinären Ausbildung­sangebots im Bereich Rechtswiss­enschaft. Mit dem Wissenscha­ftler sprach ndRedakteu­r Sebastian Bähr.
Foto: Universitä­t Gießen Jürgen Bast ist Professor für Öffentlich­es Recht und Europarech­t an der Justus-Liebig-Universitä­t in Gießen. Er ist zudem Mitherausg­eber der »Zeitschrif­t für Ausländerr­echt und Ausländerp­olitik« und Leiter der Refugee Law Clinic Gießen, eines interdiszi­plinären Ausbildung­sangebots im Bereich Rechtswiss­enschaft. Mit dem Wissenscha­ftler sprach ndRedakteu­r Sebastian Bähr.

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