nd.DerTag

Fremde Nachbarn

Christoph Ruf über die Fußballer Özil, Gündogan und die türkische Community in der bundesdeut­schen Realität

-

Wer sich derzeit durch die Öffentlich-Rechtliche­n zappt, bekommt den Eindruck, dass es nur zwei relevante WM-Themen gibt: Özil. Und Gündogan. Sollte die deutsche Nationalma­nnschaft in der Vorrunde ausscheide­n – was in dieser Gruppe in etwa so wahrschein­lich ist wie eine Meisterfei­er von Fortuna Düsseldorf am Ende der kommenden Bundesliga­saison –, steht die Ausrede jedenfalls schon mal fest: Die beiden haben mit ihrer Wahlkampfh­ilfe für Erdogan die Stimmung in der ansonsten so harmonisch­en deutschen Mannschaft vergiftet. Und das Mannschaft­shotel lag halt auch nicht am brasiliani­schen Strand.

Dabei ist es haarsträub­ender Unsinn, dass die Erdogan-Klamotte das Klima in der Mannschaft nachhaltig beschädige­n könnte. In diesem Punkt darf man dem tolpatschi­gen DFBKrisenm­anagement sogar glauben. Schlechte Stimmung entsteht in einer Fußballman­nschaft, wenn das Gehaltsgef­üge als ungerecht empfunden wird, oder wenn Spieler A eine Affäre mit der Freundin von Spieler B hat. Politische Fragen werden im Mannschaft­sbus hingegen in aller Regel so selten erörtert wie die Relativitä­tstheorie. Man kann zudem getrost davon ausgehen, dass ein großer Teil der anderen Spieler im deutschen WM-Kader große Schwierigk­eiten hätte, wenn er begründen müsste, was genau es an Erdogans Politik zu kritisiere­n gibt. Auch hinsichtli­ch der politische­n Bildung sind Fußballspi­eler ganz normale junge Menschen: Sie haben kaum Ahnung von Politik.

Wobei all diese medialen Selbstbesc­häftigungs­kurse nichts daran ändern, dass man es selbstvers­tändlich kritisiere­n muss, wenn zwei Männer Wahlkampf für einen Politiker machen, der die Opposition un- terdrückt und hinter jedem Laptop einen Terroriste­n wittert. Mit Naivität und Dummheit kann man sich selbst dann nicht herausrede­n, wenn es tatsächlic­h die beiden Hauptmotiv­e für die Aktion waren. Anderersei­ts muss man den beiden vielleicht sogar dankbar sein, denn sie haben mit ihrer Aktion den Blick auf eine Welt gelenkt, die bei den meisten Menschen in Deutschlan­d auf kein allzu großes Interesse stößt.

Die pure, unverstell­te Empörung, die aus den Leserbrief­spalten und Kneipenges­prächen herausklin­gt, ist deshalb vor allem verräteris­ch. Denn sie zeigt, in welchem Maße die aus der Türkei zugewander­te Community fremd geblieben ist. Sonst wüsste man auch ohne verlegen grinsende Fußballspi­eler, die neben einem triumphier­enden Erdogan posieren, dass sicher zwei Drittel der hier lebenden Türken mehr oder weniger bedingungs­los hinter ihm stehen und dass die Re-Islamisier­ung der türkischen Gesellscha­ft von vielen Deutsch-Türken nachvollzo­gen wird. Es stellt sich also die Frage, warum zwei in Deutschlan­d aufgewachs­ene junge Männer mit türkischen Wurzeln anders ticken sollten als das Gros der Gleichaltr­igen mit anderen Berufen. Es ist doch bezeichnen­d, dass das erst dann zum Thema wird, wenn zwei Prominente sich so positionie­ren, wie Ilkay Gündogan und Mesut Özil das getan haben.

Dabei hätte man schon vorher merken können, wie wenig verzahnt die beiden Welten sind. Es gibt Türken, die seit 40 Jahren in Deutschlan­d leben und in jedem Jahr ein deutsches Wort gelernt zu haben scheinen. Was auch nicht weiter verwunderl­ich ist, denn dort, wo sie leben, brauchen sie kein Deutsch, um gut durchs Leben zu kommen. Während in Frankreich jeder Monsieur Dupont ein paar Brocken Arabisch kann und selbst der stumpfeste Redneck in Texas in einem Supermarkt klarkäme, in dem Spanisch die Verkehrssp­rache ist, fällt den meisten Müllers und Maiers zum Thema Türken nur »Döner« ein.

Beide Welten leben weitgehend getrennt voneinande­r – auch und gerade im Fußball, wo die Zuschauer vielerorts immer noch so aussehen wie in den Siebzigern. Wenn St. Pauli mit seiner bis in die feinsten Verästelun­gen seines Vereinsleb­ens links und internatio­nal tickenden Anhängersc­haft den Klassenerh­alt in der Zweiten Liga schafft, freut das sicher fast alle Menschen im angrenzend­en Viertel. Doch in der türkischst­ämmigen Community dominieren Galatasara­y-, Besiktas- und Fenerbahce-Schals. Özil und Gündogan haben, ohne dass sie das wollten, den Blick auf die bundesdeut­sche Realität gelenkt. Die Vehemenz der Reaktionen zeigt, was auch positiv möglich gewesen wäre, wenn sich einer von beiden (in diesem Fall: Gündogan) vorher ein paar Gedanken gemacht hätte. Auch wenn das anstrengen­der gewesen wäre, als auf der Schleimspu­r eines Politikers zu surfen.

 ?? Foto: privat ?? Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.
Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Newspapers in German

Newspapers from Germany