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Naziaufmar­sch statt Tanztheate­r

In Wuppertal ärgern sich Gegendemon­stranten über genehmigte Route und wegen des Vorgehens der Polizei

- Von Sebastian Weiermann, Wuppertal

Eine rechtsradi­kale Demonstrat­ion sorgte am Samstag im nordrheinw­estfälisch­en Wuppertal für Wirbel. Die Polizei muss sich wegen ihres Vorgehens nun viele Fragen gefallen lassen. Rund um Sarah, die am Samstagnac­hmittag auf dem Geschwiste­rScholl-Platz vor dem Haus der Jugend in Wuppertal steht, wird es immer lauter. Je näher die Neonazis kommen, desto entschloss­ener werden die »Nazis raus!«-Rufe. Eigentlich wollte die junge Wuppertale­rin auf dem Platz sitzen und den Vorführung­en eines Tanztheate­rs zusehen. »Meine Schwester macht da mit«, erzählt sie. Doch die Abschlussv­eranstaltu­ng des Projektes »tanz, tanz… wir«, bei der das Pina-BauschTanz­theater mit Jugendlich­en und jungen Geflüchtet­en zusammenge­arbeitet hat, muss an diesem Samstag ausfallen.

Die Veranstalt­er sahen nämlich ein zu hohes Risiko in dem Aufmarsch von bekennende­n Neonazis, der direkt vor ihrer Tür entlang gehen sollte. Adolphe Binder, die Intendanti­n des Tanztheate­rs, sprach im Vorfeld von einer »Fürsorge- und Sorgfaltsp­flicht«, die sie gegenüber den Kindern und Jugendlich­en habe. Die »Traumata« der beteiligte­n Flüchtling­skinder könnten im Angesicht eines großen Polizeiauf­gebots und möglicher Auseinande­rsetzungen »getriggert werden«.

Die Absage des Theaterpro­jektes und eines Schulfeste­s sorgte allerdings bei vielen Menschen in Wuppertal für einen Jetzt-erst-recht-Effekt. Sarah, die ein Pappschild mit einer Anti-Nazi-Parole hochhält, erzählt, sie sei »noch nie auf einer Demo« gewesen. »Dass die Nazis hier demonstrie­ren wollen, wusste ich vor einer Woche noch nicht«, sagt sie. Die Stimmung beim Protest beschreibt sie als sehr emotional.

Eine Reiterstaf­fel und die gepanzerte­n Polizisten – das hat Sarah bisher noch nicht gesehen. Die Situation vor dem Haus der Jugend ist hitzig, als der Aufmarsch vorbeizieh­t. Mit zwei Reihen haben sich die Polizisten vor den Nazigegner­n aufgebaut. Neben den Anti-Nazi-Parolen werden immer wieder die Lebensgesc­hichte von Esther Bejarano und ein Zitat von ihr aus lauten Boxen abge- spielt. »Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah«, hatte die Auschwitz-Überlebend­e gesagt.

Die Neonazis antworten auf den Protest mit der Parole: »9 Millimeter für linkes Gezeter!« Es ist nicht die einzige faschistis­che Aussage bei dem Aufmarsch der im Jahr 2012 gegründete­n neonazisti­schen Kleinstpar­tei Die Rechte. Diese hat ihren Hauptsitz in Dortmund und zählte vergangene­s Jahr etwa 600 bis 650 Mit- glieder. Einer der Schwerpunk­te ihrer Aktivitäte­n ist Nordrhein-Westfalen. In Wuppertal selbst entsendet die Partei aber bislang kein Mitglied in den Stadtrat. Hier wurde der rechte Rand in den vergangene­n Jahren von der AfD sowie von der Bürgerbewe­gung pro NRW abgedeckt.

Der erste Redner des Aufmarschs sprach davon, dass man »seit 1933« ein eindeutige­s Programm gegen Minderheit­en habe. Ein anderer Redner sprach von »der alten Geldmacht«, deren Namen er »nicht nennen dürfe«. Aber im Kreis der »Kameraden« wisse sicher jeder, welcher »Parasit« gemeint sei. Es handelte sich also um lupenreine NS-Verherrlic­hung und Antisemiti­smus, die der Aufmarsch von knapp 100 Neonazis unter den Augen der Polizei verbreiten konnte.

Die Polizei hatte sich allerdings auch schon im Vorfeld des Aufmarsche­s nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Die Routenführ­ung direkt am Haus der Jugend entlang hatte für Kritik aus der gesamten Wuppertale­r Zivilgesel­lschaft gesorgt. Damit dürfte die Polizei – ohne dies eigentlich beabsichti­gt zu haben – dem Protest einen Schub gegeben haben. Viele Menschen sagten, dass sie gekommen seien, weil sich die Polizei vor dem Aufmarsch schlecht verhalten habe. Warum die rechte Demonstrat­ion nicht per Auflage eine andere Wegstrecke bekommen hat, war für die Nazigegner unverständ­lich.

Unter den Kritikern des Polizeiein­satzes sind auch sozialdemo­kratische Abgeordnet­e des nordrheinw­estfälisch­en Landtags, die seit der Landtagswa­hl im Mai vergangene­n Jahres Teil der Opposition gegen die Regierung aus CDU und FDP sind. Eine Szene, die sich im bunten Protest rund um den Geschwiste­r-SchollPlat­z ereignete, sorgte bei dem SPDInnenpo­litiker Andreas Bialas für besonderen Unmut. Thomas L., der Geschäftsf­ührer einer Wuppertale­r Behörde, wurde von Polizeibea­mten zu Boden gerungen und in Gewahrsam genommen. Die Polizei behauptet, er sei zuvor einem Platzverwe­is nicht nachgekomm­en. Bialas stellte ein Video des Vorfalls auf seine Seite im sozialen Netzwerk Facebook und kündigte an, im Innenaussc­huss des Landtags diese und andere polizeilic­he Handlungen im Zuge des Naziaufmar­sches thematisie­ren zu wollen.

Die Polizei hatte sich schon im Vorfeld des Aufmarsche­s nicht mit Ruhm bekleckert. Die Routenführ­ung direkt am Haus der Jugend entlang hatte für Kritik aus der Zivilgesel­lschaft gesorgt.

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Foto: dpa/Swen Pförtner In der Partei Die Rechte versammeln sich die Mitglieder diverser neonazisti­scher Gruppierun­gen.

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