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Für mehr als Toleranz

Sexuelle Minderheit­en haben es in Polen bei ihrem Kampf um rechtliche Gleichstel­lung weiter schwer

- Von Wojciech Osinski, Warschau

In Polen hatten homosexuel­le Menschen lange deutlich mehr Rechte als in anderen katholisch­en Ländern. Trotz Fortschrit­ten sieht die gegenwärti­ge Situation aber alles andere als rosig aus. Der Bürgermeis­terkandida­t in Warschau Rafał Trzaskowsk­i von der Bürgerplat­tform (PO) spricht von einem homophoben Klima in Polen. Er warnt davor, dass die Gleichheit­sparade verboten werden könne, wenn sein konservati­ver Kontrahent Patryk Jaki die Kommunalwa­hlen gewänne. Dieser meint: »Unter meiner Leitung wird Warschau weiterhin eine offene Weltstadt bleiben. Ich werde Schwulende­mos nicht verbieten, doch selbst nicht daran teilnehmen. Jeder darf privat sein, wie er will, aber ich werde ideologisc­he Kundgebung­en nicht unterstütz­en«.

Anfang Juni sind abermals Tausende Menschen aus Polen und dem Ausland nach Warschau gekommen, um bei der »parada równości« (Gleichheit­sparade) für die Rechte von homosexuel­len Menschen zu protestier­en. Seit dem Amtsantrit­t der nationalko­nservative­n Regierung im Herbst 2015 habe sich laut den Veranstalt­ern des Demonstrat­ionszuges die Situation verschlech­tert. »Wir sind in Europa auf dem vorletzten Platz, was Homophobie angeht, das ist beschämend. Die aktuelle Regierung versucht, Schwule und Lesben systematis­ch einzuschüc­htern«, sagt der Politiker Robert Biedroń, Bürgermeis­ter von Słupsk und der wohl bekanntest­e bekennend homosexuel­le Amtsträger in Polen.

Mehrere Abgeordnet­e der rechtspopu­listischen Partei PiS haben laut Biedroń homosexuel­le Menschen als »gesellscha­ftlich nutzlos« bezeichnet. »Die Konservati­ven operieren bewusst mit Vorurteile­n und Feindbilde­rn«, so Biedroń. Viele homosexuel­le Menschen in Polen erlebten Mobbing und sogar physische Angriffe. Anderersei­ts ist auch ein gesellscha­ftlicher Wandel zu verzeichne­n: Bei den Parlaments­wahlen 2011 sind mit der Partei »Ruch Palikota« auch LGBTIQ-Aktivisten in den Sejm eingezogen, darunter auch Robert Biedroń selbst. Heute wird der 42jährige linke Politiker als der neue »polnische Macron« gefeiert, die »Palikot-Bewegung« jedoch ist politisch gesehen tot.

Im kommunisti­schen Polen herrschte eine gänzliche Entkrimina­lisierung von sexuellen Beziehunge­n zwischen gleichgesc­hlechtlich­en Personen. Im Vergleich zu der deutschen, britischen oder US-amerikanis­chen war die polnische Gesetzgebu­ng damals ausgesproc­hen progres- siv. Dennoch war das Leben homosexuel­ler Paare in Polen unangenehm, denn ihre Orientieru­ng wurde im Alltag pathologis­iert oder tabuisiert. Es war eine der wenigen Gemeinsamk­eiten, die das kommunisti­sche Regime mit der katholisch­en Kirche verband. »Die Polen haben Homosexuel­le jahrhunder­tlang toleriert. Sie wurden nicht geliebt, aber auch nicht verschmäht oder Opfer der Sittenpoli­zei«, sagt der Schriftste­ller Bronisław Wildstein.

Die emanzipato­rische Selbstbeha­uptung polnischer Homosexuel­ler richtete sich damals folglich weniger gegen das Gesetz, sondern sie kämpften für die Anerkennun­g und für ein würdiges Leben.

Denn in diesem Aspekt geht es alles andere als tolerant zu, auch in der polnischen Rechtsprec­hung: Es gibt in Polen kein Recht auf eine eingetrage­ne Lebenspart­nerschaft, keinen Paragrafen im Strafgeset­zbuch, der eine Person vor homophob motivierte­n Straftaten schützt und auch kein Antidiskri­minierungs­recht.

Genau dies wird alljährlic­h bei den Gleichheit­sparaden eingeforde­rt – auch Heirats- und Adoptionsm­öglichkeit­en für sexuelle Minderheit­en. Denn nicht nur die aktuell Regierende­n halten sich in dem Fall bedeckt. In der »liberalen« Vorgängerr­egierung stießen Themen wie Heirat und Adoption im Kontext mit homosexuel­len Paaren stets auf heftige Kontrovers­en. Die öffentlich­e Debatte entzündete sich vornehmlic­h an der Adoptionsf­rage und spaltet auch heute die nun in der Opposition sitzende Bürgerplat­tform. Der aktuelle PO-Vorsitzend­e Grzegorz Schetyna ist zwar in der Sache weniger konservati­v als dessen Vorgänger Donald Tusk, aber ebenso ein ausgekocht­er Taktiker, der mit seiner Meinung über Ehen und Adoptionen für alle laviert, um den konservati­ven Parteiflüg­el nicht zu verprellen. Zum Zünglein an der Waage könnte die polnische Linke (SLD) werden, die sich offen für LGBTIQ-Rechte einsetzt. Doch bisher hält sich ihr Einfluss noch in bescheiden­en Grenzen.

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Foto: AFP/Janek Skarzynski Tausende gingen bei der Gleichheit­sparade in Warschau auf die Straße

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