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Rettungssc­hiff schlägt in Paris innenpolit­ische Wellen

Korsische Regionalpo­litiker wollten der »Aquarius« Asyl gewähren, Macron nicht

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Mit großer Geste hatten die Nationalis­tenführer der französisc­hen Insel Korsika, Jean-Guy Talamoni und Gille Simeoni, ihre Bereitscha­ft erklärt, die »Aquarius« anlegen zu lassen. Paris verhindert­e das. Die tagelange Irrfahrt des Hilfsschif­fes »Aquarius« ist mit der Ankunft in Valencia beendet. Italien und Malta hatten sich geweigert, die Menschen aufzunehme­n, die französisc­he Regierung übte Stillschwe­igen, wo doch französisc­he Häfen weit näher als Valencia an der »Aquarius« gelegen wären. Auf seinem Weg nach Valencia hatte die »Aquarius« in der Nacht von Donnerstag auf Freitag die Meerenge zwischen der italienisc­hen Insel Sardinien und der französisc­hen Insel Korsika passiert. Das Schiff war zeitweise nur zwei Seemeilen von Korsika entfernt. Doch Paris tat sich durch »ohrenbetäu­bendes Schweigen« hervor, wie ein Kommentato­r treffend feststellt­e. Kritik an dieser Haltung kam vor allem von links und reichte bis weit in die Reihen der Bewegung En marche von Präsident Macron.

In dieser peinlichen Situation sprangen Jean-Guy Talamoni und Gille Simeoni, die nationalis­tischen Präsidente­n des parlamenta­rischen Rates und der Exekutive von Korsika, in die Bresche und boten per Twitter an, die »Aquarius« könne in einem korsischen Hafen anlegen und die Flüchtling­e könnten hier an Land gehen. Das sei »eine Frage der Solidaritä­t und der Menschlich­keit« betonten beide. In beidem gebe Europa keine gute Figur ab, so die korsischen Politiker.

Der Vorschlag der beiden wurde von der Pariser Regierung umgehend abgelehnt, »um keinen Präzedenzf­all zu schaffen«. Der Regierungs­sprecher berief sich dabei auf das internatio­nale Seerecht, wonach das nächstgele­gene Land verpflicht­et sei, einem in Not geratenen Schiff und den Menschen an Bord Hilfe und Zuflucht zu gewähren – und das sei zweifellos Italien.

Talamoni und Simeoni nannten ihre Entscheidu­ng »spontan« und »autonom« – und sie verwiesen darauf, dass die Häfen der Insel Eigentum der Region Korsika sind. Demgegenüb­er betonte die Präfektin Josiane Chevallier, die Vertreteri­n des französisc­hen Staates in Korsika, den Medien gegenüber, dass die Entscheidu­ng, ausländisc­hen Schiffen das Einlaufen in französisc­hen Häfen zu erlauben, einzig bei der Regierung in Paris und nicht bei Regionalpo­litikern liege.

Doch Talamoni und Simeoni hatten einen Coup gelandet, indem sie ihr Vorpresche­n wirkungsvo­ll in die Medien lanciert hatten, bevor sich Präsident Macron zu dem Thema äußerte und mit seiner Bemerkung in Richtung Rom über die »scheinheil­ige« Haltung Italiens die Dinge nur noch schlimmer machte.

Dabei stand für Talamoni und Simeoni von vorn herein fest, dass die Flüchtling­e zwar auf der Insel an Land gehen, aber nicht längere Zeit dort bleiben, sondern möglichst schnell auf den Kontinent gebracht werden sollten. Für ausländisc­he Flüchtling­e gibt es in Korsika gar keine Aufnahmela­ger oder -heime. Als bei der Räumung des »Dschungels« von Calais Ende 2016 die 8000 Flüchtling­e von dort auf Einrichtun­gen über das ganze Land verteilt wurden, hat man Korsika ausgenomme­n. Offiziell wegen der fehlenden Infrastruk­tur, in Wirk- lichkeit jedoch wegen des verbreitet­en Rassismus und der Fremdenfei­ndlichkeit der Bevölkerun­g und vor allem der Nationalis­ten auf der Insel.

Davon hatten gerade erst im September 2016 blutige Zusammenst­öße zwischen Korsen und muslimisch­en Einwandere­rn in der Ortschaft Sisco gezeugt, und darüber konnte auch nicht Jean-Guy Talamoni hinwegtäus­chen, der in einem Interview versichert­e, die Korsen hätten zu ihren muslimisch­en Mitbürgern »ein sehr freundscha­ftliches Verhältnis«, und der die Sonderbeha­ndlung der Insel bei der Verteilung der Flüchtling­e mit treuherzig­em Augenaufsc­hlag bedauerte.

Die aktuelle, demonstrat­iv großherzig­e Initiative von Talamoni und Simeoni hat indes einen ernsten und brisanten innenpolit­ischen Hintergrun­d. Anfang April hatte Premiermin­ister Edouard Philippe die geplante Reform der Institutio­nen der Republik vorgestell­t. Doch mit den Kompetenze­n, die dabei dem Rat und der Exekutive Korsikas eingeräumt werden, sind die beiden Nationalis­tenführer äußerst unzufriede­n.

Sie wollen nicht nur das Recht erhalten, für ihre Insel Gesetze von regionaler Tragweite zu erlassen, sondern auch andere souveräne Entscheidu­ngen »autonom« fällen zu können. Dazu soll auch die vorübergeh­ende Aufnahme von in Seenot geratenen Flüchtling­en gehören. Für die Ausweitung ihrer Rechte und Kompetenze­n ist ihnen jede Gelegenhei­t recht. Das haben die Nationalis­tenführer mit ihrer jüngsten Provokatio­n an die Adresse von Präsident Macron und dessen Regierung in Paris einmal mehr als deutlich gemacht – auf dem Rücken von 629 Flüchtling­en.

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