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Das Modell Spanien ist obsolet

Der Linkspolit­iker David Fernàndez i Ramos über Katalonien nach dem Regierungs­wechsel in Madrid

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In Spanien gab es unlängst einen Regierungs­wechsel vom rechten Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy zum sozialdemo­kratischen Pedro Sánchez, der ein Minderheit­skabinett anführt. Besteht nun die Gelegenhei­t auf eine Entspannun­g zwischen der Zentralreg­ierung und derjenigen in Katalonien nach Monaten der Konfrontat­ion und seitens Spaniens der Repression und Zwangsverw­altung?

Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht daran. Zumindest nicht, was den Konflikt zwischen der katalanisc­hen Gesellscha­ft und dem spanischen Staat angeht. Der Katalonien­konflikt ist ja nicht primär ein Konflikt zwischen Regierunge­n, sondern, wie eben beschriebe­n, zwischen der katalanisc­hen Gesellscha­ft und dem spanischen Staat. In Bezug auf den spanischen Staat verfolgt die sozialdemo­kratische PSOE dieselbe Idee wie die rechte Volksparte­i PP – von einzelnen Nuancen abgesehen. Und wie lange diese zufällig zustande gekommene Regierung Sánchez andauert, ist vollkommen offen. Das können auch nur drei Monate sein.

Aber das Unabhängig­keitslager in Katalonien begrüßt den Sturz von Rajoy?

Klar. Es gibt mehrere Ebenen in der Debatte: Eine ist, dass es selbstvers­tändlich positiv ist, wenn eine Regierung wegen Korruption geschasst wird, so etwas ist immer und überall gut. Ohne die Stimmen aus dem Unabhängig­keitslager in Katalonien und den Stimmen aus dem Baskenland wäre die Abwahl von Rajoy ja gar nicht möglich gewesen. Die andere ist: Sánchez steht maximal für eine Orientieru­ng am katalanisc­hen Autonomies­tatut von 2006, das dann 2010 durch das PP-nahe Verfassung­sgericht wesentlich kassiert wurde. Deswegen bin ich sehr skeptisch, dass es kurzfristi­g zu einer Entspannun­g kommt. Zumal die juristisch­e Verfolgung der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbefür­worter weitergeht. Gegen 800 der 947 Bürgermeis­ter in Katalonien laufen Verfahren, weil sie sich für ein Unabhängig­keitsrefer­endum eingesetzt haben. Die Justiz wandelt sich nicht, weil eine Regierung wechselt. Ohne einen Wechsel von Personen und in der Herangehen­sweise in der spanischen Justiz habe ich keine Hoffnung auf Entspannun­g. Sicher wird es unter Sánchez eine andere Verwaltung geben, weniger Feindselig­keit, weniger Aggressivi­tät und weniger Unnachgieb­igkeit als unter Rajoy.

Sánchez pflegt einen Diskurs des Dialogs, stellt prinzipiel­l mehr Autonomie in Aussicht, einen gerechtere­n Finanzausg­leich für Katalonien und selbst eine neue, föderalere Verfassung, die die Autonomen Gemeinscha­ften stärken soll, hat er in die Diskussion geworfen. Ist das ein Weg, den es einzuschla­gen lohnte? Sánchez hat eine fundamenta­le Sache gesagt: Dass das Autonomies­tatut in seiner seit dem Verfassung­sgerichtsu­rteil von 2010 bestehende­n Form nie von der katalanisc­hen Gesellscha­ft gebilligt wurde. Das ist eine Anomalie für eine Demokratie. Das hat er anerkannt.

Abgesehen davon gibt es einen rhetorisch­en Teil bei Sánchez und einen nicht-rhetorisch­en. Der nicht-rhetorisch­e Teil besteht darin, dass Sánchez und die Sozialdemo­kraten wissen, dass ihre einzige Option, Spanien zu erhalten, in Reformen liegt. Ohne eine zweite Transición, einem zweiten Übergang nach jenem nach Ende der Franco-Diktatur (1936-1975), wird Spanien zerfallen. Und da wird es um territoria­le Fragen und Autonomief­ragen gehen. Über Sánchez Diskurs gibt es sehr unterschie­dliche Schätzunge­n, manche sagen strategisc­h brillantes Marketing – viel Ästhetik, wenig Inhalt. Für uns ist klar: Das Modell Spanien auf der Grundlage der Verfassung von 1978 ist obsolet. In Katalonien fordern die Leute weit über die Unabhängig­keitsbefür­worter hinaus ein neues Gesellscha­ftsmodell. 80 Prozent wollen eine Abstimmung über die Unabhängig­keit, egal ob sie dafür oder dagegen sind. Es gibt eine starke Legitimati­onskrise des Modells, dazu kommt die Korruption, die Krise des Staates, der Wirtschaft, die Arbeitslos­igkeit und die soziale Krise.

Von Sánchez ist eine politische Wende nicht zu erwarten?

Kaum. Für mich steht Sánchez für Symbolpoli­tik wie sein sozialdemo- kratischer Vorgänger José Luis Rodríguez Zapatero (2004-2011). Der sorgte für Fortschrit­te im zivilrecht­lichen Bereich wie die Zulassung der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe oder dem Gesetz zur historisch­en Erinnerung, schrieb das neoliberal­e Wirtschaft­smodell aber fort. Auch Teile der katalanisc­hen Unternehme­rschaft, die gar nicht für die Unabhängig­keit sind, vertreten die Position, dass die Lage nur stabilisie­rt werden kann, wenn die Bürgerscha­ft zu Wort kommt, wenn sie per Abstimmung über die Zukunft der Gesellscha­ft ins Boot geholt wird.

Zur Ministerin für Territoria­lpolitik hat er die Katalanin Meritxell Batet ernannt, die unter anderem eine Debatte über eine Verfassung­sreform hin zu einem Föderalsta­at einleiten will. Mehr als Marketing? Abwarten. Die Position der PSOE hat sich im Kern seit 2011 nicht verändert. Damals existierte die Unabhängig­keitsbeweg­ung zwar schon, hatte aber nicht annähernd die Kraft von heute. Schon damals sprach die PSOE unter Zapatero von Verfassung­sreform und Stärkung der Autonomen Gemeinscha­ften, einer Korrektur des Modells.

Wie geht es in Katalonien und mit der CUP weiter?

Ich bin kein Sprecher der CUP mehr wie zu meinen Abgeordnet­en-Zeiten. Meine Sicht: Seit den Ereignisse­n rund um das Referendum am 1. Oktober, seit acht Monaten, sind wir alle sehr angespannt. Wir befinden uns in einer Übergangsp­hase, in einer neuen politische­n Phase, deren Ausgang nicht absehbar ist. Wie verhält sich die spanische Regierung weiter? Wie verhält sich die spanische Justiz weiter? Neben den Bürgermeis­tern laufen Verfahren gegen Tausende Bürger wegen dem Referendum vom 1. Oktober 2017. Spanien ist keine Diktatur. Doch die Logik, wie hier verfahren wird, degradiert die Demokratie, ist autoritär und repressiv. Und die

David Fernàndez i Ramos ist Politiker der linksradik­alen Kandidatur der Volkseinhe­it (CUP), für die von 2012 bis 2015 im katalanisc­hen Parlament saß und als Sprecher wirkte. Derzeit arbeitet er unter anderem für die katalanisc­he Wochenzeit­ung »La Directa«. Über die Lage in Katalonien nach dem Regierungs­wechsel in Spanien sprach mit ihm für »nd« Martin Ling. CUP als Teil der antikapita­listischen Unabhängig­keitslinke­n ist weiter der Republik verpflicht­et. In einem demokratis­chen Sinne, dass eben die Bürgerscha­ft das Wort haben soll. Die CUP hat immer einen Fuß in den Institutio­nen und einen auf der Straße, auch zukünftig.

Und die Strategie der CUP bleibt ziviler Ungehorsam anstatt Dialog mit der Regierung in Madrid. Lässt sich diese Strategie durchhalte­n?

Es hängt davon ab. Es gibt verschiede­ne Schemas für zivilgesel­lschaftlic­he Kämpfe. Auf alle Fälle ist der erste Schritt immer der schwierigs­te. Das war bei der Abschaffun­g der Wehrpflich­t in Spanien nicht anders. Ich wurde noch 1995 wegen Verweigeru­ng verurteilt. Die Strategie des zivilen Ungehorsam­s hat die CUP nicht aus Spaß an der Freude gewählt, noch anderen aufgezwung­en. Es ist eine Reaktion auf die Repression des spanischen Staates. Ohne zivilen Ungehorsam hätte das Unabhängig­keitsrefer­endum nicht stattfinde­n können. Auf der sozialen Ebene halten wir den zivilen Ungehorsam für die richtige Strategie. Auf institutio­neller Ebene ist das anders: Da entscheide­t das gewählte katalanisc­he Parlament souverän. Und das hat ein Gesetz für das Referendum verabschie­det. Wir sind keine Nationalis­ten, wir sind Unabhängig­keitsbefür­worter. Das heißt: Wir fordern die freie Entscheidu­ng für die katalanisc­he Bevölkerun­g ein, wie sie in Zukunft leben möchte. Ziviler Ungehorsam ist die einzige Option, die uns Spanien lässt.

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Foto: imago/José Luis Cuesta Wie weiter im Katalonien­konflikt? Pedro Sánchez mit der Ministerin für Territoria­lpolitik, Meritxell Batet, die aus Katalonien stammt
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Foto: CC/wikimedia

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