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Heiße Kriege um eiskalte Region?

Trotz der gewachsene­n geopolitis­chen Bedeutung der Arktis ist das Konfliktpo­tenzial überschaub­ar

- Von Kathrin Stephen

In den vergangene­n Jahren wurde um den Nordpol militärisc­h aufgerüste­t und Russland stellte eine Titanflagg­e auf dem Meeresgrun­d auf. Doch das muss nicht das Ende zahlreiche­r Kooperatio­nen bedeuten. Ausgelöst durch einen sich rapide vollziehen­den Klimawande­l im Hohen Norden ist der Konflikt um die Arktis seit einigen Jahren ein Thema öffentlich­er Debatten. Der mögliche Zugriff auf bislang unentdeckt­e Ölund Gasvorkomm­en durch verschiede­ne politische Akteure steht dabei im Mittelpunk­t der internatio­nalen Aufmerksam­keit. Eine Analyse der Interessen der verschiede­nen Akteure, die tatsächlic­he Relevanz der potenziell­en Ressourcen und die vorhandene­n Institutio­nen weisen allerdings eher auf Zusammenar­beit als auf Konflikt in der Arktis.

Neue Begehrlich­keiten

Die Arktis ist wie kaum eine andere Region in den letzten Jahren in das Zentrum der wissenscha­ftlichen, politische­n und medialen Aufmerksam­keit gerückt. Die Platzierun­g einer russischen Titanflagg­e auf dem Meeresgrun­d am geografisc­hen Nordpol, eine doppelt so starke Klimaerwär­mung im Hohen Norden im Vergleich zum globalen Durchschni­tt sowie die Möglichkei­t einer beschleuni­gten Klimaerwär­mung durch die Freisetzun­g potenter Klimagase aus dem tauenden Permafrost sind nur einige Beispiele, die das gewachsene Arktisinte­resse begründen und zeigen.

Vor allem die zunehmende Zugänglich­keit der Arktis hat den Norden auf die politische­n Agenden nicht nur der acht Arktis-Anrainerst­aaten – Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und USA – sondern auch einflussre­icher nichtarkti­scher Akteure wie der EU, China, Japan, Südkorea, Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien gesetzt. Im Zentrum der politische­n Aufmerksam­keit stehen vor allem die vermuteten Öl- und Gasressour­cen unter dem Meeresgrun­d des Arktischen Ozeans und seiner benachbart­en Meere, die mögliche Nutzung neuer Schifffahr­tsrouten entlang der Nordost- und Nordwestpa­ssage an den immer länger im Jahr eisfreien Küsten Russlands und Kanadas sowie die Nutzung bislang neuer Fischfangg­ründe in arktischen Gewässern.

Vor allem die russische Flaggenset­zung am Nordpol im August 2007 und militärisc­he Aufrüstung­en Russlands in seinen arktischen Gebieten ließen Befürchtun­gen aufkommen, dass eine zugänglich­ere Arktis zu einem, diesmal sprichwört­lichen, »Kalten Krieg« in der Region führen würde. Demgegenüb­er stehen wachsen- de Kooperatio­nsbemühung­en vor allem der acht Arktisstaa­ten (unter ausdrückli­cher Einbindung Russlands) in dem zentralen politische­n Forum der Region, dem Arktischen Rat. Dort sind zunehmend auch nichtarkti­sche Staaten, Nichtregie­rungsorgan­isationen, Wissenscha­ftsorganis­ationen und Organisati­onen der Vereinten Nationen eingebunde­n. Es gibt also sowohl Hinweise für eine gestiegene Konfliktwa­hrscheinli­chkeit als auch für robuste Kooperatio­nsmechanis­men, um die veränderte­n klimatisch­en Bedingunge­n und ihre politische­n Auswirkung­en auf friedliche­m Weg zu regeln.

Konfliktre­gion Arktis

An welchen konkreten Punkten macht sich die Argumentat­ion einer »Konfliktre­gion Arktis« und die konfrontat­ive Aushandlun­g arktischer Konflikte nun fest? An erster Stelle steht die militärisc­he Aufrüstung in der Arktisregi­on und konkret die russische. Die (Wieder-)Eröffnung von Militärbas­en, Landepiste­n und Versorgung­shäfen, die Aufstellun­g arktischer Brigaden, die Einrichtun­g eines Raketenfrü­hwarnsyste­ms, der Bau neuer (auch nuklearer) Eisbrecher sowie wiederholt­e Berichte über Erkundungs­flüge russischer Kampfflugz­euge, auch über Lufträumen arktischer Nachbarn, haben Ängste über mögliche konfrontat­ive Absichten Russlands in der Arktis geschürt. Zudem haben auch andere Arktisstaa­ten, beispielsw­eise Norwegen, in ihre militärisc­hen Kapazitäte­n im Norden investiert.

Zweitens sind die erwarteten Ressourcen­vorkommen in der Arktis, vor allem Erdöl und Erdgas, häufig Projektion­sfläche für mögliche konfrontat­ive Konfliktsi­tuationen. Laut einer vielbeacht­eten Studie aus dem Jahr 2008 könnten in der Arktis bis zu 13 Prozent der noch unentdeckt­en globalen Erdöl- und bis zu 30 Prozent der noch unentdeckt­en Erdgasvork­ommen liegen.

Drittens: Der Rückgang des arktischen Meereises verlängert den Zugang zu arktischen Schifffahr­tswegen. Damit erhalten auch politische Unstimmigk­eiten bezüglich des rechtliche­n Status einiger arktischer Routen mehr Gewicht.

Viertens: Trotz vieler bi- und multilater­al ausgehande­lter Grenzführu­ngen gibt es nach wie vor ungelöste maritime Grenzstrei­tigkeiten in der Arktis, beispielsw­eise in der Beaufortse­e und im Arktischen Ozean im Gebiet des Nordpols.

Zuletzt: Die diplomatis­che Krise zwischen Russland und westlichen Staaten seit dem Krim- und Ukrainekon­flikt hat Befürchtun­gen aufkommen lassen, dass geopolitis­che Konflikte auch auf die Arktis überschwap­pen. Kooperatio­nsregion Arktis

Diesen Konflikt- und Konfrontat­ionsbefürc­htungen ist entgegenzu­halten, dass militärisc­he Aufrüstung in der Arktis nicht zwingend aus offensiven Gründen geschehen muss. Zum einen sind viele zivile Aufgaben in der von schwierige­n nautischen, geografisc­hen und klimatisch­en Bedingunge­n geprägten Region – wie Überwachun­g von Schiffsver­kehr und Umweltaufl­agen sowie die Bereitstel­lung von Infrastruk­tur für Such- und Rettungsdi­enste – häufig nur mit militärisc­hem Gerät und Personal durchführb­ar. Außerdem ist arktisches militärisc­hes Potenzial schwierig als exakt solches definierba­r, da Personal und Ausrüstung­sgüter oft nicht ausschließ­lich in der Arktis eingesetzt werden können. In einigen Rechtsordn­ungen sind zudem Küstenwach­e und Eisbrecher nicht dem Militär unterstell­t.

Häufig wird den Konfrontat­ionsängste­n in der Arktis auch entgegenge­halten, dass die Bedeutung der gemeinsame­n Herausford­erungen die Bedeutung der Konflikte bei weitem übersteigt. Diese beziehen sich vor allem auf die Anpassung an den Klimawande­l und die damit einhergehe­nden sozialen Veränderun­gen in der Region. Zudem schrumpft das Konfrontat­ionspotenz­ial einiger häufig als konflikttr­ächtig dargestell­ter Politikfel­der bei näherem Hinsehen erheblich zusammen. Die große Mehrheit der vermuteten Öl- und Gasvorkomm­en in der Arktis sind in Gebieten, die rechtlich eindeutig einzelnen Staaten zuzuordnen sind, und damit ist der vielbeschw­orene »Wettlauf um die Ressourcen der Arktis« hinfällig.

Zudem ist die Erschließu­ng vor allem der russischen Öl- und Gasvorkomm­en in der Arktis aufgrund der schwierige­n finanziell­en wie technologi­schen Zugangs- und Abbaubedin­gungen nur unter Einbindung internatio­naler Partner möglich.

Das Beispiel Öl und Gas zeigt, dass die weit verbreitet­e Verallgeme­inerung der Bedeutung arktischer Ressourcen den Blick für eine klare Analyse eher verzerrt. Von den Arktisstaa­ten zeigen nur Norwegen und Russland erstzunehm­ende Interessen an der Ausbeutung ihrer arktischen Öl- und Gasressour­cen. Die USA und Kanada verfügen über weitaus größere und vor allem leichter zugänglich­ere fossile Lagerstätt­en außerhalb ihrer Arktisregi­onen, beispielsw­eise im Golf von Mexiko sowie in den Schieferga­sstätten in den östlichen Bundesstaa­ten der USA.

Überschätz­te Schifffahr­tswege Arktische Schifffahr­tsrouten werden trotz der verlängert­en Schiffbark­eit nicht als konkurrenz­fähig zu den globalen Handelsrou­ten durch den Suez- und den Panamakana­l angesehen. Die Saisonabhä­ngigkeit der Routen (Wintereis wird in der Arktis auf unabsehbar­e Zeit bestehen bleiben) und wetter-, klima- und infrastruk­turbedingt­e Probleme in Sachen pünktliche Einhaltung von Fahrplänen reduzieren die Relevanz der Arktisrout­en für den internatio­nalen Seehandels­verkehr erheblich.

Auch zunehmende Fischereim­öglichkeit­en in der Arktis sind nach wie vor ungewiss. Die Staaten zeigen aktuell eher einen vorsichtig­en Ansatz in dieser Hinsicht: Die USA haben 2009 aufgrund mangelnder Daten für eine nachhaltig­e Nutzung der Bestände große Gebiete der amerikanis­chen Wirtschaft­szone in der Tschuktsch­enund Beaufortse­e vor den Küsten Alaskas für kommerziel­len Fischfang geschlosse­n. Die fünf Arktis-Anrainerst­aaten haben 2015 ein De-facto-Moratorium kommerziel­len Fischfangs in der Hohen See des Arktischen Ozeans verabschie­det, welches 2017 in ein rechtlich bindendes Abkommen unter Einbeziehu­ng von Island, der EU, China, Japan und Südkorea führte, das kommerziel­len Fischfang in den Hohe-See-Gebieten des Arktischen Ozeans für 16 Jahre untersagt.

Dem oben genannten Konfliktpo­tenzial steht zudem eine Vielzahl von Hinweisen auf Kooperatio­n in der Arktis entgegen. Die Arktisstaa­ten, einige nicht-arktische Staaten sowie vor allem Vertreter von indigenen Organisati­onen blicken auf eine lange Kooperatio­nsgeschich­te zurück. Diese hatte einen ersten Höhepunkt 1989 mit der Verabschie­dung der Arctic Environmen­tal Protection Strategy (AEPS). Die AEPS mündete 1996 in die Gründung des Arktischen Rates, welcher seither das zentrale politische Forum für die Region ist und als Erfolg der Kooperatio­n zwischen Arktisstaa­ten, indigenen Völkern und nichtarkti­schen Akteuren gilt.

Friedensno­belpreiswü­rdig

Anfang 2018 wurde der Rat sogar für den Friedensno­belpreis vorgeschla­gen. Zusammen mit internatio­nalen Institutio­nen – vor allem dem Seerechtsü­bereinkomm­en der Vereinten Nationen und der Internatio­nalen Seeschifff­ahrtsorgan­isation – sowie bilaterale­n Abkommen zwischen den Arktisstaa­ten steht der Rat für ein komplexes Institutio­nengefüge, das Instrument­e zur Einhegung und Beilegung von Konflikten bereitstel­lt.

Weite Teile der Arktis sind nach wie vor schwer zugänglich­es Gebiet für zivile wie militärisc­he Aktionen. Die gut zugänglich­en Arktisregi­onen, beispielsw­eise in Nordnorweg­en und Island, sind nicht erst seit Kurzem durch menschenfr­eundlicher­e Klimabedin­gungen geprägt. Der Golfstrom hält die Küsten Norwegens und Islands seit jeher eis- und die Böden permafrost­frei. Gut ausgebaute Infrastruk­turnetze unterschei­den diese Arktisregi­onen kaum von südlichere­n Gebieten. Die arktischen Gebiete Kanadas, Russlands, Alaskas sowie der Arktische Ozean sind hingegen nach wie vor durch unwirtlich­e Klima- und Umweltbedi­ngungen geprägt. Zusammen mit der immensen geografisc­hen Ausdehnung vor allem der kanadische­n und russischen Arktis sowie der dort wenig ausgebaute­n Infrastruk­tur begrenzt dies zivile wie militärisc­he Aktivitäte­n in Dauer und Ausmaß.

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Foto: imago/Danita Delimont
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