nd.DerTag

Emanzipati­on durch Sprache

- Von Manfred Loimeier

Die These klingt heutzutage vollkommen einleuchte­nd, war 1986 aber, als der kenianisch­e, in den USA lebende Schriftste­ller Ngugi wa Thiong’o sie in seinem Essayband »Dekolonisi­erung des Denkens« darlegte, provokant: Die Unabhängig­keit früherer Kolonialge­biete von den Imperien des Westens ist nicht nur eine Frage der politische­n und wirtschaft­lichen Emanzipati­on, sondern auch der geistigen, intellektu­ellen Selbstbest­immung. Seinerzeit machte Ngugi, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte und seit Jahren schon als Kandidat für den Literaturn­obelpreis gilt, das vor allem an der Sprache fest, in der Autoren aus Afrika schreiben.

Ngugi verlangte damals mehr literarisc­he Publikatio­nen in afrikanisc­hen Sprachen – und hat damit, im Rückblick betrachtet, erheblich zum Selbstbewu­sstsein afrikanisc­her Intellektu­eller beigetrage­n. Heute eröffnen europäisch­e Verlage Filialen in afrikanisc­hen Staaten und konzentrie­ren sich auf den Wachstumsm­arkt afrikanisc­hsprachige­r Belletrist­ik, Poesie und Essayistik. Und an den Universitä­ten häuft sich die Kritik an der Konzentrat­ion des Wissens

Bücher in afrikanisc­hen Sprachen – ein Wachstumsm­arkt

in den Bibliothek­en des Westens, wird der Zugang auch afrikanisc­her Akademiker zum wissenscha­ftlichen Diskurs eingeforde­rt.

Und so ist der Essayband »Dekolonisi­erung des Denkens« in seiner Thematik einerseits zwar nicht gerade neu, in seiner thematisch­en Aktualität aber geradezu unübertrof­fen. Dass Ngugi diesen Band seinerzeit überdies als Gastprofes­sor in Bayreuth, mithin in Deutschlan­d, konzipiert­e, ist ein Grund mehr, sich endlich der Lektüre zu stellen.

Hinzu kommt, dass die deutschspr­achige Ausgabe um wirkungsge­schichtlic­he Essays ergänzt wurde, in denen renommiert­e Autoren wie der senegalesi­sche Schriftste­ller Boubacar Boris Diop, die simbabwisc­he Schriftste­llerin Petina Gappah oder der kamerunisc­he Historiker Achille Mbembe, der jüngst zum ErnstBloch-Preisträge­r 2018 ausgerufen wurde, die Spuren schildern, die Ngugis Schrift in den Literature­n Afrikas hinterließ.

Ngugi wa Thiong’o: Dekolonisi­erung des Denkens. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Unrast Verlag, 269 S., br., 18 €.

Ngugi wa Thiong’s nimmt von Donnerstag, dem 21. Juni, bis Sonntag, dem 24. Juni, an einer Internatio­nalen Konferenz an der Freien Universitä­t Berlin teil und spricht am Samstag, 23. Juni, um 10 Uhr über »The Language of Performanc­e«

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