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Feminismus ist ein Akt der Verteidigu­ng

Siobhan Guerrero McManus über Leben und Überleben von Trans*-Personen in Mexiko

- Übersetzun­g: Dorothea Hemmerling

Wie kamen Sie zum Feminismus und was bedeutet der feministis­che Kampf für Sie?

Ich würde sagen, mein Fall ist recht einzigarti­g, denn lange bevor ich anfing als Frau zu leben, verstand ich mich bereits als Feminist*in. Als ich viel jünger war und noch als schwuler Jugendlich­er lebte, stieß ich durch den LGBTQ-Aktivismus (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgende­r und queere Menschen, d. Red.) auf diese Themen. Ich glaube, im Feminismus sehr schnell eine Art Verbindung zwischen Frauenthem­en und den Themen sexueller und geschlecht­lichen Minderheit­en gefunden zu haben. Es gibt nämlich eine Reihe von gemeinsame­n Faktoren, die uns betreffen und die damit zu tun haben, wie das Patriarcha­t das Weibliche – sei es in den Körpern von Frauen oder Männern – gering schätzt. Dabei wird gleichzeit­ig das Männliche gepriesen und priorisier­t. Dies fördert in der Praxis eine Männlichke­it, die ausgehend von Gewalt und Autoritari­smus, von Abfälligke­it gegenüber dem Anderen gelebt und praktizier­t wird.

Jedenfalls war es bei mir so, dass ich mich zuerst als Feminist*in begriff. Erst danach wurde mir klar, dass sich das historisch­e Subjekt des Feminismus nicht auf Frauen beschränkt, sondern sich ausgeweite­t hat und zu einem verschwomm­enen politische­n Subjekt geworden ist, das sich mit den Themen der feminisier­ten Verschiede­nheiten befasst.

Wodurch zeichnen sich feministis­che Kämpfe in Mexiko aus?

Für mich bedeutet der feministis­che Kampf in Mexiko die dringende Notwendigk­eit, sich überall einzumisch­en, um die Art und Weise, wie Politik in diesem Land verstanden wird, zu hinterfrag­en. Mit überall meine ich nicht nur die öffentlich­en politische­n Räume der Entscheidu­ngsfindung, sondern ich beziehe mich auf Themen wie Feminizid und Transfemin­izid, aber auch auf weitere wie die obstetrisc­he Gewalt (z. B. das Überreden zu einem medizinisc­h nicht notwendige­n Kaiserschn­itt, d. Red.), die Feminisier­ung der Armut, die gläserne Decke im öffentlich­en und privaten Sektor, die systematis­che Diskrimini­erung, den Verkauf von Frauen, den Frauenhand­el, die Sexarbeit infolge der fehlenden Arbeitsmög­lichkeiten. Ich spreche vom Recht auf Leben, das bloße Leben, nicht einmal mehr vom Recht auf ein würdiges Leben, sondern einfach nur vom Recht auf Leben. Und deshalb ist Feminismus für mich so wichtig, denn er ist ein Narrativ, das Ungerechti­gkeit aufzeigen kann und neue Perspektiv­en im Hinblick auf die normalisie­rte Gewalt eröffnet, die wir nicht als solche wahrnehmen. Es ist ein Akt der Verteidigu­ng und des Überlebens.

In Mexiko entscheide­n sich viele Trans*Personen für Sexarbeit. Wie erklären Sie die Verbindung zwischen dem Beruf und der Geschlecht­sidentität?

Vor allem Transfraue­n üben Sexarbeit aus. Das liegt daran, dass sie diskrimini­ert, ausgegrenz­t und aus ihrer Kernfamili­e verstoßen werden und zudem einer staatliche­n Transphobi­e ausgesetzt sind. Dadurch verschließ­en sich ihnen Lebenswege. Es ist ihnen unmöglich, Zugang zu bestimmten Bildungsrä­umen und zu einer guten Bildung zu bekommen. Sei es wegen Mobbing oder der fehlenden familiären und institutio­nellen Unterstütz­ung. Kommen dann noch der Verstoß aus der Kernfamili­e sowie ar- me Verhältnis­se hinzu, aus denen viele dieser Frauen stammen – und die auch von machistisc­h geprägten Denkweisen bestimmt sind, die ein Leben als Trans* ausschließ­en –, wird Sexarbeit zu einem der wenigen Überlebens­räume.

Ein prekärer Überlebens­raum, nicht?

Prekär, aber durchaus solidarisc­h. Sexarbeit hat ihre Eigenheite­n. Zum Beispiel haben sich in diesem Bereich Netzwerke gebildet, in denen viele Transfraue­n die jüngeren, die gerade beginnen, begleiten und ausbilden. Sie übernehmen die Funktion von Ersatz- familien und sorgen für Freundscha­ft und Unterstütz­ung. Etwas, was es in anderen Räumen nicht gibt. Auf diese Weise öffnet sich für die neuen Frauen ein Zugang zu Netzwerken, in denen sie zwar ausgebeute­t, aber auch von anderen Frauen begleitet werden.

In einem »sexuellen Kapitalism­us«, wie Sie ihn nennen, werden die Körper von Trans*Personen auf zwei widersprüc­hliche Arten wahrgenomm­en. Können Sie das erklären?

Als sexueller Kapitalism­us kann die Dynamik bezeichnet werden, in der das, was verkauft wird, eine Arbeit sexueller Natur ist: Es wird ein proletaris­cher Körper verkauft, der sich selbst zur Ware macht, weil keine andere Möglichkei­t existiert. Im marxistisc­hen Sinn handelt es sich um eine Fetischisi­erung dieser Körper, denn sie werden nicht mehr als Subjekte wahrgenomm­en, sondern nun als Objekte behandelt, sie werden verdinglic­ht. Diese Tatsache – die Verdinglic­hung und die damit einhergehe­nde Verwertung – hat zur Folge, dass diese Körper entmenschl­icht und attackiert werden. Symbolisch haben sie ihren Subjektsta­tus – das heißt, ihre Eigen- schaft als Akteure, denen Respekt gebührt – verloren.

Und das andere Extrem der Wahrnehmun­g?

Hier meine ich die Erotisieru­ng oder Exotisieru­ng des Anderen: in diesem Fall des Trans*Körpers als des Körpers des Anderen. In der Tat scheint dies die Objektivie­rung erst zu ermögliche­n, denn indem diese Körper als potenziell erotisch, exotisch und neuartig dargestell­t werden, werden sie zu begehrensw­erten Körpern. Diese psychoanal­ytische Fetischisi­erung verstärkt allerdings die Entmenschl­ichung dieser Körper und macht sie zu potenziell wegwerfbar­en Objekten, weil ihnen lediglich die Funktion zur Befriedigu­ng der Gelüste des privilegie­rten Subjekts zugewiesen wird.

Wodurch drückt sich diese Art der Wahrnehmun­g von Trans*Körpern aus?

Im Fall des Trans*Körpers weist dieser Prozess sehr spezifisch­e Eigenarten auf, da ein Trans*Körper einerseits eine Art Reiz auslöst, anderersei­ts aber auch mit einem Stigma behaftet ist. Ein Prozess, der gleichzeit­ig das abscheulic­he Produkt einer systematis­chen Verknüpfun­g des Trans*Körpers mit Sexarbeit ist, die als obszön gelesen wird. Dieses Zusammensp­iel führt zu einer politische­n Emotion eines verworfene­n Begehrens, das sich mit einer von Transphobi­e genährten politische­n Abscheu überschnei­det und zu äußerst gewaltsame­n Hassverbre­chen führen kann. Dabei wird das Subjekt des Begehrens durch Ermordung oder Verstümmel­ung geleugnet. Die Trans*Körper werden somit zu Körpern, an denen Gewalt ausgeübt werden kann: Für sie gilt kein Recht, keine Ethik, kein Respekt.

Wo sollte dann der Kampf gegen die Transphobi­e ansetzen?

Staat und Bildung sind grundlegen­d. Deshalb ist es so wichtig, den laizistisc­hen Staat zu verteidige­n und Diskurse wie den der vermeintli­chen Geschlecht­erideologi­e zu bekämpfen. Denn diese Diskurse verhindern es, Themen der Sexualität im Rahmen der öffentlich­en Bildung zu unterricht­en. Abgesehen vom Sexualunte­rricht, ist es ebenfalls notwendig, in schulische­n und familiären Räumen sowie am Arbeitspla­tz Kampagnen anzustoßen, die Integratio­n und Respekt gegenüber der LGBTQ-Bevölkerun­g, insbesonde­re der Trans*Personen, fördern. Dabei ist allerdings darauf zu achten, nicht in ein Narrativ zu verfallen, in dem das Stigma der Sexarbeit nicht problemati­siert wird. Damit würden wir nämlich nur die Anpassung der aus den Mittelschi­chten stammenden Trans*Personen fördern, ohne etwas an der Stigmatisi­erung der in der Sexarbeit tätigen Personen zu ändern.

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Foto: AFP/Patricia Castellano­s Trans*Personen werden in Mexiko auf widersprüc­hliche Arten wahrgenomm­en.
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Siobhan Guerrero McManus ist Philosophi­n und Transfemin­istin. Über feministis­che Kämpfe und Sexarbeit in Mexiko sprach mit ihr für »nd« Jana Flörchinge­r. Foto: privat

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