Feminismus ist ein Akt der Verteidigung
Siobhan Guerrero McManus über Leben und Überleben von Trans*-Personen in Mexiko
Wie kamen Sie zum Feminismus und was bedeutet der feministische Kampf für Sie?
Ich würde sagen, mein Fall ist recht einzigartig, denn lange bevor ich anfing als Frau zu leben, verstand ich mich bereits als Feminist*in. Als ich viel jünger war und noch als schwuler Jugendlicher lebte, stieß ich durch den LGBTQ-Aktivismus (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und queere Menschen, d. Red.) auf diese Themen. Ich glaube, im Feminismus sehr schnell eine Art Verbindung zwischen Frauenthemen und den Themen sexueller und geschlechtlichen Minderheiten gefunden zu haben. Es gibt nämlich eine Reihe von gemeinsamen Faktoren, die uns betreffen und die damit zu tun haben, wie das Patriarchat das Weibliche – sei es in den Körpern von Frauen oder Männern – gering schätzt. Dabei wird gleichzeitig das Männliche gepriesen und priorisiert. Dies fördert in der Praxis eine Männlichkeit, die ausgehend von Gewalt und Autoritarismus, von Abfälligkeit gegenüber dem Anderen gelebt und praktiziert wird.
Jedenfalls war es bei mir so, dass ich mich zuerst als Feminist*in begriff. Erst danach wurde mir klar, dass sich das historische Subjekt des Feminismus nicht auf Frauen beschränkt, sondern sich ausgeweitet hat und zu einem verschwommenen politischen Subjekt geworden ist, das sich mit den Themen der feminisierten Verschiedenheiten befasst.
Wodurch zeichnen sich feministische Kämpfe in Mexiko aus?
Für mich bedeutet der feministische Kampf in Mexiko die dringende Notwendigkeit, sich überall einzumischen, um die Art und Weise, wie Politik in diesem Land verstanden wird, zu hinterfragen. Mit überall meine ich nicht nur die öffentlichen politischen Räume der Entscheidungsfindung, sondern ich beziehe mich auf Themen wie Feminizid und Transfeminizid, aber auch auf weitere wie die obstetrische Gewalt (z. B. das Überreden zu einem medizinisch nicht notwendigen Kaiserschnitt, d. Red.), die Feminisierung der Armut, die gläserne Decke im öffentlichen und privaten Sektor, die systematische Diskriminierung, den Verkauf von Frauen, den Frauenhandel, die Sexarbeit infolge der fehlenden Arbeitsmöglichkeiten. Ich spreche vom Recht auf Leben, das bloße Leben, nicht einmal mehr vom Recht auf ein würdiges Leben, sondern einfach nur vom Recht auf Leben. Und deshalb ist Feminismus für mich so wichtig, denn er ist ein Narrativ, das Ungerechtigkeit aufzeigen kann und neue Perspektiven im Hinblick auf die normalisierte Gewalt eröffnet, die wir nicht als solche wahrnehmen. Es ist ein Akt der Verteidigung und des Überlebens.
In Mexiko entscheiden sich viele Trans*Personen für Sexarbeit. Wie erklären Sie die Verbindung zwischen dem Beruf und der Geschlechtsidentität?
Vor allem Transfrauen üben Sexarbeit aus. Das liegt daran, dass sie diskriminiert, ausgegrenzt und aus ihrer Kernfamilie verstoßen werden und zudem einer staatlichen Transphobie ausgesetzt sind. Dadurch verschließen sich ihnen Lebenswege. Es ist ihnen unmöglich, Zugang zu bestimmten Bildungsräumen und zu einer guten Bildung zu bekommen. Sei es wegen Mobbing oder der fehlenden familiären und institutionellen Unterstützung. Kommen dann noch der Verstoß aus der Kernfamilie sowie ar- me Verhältnisse hinzu, aus denen viele dieser Frauen stammen – und die auch von machistisch geprägten Denkweisen bestimmt sind, die ein Leben als Trans* ausschließen –, wird Sexarbeit zu einem der wenigen Überlebensräume.
Ein prekärer Überlebensraum, nicht?
Prekär, aber durchaus solidarisch. Sexarbeit hat ihre Eigenheiten. Zum Beispiel haben sich in diesem Bereich Netzwerke gebildet, in denen viele Transfrauen die jüngeren, die gerade beginnen, begleiten und ausbilden. Sie übernehmen die Funktion von Ersatz- familien und sorgen für Freundschaft und Unterstützung. Etwas, was es in anderen Räumen nicht gibt. Auf diese Weise öffnet sich für die neuen Frauen ein Zugang zu Netzwerken, in denen sie zwar ausgebeutet, aber auch von anderen Frauen begleitet werden.
In einem »sexuellen Kapitalismus«, wie Sie ihn nennen, werden die Körper von Trans*Personen auf zwei widersprüchliche Arten wahrgenommen. Können Sie das erklären?
Als sexueller Kapitalismus kann die Dynamik bezeichnet werden, in der das, was verkauft wird, eine Arbeit sexueller Natur ist: Es wird ein proletarischer Körper verkauft, der sich selbst zur Ware macht, weil keine andere Möglichkeit existiert. Im marxistischen Sinn handelt es sich um eine Fetischisierung dieser Körper, denn sie werden nicht mehr als Subjekte wahrgenommen, sondern nun als Objekte behandelt, sie werden verdinglicht. Diese Tatsache – die Verdinglichung und die damit einhergehende Verwertung – hat zur Folge, dass diese Körper entmenschlicht und attackiert werden. Symbolisch haben sie ihren Subjektstatus – das heißt, ihre Eigen- schaft als Akteure, denen Respekt gebührt – verloren.
Und das andere Extrem der Wahrnehmung?
Hier meine ich die Erotisierung oder Exotisierung des Anderen: in diesem Fall des Trans*Körpers als des Körpers des Anderen. In der Tat scheint dies die Objektivierung erst zu ermöglichen, denn indem diese Körper als potenziell erotisch, exotisch und neuartig dargestellt werden, werden sie zu begehrenswerten Körpern. Diese psychoanalytische Fetischisierung verstärkt allerdings die Entmenschlichung dieser Körper und macht sie zu potenziell wegwerfbaren Objekten, weil ihnen lediglich die Funktion zur Befriedigung der Gelüste des privilegierten Subjekts zugewiesen wird.
Wodurch drückt sich diese Art der Wahrnehmung von Trans*Körpern aus?
Im Fall des Trans*Körpers weist dieser Prozess sehr spezifische Eigenarten auf, da ein Trans*Körper einerseits eine Art Reiz auslöst, andererseits aber auch mit einem Stigma behaftet ist. Ein Prozess, der gleichzeitig das abscheuliche Produkt einer systematischen Verknüpfung des Trans*Körpers mit Sexarbeit ist, die als obszön gelesen wird. Dieses Zusammenspiel führt zu einer politischen Emotion eines verworfenen Begehrens, das sich mit einer von Transphobie genährten politischen Abscheu überschneidet und zu äußerst gewaltsamen Hassverbrechen führen kann. Dabei wird das Subjekt des Begehrens durch Ermordung oder Verstümmelung geleugnet. Die Trans*Körper werden somit zu Körpern, an denen Gewalt ausgeübt werden kann: Für sie gilt kein Recht, keine Ethik, kein Respekt.
Wo sollte dann der Kampf gegen die Transphobie ansetzen?
Staat und Bildung sind grundlegend. Deshalb ist es so wichtig, den laizistischen Staat zu verteidigen und Diskurse wie den der vermeintlichen Geschlechterideologie zu bekämpfen. Denn diese Diskurse verhindern es, Themen der Sexualität im Rahmen der öffentlichen Bildung zu unterrichten. Abgesehen vom Sexualunterricht, ist es ebenfalls notwendig, in schulischen und familiären Räumen sowie am Arbeitsplatz Kampagnen anzustoßen, die Integration und Respekt gegenüber der LGBTQ-Bevölkerung, insbesondere der Trans*Personen, fördern. Dabei ist allerdings darauf zu achten, nicht in ein Narrativ zu verfallen, in dem das Stigma der Sexarbeit nicht problematisiert wird. Damit würden wir nämlich nur die Anpassung der aus den Mittelschichten stammenden Trans*Personen fördern, ohne etwas an der Stigmatisierung der in der Sexarbeit tätigen Personen zu ändern.