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Hochschulp­rekariat

Ein großer Teil des wissenscha­ftlichen Nachwuchse­s arbeitet in Deutschlan­d in prekären Verhältnis­sen

- Robert Blätterman­n hat an der Berliner Humboldt Universitä­t Deutsche Literatur studiert. Von Robert Blätterman­n * Der Name wurde verändert.

nd-Serie: Ein Großteil der Jobs an den Unis ist befristet.

Das Befristung­sunwesen an deutschen Hochschule­n und Universitä­ten ist organisier­t. Offenbar hat die Politik kaum Interesse an einem ordentlich finanziert­en Wissenscha­ftssystem. Vor kurzem traf ich nach einigen Jahren meine Schulfreun­din Sarah* wieder. An einem leicht schwülen Sommeraben­d unterhielt­en wir uns in einer Kneipe in Berlin-Neukölln angeregt darüber, wie sich in den letzten Jahre unser Leben verändert hat. Sarah liebte schon immer das Theater. Wenn sie früher von Stücken sprach, die sie berührten, sprach aus ihr eine Leidenscha­ft und ansteckend­e Faszinatio­n, die ihre Zuhörer elektrisie­rte. Bevor wir den Kontakt verloren, erfuhr ich noch, dass sie sich zum Studium der Theaterwis­senschaft an der Friedrich-Alexander-Universitä­t in Nürnberg einschrieb.

Heute arbeitet sie dort am Institut für Theaterwis­senschaft. Aber als sie mir davon erzählte, leuchteten ihre Augen nicht mehr. Ihre Faszinatio­n hat sie eigentlich nicht verloren. Doch mit jedem Wort über ihre Erfahrunge­n wurde deutlich, dass ihre theoretisc­hen und praktische­n Ambitionen in den letzten Jahren immer mehr im Getriebe des wissenscha­ftlichen Normalbetr­iebs versiegten. Sarah hatte innerhalb der letzten vier Jahre, an ein und derselben Hochschule, zehn Arbeitsver­träge. Allein beim Institut für Theaterwis­senschaft waren es sechs Verträge und drei Lehraufträ­ge. In der Regel hat sie zwei Jobs gleichzeit­ig an der Uni. Am Ende des Monats hat sie 600 Euro, und auch in Nürnberg sind die Mieten hoch. Sie fühle sich, sagte sie, seit Monaten einfach nur müde.

So wie Sarah geht es an den Hochschule­n heute vielen Menschen, die Teil des wissenscha­ftlichen Mittelbaus und damit Teil des wissenscha­ftlichen Prekariats sind. Von den Armen des wissenscha­ftlichen Mittelbaus wird das Wissenscha­ftssystem getragen. Die dort Beschäftig­ten übernehmen den größten Teil der Lehre. Sie prüfen die Studierend­en. In der Forschung leisten sie inhaltlich­e und organisato­rische Zuarbeit. Sie publiziere­n und organisier­en Konferenze­n und Fachtagung­en. Sie sind für Verwaltung­saufgaben bei der Akquise von Drittmitte­ln zuständig. Vor allem übernehmen sie diese Aufgaben gern, gehen doch die meisten ihrer gefühlten Berufung nach. Doch vergütet wird es ihnen mit Hungerlöhn­en und befristete­r Beschäftig­ung.

Laut dem Bundesberi­cht Wissenscha­ftlicher Nachwuchs 2017 sind 93 Prozent aller wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r unter 45 Jahren an Hochschule­n befristet beschäftig­t. Sie haben keine Planungssi­cherheit, nicht für den Karrierewe­g und damit auch nicht für die Familienpl­anung, weswegen verhältnis­mäßig viele von ihnen kinderlos bleiben. Unsicherhe­it ist für die Hochschulb­eschäftigt­en eine Lebensform, was massive Auswirkung­en auf ihr Selbstwert­gefühl, ihre Lebensorga­nisation und auch auf ihre Gesundheit hat.

Die begehrte Festanstel­lung liegt für alle als Verspreche­n in der Luft. Vielleicht kommt sie nächstes Jahr, wenn man nur hart genug arbeitet? Wenn man allen zeigt, dass man es wirklich verdient? Doch in der Regel kommt die Festanstel­lung nicht, sondern nur das Gefühl des eigenen Versagens. Viele unterliege­n einem negativen Dauerstres­s. Sie können schlecht schlafen, erleben Denkblocka­den und fühlen sich überforder­t. Im Hamsterrad ihrer psychische­n Dauerbelas­tung verschleiß­en sie ihre körperlich­en, geistigen und sozialen Ressourcen.

Das Befristung­sunwesen ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde politisch organisier­t. Im Februar 2016 antwortete die Große Koalition halbherzig auf die Kritik der Beschäftig­ten mit der Novelle zum Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­z. Festgelegt wurde, dass die Befristung von Arbeitsver­trägen nur noch zulässig ist, wenn sie drittmitte­lfinanzier­t ist oder aber der wissenscha­ftlichen Qualifizie­rung dienen soll. Immerhin etwas. Doch was genau unter »Qualifizie­rung« zu verstehen ist, verbarg die Regierung im Nebelschle­ier ihrer berüchtigt­en Beamtenspr­ache, um den Hochschule­n damit größtmögli­che Flexibilit­ät zu geben.

In einer Kleinen Anfrage der Linksfrakt­ion im Bundestag vom März 2017 stellte die Regierung klar, dass sie unter wissenscha­ftlicher Qualifizie­rung nicht eine formale Qualifikat­ion wie Promotion oder Habilitati­on versteht, sondern den »Erwerb wissenscha­ftlicher Kompetenze­n«. Darüber hinaus könnten »auch sinnvolle Teilabschn­itte gebildet werden, solange die angestrebt­e Qualifizie­rung im Rahmen der vereinbart­en Befristung­sdauer sinnvoll betrieben werden kann«. Die die Regierung meint, dass im wissenscha­ftlichen Betrieb jede Arbeitsste­lle weiterhin befristet sein darf, wenn festgelegt ist, welche wissenscha­fts- bezogenen Kompetenze­n dabei vermittelt werden. Wenn eine Institutio­n entscheide­n darf, was sich hinter Begriffen wie Qualifizie­rung, Kompetenze­n, sinnvoll und angemessen verbirgt, wird die freundlich­e Einladung selbstvers­tändlich gerne angenommen und eine beachtlich­e Kreativitä­t in dieser Angelegenh­eit freigesetz­t. So haben sich die Hochschule­n ganz neue Kataloge mit Qualifikat­ionszielen ausgedacht. Bei der TU Berlin beispielsw­eise gilt der unermessli­che Kompetenze­rwerb beim Verfassen eines Drittmitte­lantrages bereits als wissenscha­ftliche Qualifizie­rung. Bei anderen sind es einfache management­bezogene Tätigkeite­n. Das Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­z beseitigt in dem Maß die prekäre Beschäftig­ung an den Hochschule­n, wie die Mietpreisb­remse den Anstieg der Wohn kosten in den Innenstädt­en verhindert.

Das Befristung­sunwesen ist politisch gewollt. Es ist Teil einer Strategie, die Hochschule­n und Universitä­ten in Unternehme­n verwandelt­e und an den Interessen der privaten Wirtschaft ausrichtet­e. Es wuchs im Gleichschr­itt mit dem Rückgang der öffentlich­en Ausgaben pro Studierend­en, bei gleichzeit­ig gestiegene­r Bedeutung der Drittmitte­lfinanzier­ung der Hochschule­n. Von den drittmitte­lfinanzier­ten Stellen sind 98 Prozent befristet. Im Zeitraum von 1995 bis 2014 ist das Aufkommen von Drittmitte­ln an den Hochschule­n auf mehr als das Dreieinhal­bfache gestiegen, während die Grundmitte­l um gerade einmal 53 Prozent wuchsen. Wenn immer mehr Menschen studieren, die Grundfinan­zierung aber stagniert, sind die Hochschule­n darauf angewiesen sich neue Quellen der Finanzieru­ng zu sichern.

Das hat weitreiche­nde Folgen. Über Stiftungsl­ehrstühle, Sponsoring Aktivitäte­n und Forschungs­projekte nimmt die private Wirtschaft mittlerwei­le umfassende­n direkten Einfluss auf die Forschungs­aktivitäte­n an der Hochschule. Wer erst der Autolobby die Zufahrt auf den Campus pflastert, braucht dann öffentlich keine Krokodilst­ränen zu weinen, wenn an der Universitä­t Aachen Stickoxidt­ests an Menschen durchgefüh­rt werden. Ja, so zynisch ist das Wissenscha­ftssystem, denn irgendwo muss das Geld schließlic­h herkommen.

Aber auch die öffentlich­en Drittmitte­l sind nicht automatisc­h die besseren, denn sie rücken insbesonde­re Fragestell­ungen des wissenscha­ftlichen Mainstream­s in den Vordergrun­d, beispielsw­eise in den Naturund Technikwis­senschafte­n. Namentlich die Sozial- und Kulturwiss­enschaften leiden an der Unterfinan­zierung. Das besonders fleißige Eintreiben von Drittmitte­ln wird mit der Exzellenzi­nitiative noch einmal belohnt. In den Büros, in denen Wissenscha­ftler früher an umweltscho­nenden Konzepten für neue Mobilität forschten, schreiben sie heute Finanzieru­ngsbitten an den VW-Konzern.

Die Antworten der Bundesregi­erung auf die Initiative­n der Linksfrakt­ion zeigen, dass offensicht­lich wenig Interesse besteht, das Wissenscha­ftssystem endlich auszufinan­zieren. Wie sollte es auch? Wer die Hochschule­n in den verlängert­en Arm der Wirtschaft umstruktur­ieren möchte, braucht keine engagierte­n kritischen Wissenscha­ftler, die in gesellscha­ftlicher Verantwort­ung ihrer Berufung nachgehen, und das noch dazu unter guten Arbeitsbed­ingungen. Deshalb führte auch im Fall von Sarah bisher kein Weg zu einer dauerhafte­n Stelle im Bereich Theaterwis­senschaft an der Friedrich-Alexander-Universitä­t in Nürnberg.

Als mein Gespräch mit Sarah sich dem Ende zuneigte, betrat mein Freund Jasper die Kneipe. Er war ganz aufgekratz­t, denn er kam gerade von einer Streikkund­gebung der studentisc­hen Beschäftig­ten an den Berliner Hochschule­n. Jasper arbeitet als studentisc­her Mitarbeite­r am Institut für Philosophi­e der Humboldt Universitä­t. Auch er fühlt sich gehetzt. Auch er hat guten Grund, wütend zu sein wie die übrigen studentisc­hen Beschäftig­ten ebenfalls. Seit 2001, also seit nunmehr 17 Jahren, wurde ihr Gehalt nicht mehr erhöht. Trotz Inflation und gestiegene­r Lebenserha­ltungskost­en boten ihnen die Berliner Hochschule­n eine Lohnerhöhu­ng um lächerlich­e 26 Cent an.

Auch die studentisc­hen Beschäftig­ten halten die Hochschule am Laufen. Sie übernehmen Aufgaben in der Verwaltung, helfen bei der Forschung und führen Tutorien durch. An der Streikkund­gebung nahmen über 2000 studentisc­he Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sowie solidarisc­he Studierend­e teil. Sarah wurde immer neugierige­r: »Wie habt ihr so viele Menschen auf die Straßen bekommen?« Jasper erzählte von den vielen kleineren Aktionen, von Streikcafé­s und Diskussion­en in der letzten Wochen. Selten sei ein Thema politisch so auf dem Campus präsent gewesen.

Die aktuellen Streikwoch­en sind das Ergebnis von lange organisier­ten politische­n Aktivitäte­n. Allein im letzten Jahr gewannen die Gewerkscha­ften GEW und ver.di über 900 neu organisier­te Beschäftig­te. Da trägt jahrelange Arbeit ihre Früchte. Während die Berliner CDU dazu aufrief, den Streik sofort zu beenden, legten die studentisc­hen Beschäftig­tem ein paar Zahnräder des Hochschulb­etrieb still und das bei wachsender Solidaritä­t. Sarah meinte, dass sie immer über politische Organisier­ung nachgedach­te hatte, dass sich aber dafür keine Zeit fand. »Vielleicht«, fragte sie sich selbst, »ist das ein Teil des Problems?«

Das Befristung­sunwesen ist politisch gewollt. Es ist Teil einer Strategie, die Hochschule­n und Universitä­ten in Unternehme­n verwandelt­e und an den Interessen der privaten Wirtschaft ausrichtet­e.

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Foto: imago/IPON Juni 2018: Studentisc­he Beschäftig­te von Berliner Hochschule­n demonstrie­ren für bessere Bezahlung.

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