200 Milliarden obendrauf
Trump plant weitere Zölle gegen China – Peking kontert erneut
Peking. Nach neuen Drohungen von US-Präsident Donald Trump bewegen sich China und die USA auf einen handfesten Handelskrieg zu. Peking kündigte am Dienstag Vergeltung an, kurz nachdem das Weiße Haus die Prüfung von weiteren Zöllen in Höhe von zehn Prozent auf chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden US-Dollar in Auftrag gab. Trump wies seinen Handelsbeauftragten Robert Lighthizer an, entsprechende Produkte zu bestimmen.
»Die Vereinigten Staaten initiieren einen Handelskrieg und verletzen die Gesetze des Marktes«, sagte ein Sprecher des Pekinger Handelsministeriums, der das Vorgehen der USA »Erpressung« nannte. Verhielte sich das Weiße Haus weiterhin »irrational«, würden »entschlossene Gegenmaßnahmen folgen«. Die Aktienmärkte reagierten am Dienstag mit deutlichen Abschlägen.
Der Welthandelsorganisation droht das Aus: Der Handelskrieg zwischen den USA, China und Europa könnte ihr den Rest geben. Selbst Kritiker sind nicht erfreut. Die Fronten verhärten sich seit langem, jetzt wird scharf geschossen: »Die Vereinigten Staaten initiieren einen Handelskrieg und verletzen die Gesetze des Marktes«, kritisierte am Dienstag ein Sprecher des Handelsministeriums in Peking. Es geht um hunderte Milliarden: Wenn US-Präsident Donald Trump all seine Drohungen wahr macht, wäre bald die Hälfte aller Warenimporte aus China mit Strafzöllen belegt. Peking lässt keinen Zweifel daran, Zölle in ähnlicher Höhe zu erheben. Ein Handelskrieg dieses Ausmaßes hätte Folgen auch für andere: »Zwei Drittel aller Waren, die heute gehandelt werden, sind Teil einer globalen Warenkette«, warnt Roberto Azevêdo. Schocks im Handelssystem hätten deshalb globale Auswirkungen. Doch keine Institution dürfte die Folgen so sehr spüren wie die, der Azevêdo vorsitzt: der Welthandelsorganisation, kurz WTO. »Der 8. März 2018, als Trump die Stahl- und Aluminiumzölle verkündete, war der Todestag der WTO«, urteilt Edward Alden von der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations.
Dabei wurde die UN-Organisation in Genf 1995 mit dem Ziel gegründet, Konflikte wie den zwischen Peking und Washington zu verhindern. In solchen Fällen greift ein Schlichtungsverfahren, mit dem die WTO in Handelsstreitigkeiten auf Grundlage eines allgemein akzeptierten Regelwerks vermittelt. Dies gilt als größte Errungenschaft des WTO-Regimes, dem sich 164 Staaten verpflichtet haben. Mehr als 500 solcher Fälle wurden bisher vor Panels aus Handelsexperten gebracht, deren Urteil sich die Streitparteien fügten. Letzte Instanz ist ein Berufungsgremium, das aus sieben gewählten Mitgliedern besteht. Doch derzeit blockieren die USA die Neubesetzung; Handelsvertreter werfen der Trump-Regierung vor, die WTO als Geisel zu nehmen.
Dabei hat bislang niemand mehr Beschwerden bei der WTO eingereicht als die USA: 116. Doch Trump ist der Streitschlichtungsmechanismus, der auf Konsens setzt, zu langsam, zumal gegen China, wobei Verstöße der Volksrepublik gegen die WTO-Regeln unbestritten sind. Das Problem: Ohne die USA wackelt die ganze Architektur der Organisation. Zwar haben Indien und Mexiko Beschwerde gegen die neuen US-Strafzölle auf Stahl- und Aluminium eingereicht. Doch die WTO wird ihnen maximal genehmigen, selbst Zölle gegen die USA zu erheben. Das praktizieren etwa China und die EU schon jetzt, ohne die WTO zu fragen.
Indes betont Handelsexperte Alden, dass »die Leiche der WTO wohl noch länger warm bleibt«. Und auch der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung in Genf, Hubert Schillinger, glaubt an die Zukunft eines multilateralen, re- gelbasierten Handelssystems. »Die Mehrheit der Länder weiß, was sie an der WTO hat.« Doch mit dem Schiedsverfahren würde die letzte Rechtfertigung verschwinden, die die Organisation noch hat.
Die 2001 gestartete Doha-Runde, deren vorgebliches Ziel die Förderung von Entwicklungsländern im Welthandel mit Waren und Dienstleistungen ist, gilt spätestens seit der WTO-Ministerkonferenz 2015 in Nai- robi als gescheitert. Statt auf multilaterale Verhandlungen setzt die WTO auf »plurinationale« Gespräche, was praktisch bedeutet, dass reiche Staaten unter sich über Handelsliberalisierungen sprechen und diese dann mit ihrer wirtschaftlichen Macht durchsetzen wollen. Das geht auch ohne WTO; die vielen bilateralen Freihandelsverträge der letzten Jahre zeigen dies. Zudem sind die multilateralen Abkommen wie das über den Handel mit Dienstleistungen, TiSA, hochumstritten, nicht zuletzt weil geheim verhandelt wird.
Daniel Bertossa, Politikdirektor bei der Gewerkschaft Internationale der Öffentlichen Dienste, organisiert seit Jahren Proteste gegen die WTO und Abkommen wie TiSA. Über die Sterbehilfe aus Washington freut er sich dennoch nicht. »Der Angriff auf den Multilateralismus ist für niemanden gut«, sagt er. »Das gilt vor allem, wenn ein Land wie die USA versuchen, ihre Dominanz auf Kosten anderer auszubauen.« Die Tragik liegt für Bertossa darin, dass ein faires Handelssystem vielen Ländern helfen könnte. »Aber die WTO hat sich nie für die Interessen der Mehrheit interessiert.« Stattdessen profitierten Großkonzerne, von denen sich erst vor einer Woche mehr als 60 bei der WTO in Genf versammelten und dazu aufriefen, das Welthandelssystem zu retten. Dagegen waren Arbeiter und Angestellte laut Bertossa die Verlierer – das WTO-Motto »freier Handel ist gut für alle« stimme eben nicht. Zwar hofft Bertossa, dass jetzt mehr Druck von unten echte Reformen des Welthandels erzwingen könnte. Dann aber ohne die WTO: »Diese Organisation ist als Vehikel des Neoliberalismus gegründet worden – einzelne Menschen dort können sich vielleicht ändern, aber die Institution nicht.«
»Diese Organisation ist als Vehikel des Neoliberalismus gegründet worden.« Daniel Bertossa, Gewerkschafter