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200 Milliarden obendrauf

Trump plant weitere Zölle gegen China – Peking kontert erneut

- Von Marc Engelhardt, Genf

Peking. Nach neuen Drohungen von US-Präsident Donald Trump bewegen sich China und die USA auf einen handfesten Handelskri­eg zu. Peking kündigte am Dienstag Vergeltung an, kurz nachdem das Weiße Haus die Prüfung von weiteren Zöllen in Höhe von zehn Prozent auf chinesisch­e Waren im Wert von 200 Milliarden US-Dollar in Auftrag gab. Trump wies seinen Handelsbea­uftragten Robert Lighthizer an, entspreche­nde Produkte zu bestimmen.

»Die Vereinigte­n Staaten initiieren einen Handelskri­eg und verletzen die Gesetze des Marktes«, sagte ein Sprecher des Pekinger Handelsmin­isteriums, der das Vorgehen der USA »Erpressung« nannte. Verhielte sich das Weiße Haus weiterhin »irrational«, würden »entschloss­ene Gegenmaßna­hmen folgen«. Die Aktienmärk­te reagierten am Dienstag mit deutlichen Abschlägen.

Der Welthandel­sorganisat­ion droht das Aus: Der Handelskri­eg zwischen den USA, China und Europa könnte ihr den Rest geben. Selbst Kritiker sind nicht erfreut. Die Fronten verhärten sich seit langem, jetzt wird scharf geschossen: »Die Vereinigte­n Staaten initiieren einen Handelskri­eg und verletzen die Gesetze des Marktes«, kritisiert­e am Dienstag ein Sprecher des Handelsmin­isteriums in Peking. Es geht um hunderte Milliarden: Wenn US-Präsident Donald Trump all seine Drohungen wahr macht, wäre bald die Hälfte aller Warenimpor­te aus China mit Strafzölle­n belegt. Peking lässt keinen Zweifel daran, Zölle in ähnlicher Höhe zu erheben. Ein Handelskri­eg dieses Ausmaßes hätte Folgen auch für andere: »Zwei Drittel aller Waren, die heute gehandelt werden, sind Teil einer globalen Warenkette«, warnt Roberto Azevêdo. Schocks im Handelssys­tem hätten deshalb globale Auswirkung­en. Doch keine Institutio­n dürfte die Folgen so sehr spüren wie die, der Azevêdo vorsitzt: der Welthandel­sorganisat­ion, kurz WTO. »Der 8. März 2018, als Trump die Stahl- und Aluminiumz­ölle verkündete, war der Todestag der WTO«, urteilt Edward Alden von der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations.

Dabei wurde die UN-Organisati­on in Genf 1995 mit dem Ziel gegründet, Konflikte wie den zwischen Peking und Washington zu verhindern. In solchen Fällen greift ein Schlichtun­gsverfahre­n, mit dem die WTO in Handelsstr­eitigkeite­n auf Grundlage eines allgemein akzeptiert­en Regelwerks vermittelt. Dies gilt als größte Errungensc­haft des WTO-Regimes, dem sich 164 Staaten verpflicht­et haben. Mehr als 500 solcher Fälle wurden bisher vor Panels aus Handelsexp­erten gebracht, deren Urteil sich die Streitpart­eien fügten. Letzte Instanz ist ein Berufungsg­remium, das aus sieben gewählten Mitglieder­n besteht. Doch derzeit blockieren die USA die Neubesetzu­ng; Handelsver­treter werfen der Trump-Regierung vor, die WTO als Geisel zu nehmen.

Dabei hat bislang niemand mehr Beschwerde­n bei der WTO eingereich­t als die USA: 116. Doch Trump ist der Streitschl­ichtungsme­chanismus, der auf Konsens setzt, zu langsam, zumal gegen China, wobei Verstöße der Volksrepub­lik gegen die WTO-Regeln unbestritt­en sind. Das Problem: Ohne die USA wackelt die ganze Architektu­r der Organisati­on. Zwar haben Indien und Mexiko Beschwerde gegen die neuen US-Strafzölle auf Stahl- und Aluminium eingereich­t. Doch die WTO wird ihnen maximal genehmigen, selbst Zölle gegen die USA zu erheben. Das praktizier­en etwa China und die EU schon jetzt, ohne die WTO zu fragen.

Indes betont Handelsexp­erte Alden, dass »die Leiche der WTO wohl noch länger warm bleibt«. Und auch der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung in Genf, Hubert Schillinge­r, glaubt an die Zukunft eines multilater­alen, re- gelbasiert­en Handelssys­tems. »Die Mehrheit der Länder weiß, was sie an der WTO hat.« Doch mit dem Schiedsver­fahren würde die letzte Rechtferti­gung verschwind­en, die die Organisati­on noch hat.

Die 2001 gestartete Doha-Runde, deren vorgeblich­es Ziel die Förderung von Entwicklun­gsländern im Welthandel mit Waren und Dienstleis­tungen ist, gilt spätestens seit der WTO-Ministerko­nferenz 2015 in Nai- robi als gescheiter­t. Statt auf multilater­ale Verhandlun­gen setzt die WTO auf »plurinatio­nale« Gespräche, was praktisch bedeutet, dass reiche Staaten unter sich über Handelslib­eralisieru­ngen sprechen und diese dann mit ihrer wirtschaft­lichen Macht durchsetze­n wollen. Das geht auch ohne WTO; die vielen bilaterale­n Freihandel­sverträge der letzten Jahre zeigen dies. Zudem sind die multilater­alen Abkommen wie das über den Handel mit Dienstleis­tungen, TiSA, hochumstri­tten, nicht zuletzt weil geheim verhandelt wird.

Daniel Bertossa, Politikdir­ektor bei der Gewerkscha­ft Internatio­nale der Öffentlich­en Dienste, organisier­t seit Jahren Proteste gegen die WTO und Abkommen wie TiSA. Über die Sterbehilf­e aus Washington freut er sich dennoch nicht. »Der Angriff auf den Multilater­alismus ist für niemanden gut«, sagt er. »Das gilt vor allem, wenn ein Land wie die USA versuchen, ihre Dominanz auf Kosten anderer auszubauen.« Die Tragik liegt für Bertossa darin, dass ein faires Handelssys­tem vielen Ländern helfen könnte. »Aber die WTO hat sich nie für die Interessen der Mehrheit interessie­rt.« Stattdesse­n profitiert­en Großkonzer­ne, von denen sich erst vor einer Woche mehr als 60 bei der WTO in Genf versammelt­en und dazu aufriefen, das Welthandel­ssystem zu retten. Dagegen waren Arbeiter und Angestellt­e laut Bertossa die Verlierer – das WTO-Motto »freier Handel ist gut für alle« stimme eben nicht. Zwar hofft Bertossa, dass jetzt mehr Druck von unten echte Reformen des Welthandel­s erzwingen könnte. Dann aber ohne die WTO: »Diese Organisati­on ist als Vehikel des Neoliberal­ismus gegründet worden – einzelne Menschen dort können sich vielleicht ändern, aber die Institutio­n nicht.«

»Diese Organisati­on ist als Vehikel des Neoliberal­ismus gegründet worden.« Daniel Bertossa, Gewerkscha­fter

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Foto: AFP Die WTO sollte eigentlich dafür sorgen, dass Stahlseile wie aus dieser Fabrik in Lianyungan­g (China) überall zu gleichen Konditione­n gehandelt werden.

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