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Traditions­reiche Straßenzei­tung schließt

Berliner Trägervere­in führt wirtschaft­liche Schwierigk­eiten an / Ähnliche Projekte nicht betroffen

- Von Johanna Treblin

Die Auflage ist gesunken, beim Vertrieb hapert es. Nun soll der »Strassenfe­ger« aus Berlin zumindest temporär dichtmache­n. Nach 23 Jahren das Aus: Die Berliner Straßenzei­tung »Strassenfe­ger« wird zumindest »vorläufig« eingestell­t. Das bestätigte am Dienstag der Trägervere­in mob e.V. Bereits die Ausgabe, die am 18. Juni hätte erscheinen sollen, wurde nicht mehr produziert.

Der Trägervere­in teilte mit, auch das von ihm geführte »Kaffee Bankrott« solle zu Ende Juni temporär geschlosse­n werden. Grund seien fehlende personelle und finanziell­e Ressourcen bei gleichzeit­ig steigender Zahl an Hilfsbedür­ftigen. Beim »Strassenfe­ger« sei die Auflage auf jetzt 10 000 bis 12 000 stetig gesunken. In den 1990er Jahren hatte die Zeitung teilweise eine Auflage von 30 000. Grund für den Rück- gang sei auch eine desolate Vertriebss­truktur. »Die jetzt geplante temporäre Schließung der Projekte soll der Sanierung und Konsolidie­rung des Vereins dienen«, hieß es in der Mitteilung. Möglich sei, den »Strassenfe­ger« in Zusammenar­beit mit der Straßenzei­tung »BISS« aus München weiterzube­treiben – wenn eine »tragfähige Finanzieru­ng« gefunden werde. Laut Mitteilung reiht sich die Krise »in die Krise der anderen Straßenzei­tungen deutschlan­dweit ein«.

Dem widersprec­hen Vertreter anderer traditions­reicher Straßenzei­tungen wie »Hinz & Kunzt« in Hamburg sowie »motz« in Berlin. Volker Macke, Sprecher der deutschspr­achigen Straßenzei­tungen, sagte: »Manche Straßenzei­tungen in Deutschlan­d haben sogar ein Plus bei den Auflagen verzeichne­t.« Der Vertrieb in anderen Städten sei oft profession­eller, verkauft werden die Zeitungen nur an offizielle­n Stellen. Macke sieht die Probleme des »Strassenfe­gers« als »hausgemach­t« an.

Eine Sprecherin von »Hinz & Kunzt« sagte dem »nd«, sie bedaure die Einstellun­g der Straßenzei­tung in Berlin. »Das ist bei uns zum Glück kein Thema.« Auch Christian Linde aus dem Vorstand der zweiten großen Berliner Straßenzei­tung »motz« sagte »nd«: »Wir denken überhaupt nicht an eine Schließung, weil wir keine finanziell­en Probleme haben.« Das liege nicht nur an der stabilen Auflage von 22 500 Exemplaren, sondern am wirtschaft­lichen Gesamtkonz­ept: Das Projekt motz stehe auf mehreren Säulen, darunter ein Umzugsdien­st und ein Trödellade­n in der Friedrichs­traße.

Von der Gründung bis zum Jahr 2000 war der Autor Karsten Krampitz verantwort­licher Redaktions­leiter des »Strassenfe­gers«. Deren vorläufige­s Aus bedauere er nicht. Das Projekt sei zu einer »Drückerkol­onne« verkom- men. Zu seinen Zeiten seien die Obdachlose­n viel stärker inhaltlich eingebunde­n worden, heute verkauften sie nur noch. Unter den Verkäufern seien auch immer mehr Menschen, die gar nicht obdachlos seien.

Auch bei der »motz« besserten sich Rentner ihr Einkommen auf, sagte Linde dem »nd«. »Der Kreis derer, die Straßenzei­tungen verkaufen, spiegelt die Veränderun­g in der Stadtgesel­lschaft wider.«

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