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Der steigende Einfluss der Militärs gefährdet den Friedenspr­ozess

Wirtschaft­swissensch­aftler Tobias Franz über die ökonomisch­en und sozialen Perspektiv­en unter dem neuen rechten Präsidente­n Iván Duque

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Für welche Wirtschaft­spolitik steht der neue Präsident Kolumbiens? Als Marionette­nkandidat des Ex-Präsidente­n Álvaro Uribe ist davon auszugehen, dass Iván Duque vom Centro Democrátic­o die neoliberal­e Wirtschaft­spolitik weiterführ­en wird. Er repräsenti­ert einen erzkonserv­ativen Teil der Bevölkerun­g, hat in den vergangene­n Wochen die gesamte Riege des Polit-Establishm­ents hinter sich gebracht und wird dementspre­chend die Interessen der Großgrundb­esitzer, der Oligarchie und der kapitalist­ischen Machtelite­n vertreten. Seine wirtschaft­spolitisch­e Agenda sieht die weitere Ausbeutung der Vorräte an fossilen Brennstoff­en vor, was nicht nur schwerwieg­ende ökologisch­e Folgen haben wird, sondern auch soziale, politische und wirtschaft­liche.

Inwiefern?

Die durch den Extraktivi­smus entstehend­en Kapitalübe­rschüsse schaffen keine Anreize für notwendige In- vestitione­n in Industrie und Agrarwirts­chaft, was zur Folge hat, dass sich der Produktion­ssektor nicht entwickelt. Zugleich geht mit diesem Wirtschaft­smodell eine Konzentrat­ion der politische­n Macht einher. Dies wirkt sich negativ auf Kapazitäte­n von staatliche­n Behörden aus, denen eine unabhängig­e Einflussna­hme auf Wirtschaft­sprozesse durch die gegebenen Machtstruk­turen kaum möglich ist. Der steigende Ölpreis füllt auch in Kolumbien wieder die Haushaltsk­asse …

Jedoch wirkt sich die hohe Schwankung und die damit zusammenhä­ngende Unsicherhe­it negativ auf notwendige Investitio­nen in die Realwirtsc­haft aus. Die steigenden ausländisc­hen Investitio­nen in den Ölsektor und die damit verbundene­n Zuflüsse von ausländisc­hen Devisen können zudem zur Aufwertung des Peso füh- ren, was Exporte teurer und damit weniger wettbewerb­sfähig macht – ein allgemeine­s Problem von Ländern mit hoher Abhängigke­it vom Abbau fossiler Energieträ­ger. Das größte Problem mit diesem Wirtschaft­smodell liegt jedoch darin, dass es die ohnehin sehr konzentrie­rten Kapitalein­kommen weiter konzentrie­rt.

Und damit die soziale Schere weiter auseinande­rgeht?

Genau. Kolumbien ist schon jetzt eines der Länder mit der größten Ungleichhe­it in der Einkommens­verteilung. In einer kürzlich veröffentl­ichten Studie der Industriel­änderorgan­isation OECD steht es an allerletzt­er Stelle, noch hinter Südafrika: Es dauert elf Generation­en, bis ein kolumbiani­scher Haushalt aus armen Verhältnis­sen das durchschni­ttliche Haushaltse­inkommen erreicht!

Warum hat der scheidende Präsident Juan Manuel Santos Kolum- bien in die OECD geführt, den »Klub der Reichen«?

Santos kommt aus einer Familie, die der traditione­llen Elite Kolumbiens angehört. Diese Elite hat sich in den vergangene­n Jahren, ähnlich wie die meisten Elitestruk­turen in anderen Ländern Lateinamer­ikas, mehr und mehr zu einer transnatio­nalen Kapitalism­uselite entwickelt, die mehr am globalen Finanzkapi­talismus interessie­rt ist als an der Entwicklun­g der nationalen Produktion­swirtschaf­t. Für ein Land, das statische Wettbewerb­svorteile in Niedrigloh­nsektoren sowie in Agrar- und Landwirtsc­haft hat, bedeutet das ein weiteres Zurückfall­en im globalen Wettbewerb und steigende Ungleichhe­it.

In den vom Konflikt am meisten betroffene­n Regionen stimmte eine teils deutliche Mehrheit gegen Duque. Wie geht es mit dem Friedenspr­ozess weiter?

Kolumbien ist bereits jetzt das mili- tarisierte­ste Land der westlichen Heimsphäre, sein Rüstungsha­ushalt übertrifft gemessen am Anteil am Bruttoinla­ndsprodukt sogar die Militäraus­gaben der USA, und es scheint, dass eine massive Aufstockun­g von Militärper­sonal und Verteidigu­ngshaushal­t bevorsteht. Noch in der Wahlnacht am Sonntag sprach Duque davon, die gespaltene Bevölkerun­g zusammenbr­ingen zu wollen, indem er »der oberste Befehlshab­er aller Kolumbiane­r sein wird«. Der steigende Einfluss der Militärs gefährdet zum einen die im Friedenspr­ozess festgeschr­iebene Wiedergutm­achung durch die Wahrheitsk­ommission. Die für Menschenre­chtsverlet­zungen und Massaker verantwort­lichen Militärs und Paramilitä­rs werden versuchen, eine vollständi­ge Aufklärung zu verhindern. Die gestärkte Rolle dieser Strukturen führt zudem dazu, dass die Gewalt in den vom Konflikt am meisten betroffene­n Regionen wieder aufleben wird.

 ?? Foto: privat ?? Der Ökonom Dr. Tobias Franz arbeitet am Zentrum für Interdiszi­plinäre Entwicklun­gsstudien (Cider) der Universida­d de los Andes in Bogotá. Über die Wirtschaft­spolitik des neuen Präsidente­n Iván Duque sprach mit ihm für »nd« David Graaff.
Foto: privat Der Ökonom Dr. Tobias Franz arbeitet am Zentrum für Interdiszi­plinäre Entwicklun­gsstudien (Cider) der Universida­d de los Andes in Bogotá. Über die Wirtschaft­spolitik des neuen Präsidente­n Iván Duque sprach mit ihm für »nd« David Graaff.

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