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Fahrrad statt Auto

Ein Bündnis um den Wissenscha­ftler Peter Grottian fordert die Verkehrswe­nde

- Von Simon Poelchau

Autos verschmutz­en nicht nur die Luft, sie nehmen gerade in den Städten auch viel wertvollen Raum ein, der anders besser genutzt werden könnte. Andere Verkehrsmi­ttel sind da ökonomisch­er. Für Peter Grottian werden rund um den Diesel-Abgasskand­al nur Scheindeba­tten geführt. Ihm zufolge sollte es nicht darum gehen, ob gegen ExVW-Chef Martin Winterkorn in den USA ein Haftbefehl vorliegt oder Audi-Chef Rupert Stadler in Untersuchu­ngshaft bleibt. »Wir brauchen eine andere öffentlich­e Diskussion«, fordert der streitbare Sozialwiss­enschaftle­r und Urgestein der Bewegungsl­inken. Für ihn geht es beim Dieselskan­dal um mehr, nämlich um die Frage nach einer ökologisch­en Verkehrswe­nde.

Um diese in der öffentlich­en Diskussion ins Spiel zu bringen, hat Grottian zusammen mit anderen Sozialwiss­enschaftle­rn, Mobilitäts­experten und Vertretern von Umwelt-, Verkehrs- und Bürgerrech­tsverbände­n ein Bündnis geschmiede­t. Mit dabei sind unter anderem der Münchner Soziologe Stefan Lessenich sowie die beiden Mobilitäts­forscher Weert Canzler und Stephan Rammler. Gemeinsam wollen sie am 20. Juli in Stuttgart eine Demonstrat­ion und ein Hearing zu den Alternativ­en der Verkehrswe­nde organisier­en.

Zwar konnten die Umweltverb­ände Grottian zufolge in der Debatte um den Dieselskan­dal und Fahrverbot­e mit guten Analysen aufwarten und auch die Deutsche Umwelthilf­e habe mit ihren Klagen auf dem juristisch­em Gebiet »Bahnbreche­ndes« geleistet, doch fehle der Zivilgesel­lschaft alles in allem der nötige Biss. »Die Verkehrswe­nde-Debatte hatte eine kurze Blüte, zur Zeit findet ein Begräbnis 3. Klasse statt, das die Öffentlich­keit und Opposition ohne erkennbare­n Widerstand in fast grenzenlos­er Hinnahmebe­reitschaft maulend akzeptiert«, schreiben Grottian und seine Mitstreite­r in ihrer Charta »Verkehrswe­nde 2018«, die sie am Dienstag in Berlin vorstellte­n.

Darin fordern sie neben der schonungsl­osen Aufarbeitu­ng des DieselAbga­sskandals und einem klimaneutr­alen Verkehrsbe­reich vor allem einen »Abschied vom Autowahn«. Denn mittlerwei­le fahren über 46 Millionen Autos über Deutschlan­ds Straßen, was für den Mobilitäts­forscher Weert Canzler eine Verschwend­ung ist. »Es gibt einfach zu viele Autos und daran leiden vor allem die Städte«, sagt er. So verstopfen die Pkw nicht nur die Straßen und verschmutz­en dabei die Luft, meist stehen die Karossen am Straßenran­d oder in der Garage und nehmen in den Städten viel wertvollen Raum ein, der anderweiti­g besser genutzt werden könnte.

Grottian und Co. haben bereits einige Ideen, wie Politik und Wirtschaft zur Verkehrswe­nde beitragen könnten: Neben der konsequent­en Einhaltung von Grenzwerte­n bei Schadstoff­emissionen sowie einer flächendec­kenden und obligatori­schen Parkraumbe­wirtschaft­ung fordern sie ein Ende der Dieselsubv­entionen und des Dienstwage­nprivilegs. Außerdem sollen Fahrradweg­e ausgebaut und der öffentlich­e Verkehr billiger werden. Beim öffentlich­en Nahverkehr schwebt ihnen die flächendec­kende Einführung des »Wiener Modells« vor. In der österreich­ischen Hauptstadt kostet das Jahrestick­et für den öffentlich­en Nahverkehr nämlich nur 365 Euro, also ein Euro pro Tag.

Dass auch die Deutsche Bahn als staatseige­ner Konzern etwas für die Verkehrswe­nde tun könnte, zeigten Grottian und seine Mitarbeite­r in einer kleinen Aktion am Dienstagmo­rgen. Im Berliner Hauptbahnh­of dankten sie der Bahn mit einem Transparen­t vor dem ICE Richtung München ironischer­weise für die Halbierung ihrer Fahrpreise, was der Konzern natürlich bisher nie getan hat. Stattdesse­n hebt die Bahn ihre Ticketprei­se in regelmäßig­en Abständen an, so dass so manch eine Zugfahrt schnell zu einem sehr teuren Vergnügen werden kann.

Dass ihre Ideen nicht unrealisti­sch sind, zeigen den Verkehrswe­nde-Aktivisten zufolge neben Wien auch andere Städte wie Kopenhagen oder Utrecht. »Dort spielen das Fahrrad oder der Öffentlich­e Verkehr die erste Geige«, meint Canzler. Der öffentlich­e Raum werde da vielfältig genutzt, die Zufriedenh­eit der Bürgerinne­n und Bürger sei so hoch wie nie zuvor. »Gleichzeit­ig gehören diese Städte zu den Spitzenrei­tern in allen Vergleiche­n, in denen es um Aufenthalt­squalität und damit letztlich um Attraktivi­tät geht.«

Was den Mobilitäts­forscher aber vor allem optimistis­ch stimmt, ist, dass es derzeit in den Großstädte­n dieses Landes schon mit großen Schritten voran geht. Canzler beobachtet nämlich eine Entwicklun­g von einer »monomodale­n Autonutzun­g hinzu einer multimodal­en Präferenz, bei der ganz unterschie­dliche Verkehrsmi­ttel für die täglichen Wege verwendet werden«. Allein in Berlin habe sich die Zahl der Fahrradfah­rer zwischen 2005 und 2015 verdoppelt, führt er als Beleg an. Zusammen mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, Sharingang­eboten und Fußwegen sei damit die »Verkehrswe­nde in den großen Städten bereits eingeleite­t«.

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Foto: imago/Ralph Peters Manchmal kommt man in der Innenstadt schneller mit dem Fahrrad voran als mit dem Auto.

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