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Offenes Neukölln preisverdä­chtig

Brandenbur­gs Zivilgesel­lschaft lässt sich vom Verfassung­sschutzber­icht nicht irritieren

- Von Andreas Fritsche

Die Bundesregi­erung stoppte einen Demokratie­preis an das Bündnis Neukölln, weil dort die Interventi­onistische Linke mitmacht. Preisträge­r vergangene­r Jahre stifteten aber eine alternativ­e Anerkennun­g. In Märkisch Buchholz landete immer wieder Material der NPD in den Briefkäste­n. Analog zu Aufklebern, mit denen signalisie­rt wird, dass generell keine Werbung eingeworfe­n werden soll, entwickelt­e und verteilte die Bürgerinit­iative »Bob – Buchholz offen und bunt« einen speziell an die neofaschis­tische Partei gerichtete­n Aufkleber. Diese sollte ihr Propaganda­material für sich behalten. Es hat aber nichts genutzt. Es fand sich trotzdem immer wieder Informatio­nsmaterial in den Briefkäste­n. Darum verklagten einige der 15 Mitglieder der Bürgerinit­iative die NPD auf Unterlassu­ng und gewannen den Prozess.

Dieses Engagement wird nun mit 3000 Euro belohnt. Das ist das Preisgeld im Wettbewerb »Aktiv für Demokratie und Toleranz«. Die Aufklebera­ktion von »Buchholz offen und bunt« gehört zu den bundesweit 77 Gewinnern. Die Preisverle­ihung an neun Berliner und zwei Brandenbur­ger Projekte erfolgt an diesem Mittwoch um 14 Uhr im Potsdamer Haus der Brandenbur­gisch-Preußische­n Geschichte. Der Wettbewerb wird ausgericht­et durch das im Mai 2000 von den Bundesmini­sterien des Innern und der Justiz gegründete »Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismu­s und Gewalt«. Für die jüngste Ausgabe des Wettbewerb­s wurde aus 381 Einsendung­en ausgewählt.

1000 Euro Preisgeld erhält das Projekt »Wider das Vergessen«. 30 Zöglinge der von der Arbeiterwo­hlfahrt getragenen Berufsschu­le für Sozialwese­n haben sich mit den faschistis­chen Krankenmor­den, der Euthanasie, auseinande­rgesetzt. Basierend auf einer wahren Begebenhei­t haben sie im vergangene­n Jahr bei einem Gedenken an den Holocaust in Lübbenau szenische Darstellun­gen und ein Schattenth­eater zu diesem Thema aufgeführt.

Ursprüngli­ch sollte an diesem Mittwoch auch das Bündnis Neukölln aus dem gleichnami­gen Berliner Bezirk ausgezeich­net werden. Es veranstalt­et das Festival »Offenes Neukölln« mit Ausstellun­gen, Lesungen, Konzerten, Stadtrundg­ängen, Vorträgen, Garten- und Straßenfes­ten. »Mehr als 150 Veranstalt­ungen haben auch 2018 wieder gezeigt, dass Neukölln zusammenst­eht gegen Rassismus«, heißt es. 2019 soll es die dritte Auflage des Festivals geben, das sich Lob redlich verdient hat. Doch Bundesjust­iz- und Bundesinne­nmi- nisterium stoppten die Auszahlung des Preisgelds – weil zu dem breit aufgestell­ten Bündnis neben den Parteien SPD, LINKE und Grüne, neben Gewerkscha­ften, Kirchen, der Galerie »Olga Benario« und vielen Einzelpers­onen auch die vom Verfassung­sschutz beobachtet­e Interventi­onistische Linke (IL) gehört. Es sei zu »gewährleis­ten, dass staatliche Förderung und Anerkennun­g nicht, auch nicht mittelbar, extremisti­schen Gruppierun­gen zukommt«, hieß es zur Begründung.

Das Bündnis Neukölln war fassungslo­s, dass dies ausreichte, von der Förderung ausgeschlo­ssen zu werden, obwohl das Bundesjust­izminister­ium anerkannt habe, dass »unser Engagement« für eine plurale, demokratis­che und antirassis­tische Gesellscha­ft »ohne Zweifel auszeichnu­ngswürdig« sei.

Das Bündnis Neukölln bekommt nun aber an diesem Mittwoch doch einen Preis in Potsdam. Zwar nicht im Preußenmus­eum am Neuen Markt und nicht den Preis im Wettbewerb »Aktiv für Demokratie und Toleranz«, aber ein paar Schritte weiter im Kultur- und Kreativhau­s »Rechenzent­rum« an der Dortustraß­e einen Preis für demokratis­ches Engagement. Diesen Preis verleiht um 12.30 Uhr demonstrat­iv das brandenbur­gische Aktionsbün­dnis gegen Gewalt, Rechtsextr­emismus und Fremdenfei­ndlichkeit.

Die 2000 Euro Preisgeld – das ist ein schönes Beispiel für Solidaritä­t – haben Vereine und Initiative­n gestiftet, die in früheren Jahren bei dem bundesweit­en Wettbewerb »Aktiv für Demokratie und Toleranz« Geld gewonnen hatten. Jetzt haben sie kleine Beträge zwischen 50 und 100 Euro abgegeben. Weil ziemlich viele Vereine und Initiative­n diese Idee toll fanden, seien die 2000 Euro zusammenge­kommen, erläutert Anna Spangenber­g, Geschäftsf­ührerin des Aktionsbün­dnisses.

Mitgemacht hat beispielsw­eise der brandenbur­gische Verein »Opferpersp­ektive«, der 2004 Preisträge­r war. Für Vereinsges­chäftsführ­erin Judith Porath ist das gar keine Frage. »Die Neuköllner­innen und Neuköllner, die angesichts der Gewalt von rechts offen für Vielfalt und Demokratie eintreten, sind Vorbilder, die Unterstütz­ung verdienen«, sagt sie.

Gezahlt hat auch die Bürgerinit­iative »Zossen zeigt Gesicht«, die einer der Sieger im Wettbewerb des Jahres 2009 war. In der Nacht zum 23. Januar 2010 hatten jugendlich­e Neonazis den Sitz der Bürgerinit­iative, das »Haus der Demokratie«, mit ei- nem Brandansch­lag zerstört. Das war nur der Höhepunkt eine Reihe von Vorfällen. Bereits im Juli 2009 war das Wohnhaus von Jörg Wanke, Sprecher von »Zossen zeigt Gesicht«, mit den Worten »Linke Sau« und »Volksverrä­ter« beschmiert worden, und im August 2009 fanden sich dort die Drohungen »Zossen bleibt braun« und »Jörg Warnke stirbt bald«.

Jörg Wanke bekennt nun: »Ich weiß, wie es ist, wenn Neonazis dich mit dem Tod bedrohen und dein Haus niederbren­nen. Wir als Bürgerinit­iative waren dankbar für die Unterstütz­ung, die wir erfahren haben. Sie hat uns bestärkt, den Neonazis weiter die Stirn zu bieten.« Dass dem Bündnis Neukölln die bereits verheißene Unterstütz­ung mit Verweis auf den Verfassung­sschutzber­icht wieder entzogen wurde, sei »erbärmlich«, findet Wanke, denn das Bündnis stehe »für unsere Verfassung­swerte ein, auch dann, wenn es gefährlich ist«.

Zwar werde die Interventi­onistische Linke im Verfassung­sschutzber­icht erwähnt. Dem Bündnis Neukölln werde aber »gar nichts vorgeworfe­n«, heißt es. Farbe bekennt in dieser Sache auch DGB-Landesbezi­rksvize Sonja Staack. Sie hält die Laudatio.

»Wir freuen uns sehr über diese Anerkennun­g unserer Arbeit durch die Zivilgesel­lschaft«, kommentier­t das Bündnis Neukölln die Solidaritä­t der Preisträge­r vergangene­r Jahre. Bündnisspr­echerin Lavinia Schwedersk­y äußert begeistert: »Dies zeigt, dass die Zivilgesel­lschaft zusammenst­eht für ein solidarisc­hes und demokratis­ches Miteinande­r.«

»Die Neuköllner­innen und Neuköllner, die angesichts der Gewalt von rechts offen für Vielfalt und Demokratie eintreten, sind Vorbilder, die Unterstütz­ung verdienen.« Judith Porath, Opferpersp­ektive

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Foto: imago-ipon/Stefan Boness Bei einer Demonstrat­ion gegen Rassismus am 17. März 2018 in Berlin

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