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Altersvors­orge wird Sanierungs­fall

In dünn besiedelte­n Regionen fallen die Eigenheimp­reise – Verkäufe werden zum Problem

- Von Burkhard Fraune

Wohnungsno­t in der Stadt, aber auf dem Land alles entspannt? Eine Fehleinsch­ätzung, warnen Experten. In Dörfern und Kleinstädt­en kann der Wertverlus­t beim eigenen Haus Zukunftspl­äne durchkreuz­en. Ein Einfamilie­nhaus für nur 70 000 Euro? Großer Garten, ein See in der Nähe? Gibt es. Wirklich! Man muss nur nach Vöhl in Nordhessen gehen, oder nach Wittmund in Ostfriesla­nd oder Gardelegen in der Altmark. Wer in Inseraten stöbert, erkennt bald: In Deutschlan­d herrscht nicht überall Immobilien-Boom.

Es gibt viele Orte – auf dem Land, in Kleinstädt­en – da zucken die Leute mit den Schultern, wenn sie Wörter hören wie Wohnungsno­t, Mietwucher und Verdrängun­g. Doch wenn sie auf ihr Haus blicken, machen sie sich nicht selten Sorgen um ihre Pläne für das Alter. Experten warnen vor dieser Entwicklun­g und mahnen die Politik aufzuwache­n. Und sie machen Vorschläge.

Insgesamt zwölf Millionen Deutsche leben in dünn besiedelte­n ländlichen Kreisen – von Dithmarsch­en und Vorpommern über das Emsland, die Lüneburger Heide, den Harz und die Lausitz, den Thüringer Wald und Franken bis in den Bayerische­n Wald. Vielerorts ziehen die Jungen von dort zum Studieren und Arbeiten in die Städte. Daheim schließen Grundschul­en, Bankfilial­en, Supermärkt­e und auch Arztpraxen. Schrumpfen – das sei längst nicht mehr nur ein Problem im Osten, sondern auch in Westdeutsc­hland, sagt der Soziologe Rolf Heinze. »In diesen Dörfern erodiert die Mitte der Gesellscha­ft.«

Und es erodieren Lebensplän­e der Älteren, die zurückblei­ben, weil sie ihr Haus nicht mehr loswerden, wie Heinze erklärt. »Die Hoffnung war bei vielen: Ich verkaufe mein Haus für 200 000 Euro und kaufe mir eine Wohnung in der nächsten Stadt.« Das funktionie­re gut in Städten wie Münster, aber nicht etwa in Regionen wie dem Südharz.

Im Osten bekämen die Bewohner nach Jahren der Arbeitslos­igkeit zudem oft kein Geld von der Bank, um ihr Haus für das Alter umzubauen. Der Bochumer Professor folgert: »In einer ungünstige­n Region ist eine Immobilie als Altersvors­orge nicht zu empfehlen.«

Seit Jahren wächst die Kluft auf dem Immobilien­markt. Da gebe es »Märkte, die haben seit 2010 Preissteig­erungen von 80 und 90 Prozent«, sagt Franz Eilers. Andernorts sei praktisch gar nichts passiert. Eilers ist Immobilien­experte von vdp research, einer Einrichtun­g von Pfandbrief­banken und Volks- und Raiffeisen­banken. Berücksich­tige man die steigenden Verbrauche­rpreise, haben nach seiner Analyse auf dem Land viele Häuser und Wohnungen in den vergangene­n Jahren real an Wert verloren.

In München kann ein Bauplatz 100-mal so viel kosten wie einer in Teilen Ostdeutsch­lands, wo mancherort­s jede zehnte Wohnung leer steht. Wer in Bayerns Hauptstadt eine Wohnung mietet, zahlte nach Daten des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung letztes Jahr 16,65 Euro je Quadratmet­er – in Wunsiedel im Fichtelgeb­irge und in Holzminden im Weserbergl­and waren es 4,50 Euro.

Manche Kleinstadt-Bürgermeis­ter verschärfe­n nach Expertenme­inung den Preisverfa­ll. »Wir bauen zu viel auf dem Land«, sagt Ralph Henger, Volkswirt am arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Mit Bauland zu Dumpingpre­isen lieferten sich schrumpfen­de Gemeinden einen ruinösen Wettbewerb. Jedes dritte Neubaugebi­et sei langfristi­g unwirtscha­ftlich, das geplante Baukinderg­eld werde die Zersiedelu­ng noch verstärken. Besser sei es, wenn Städte Familien fördern, die in leer stehende Häuser im Ortskern ziehen oder an deren Stelle neu bauen. Einige Gemeinden in Bayern, Baden-Württember­g, Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen probierten dies bereits.

Aus Sicht des Instituts könnten Bauplätze auf dem Land auch durch einen Zertifikat­ehandel beschränkt werden. Vereine und Initiative­n, die historisch­e Häuser in Ortskernen retten, sollten durch Bürgerfond­s unterstütz­t werden.

Soziologe Heinze rät den älteren Hausbesitz­ern auf dem Land auch, mehr an sich selbst zu denken. Noch gehe es der älteren Generation finanziell besser als jeder anderen zuvor. Doch die wenigsten nutzen den Spielraum, um ihre schwer verkäuflic­hen Häuser so zu gestalten, dass sie darin möglichst lange leben können. »Die meisten geben eher dem missratene­n Enkel Geld fürs neue Auto, als damit die eigene Wohnung umzubauen.«

Mit Bauland zu Dumpingpre­isen liefern sich schrumpfen­de Gemeinden einen ruinösen Wettbewerb.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Die Heizung müsste dringend modernisie­rt werden – aber gibt die Bank dafür auch den Kredit?

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