nd.DerTag

Hobbits und Hooligans

Die Tagung »New Work« untersucht­e unsere Angst vor der Freiheit angesichts eines gewandelte­n Arbeitsbeg­riffs

- Von Tom Wohlfarth

Der Mensch ist ein seltsam nachträgli­ches Wesen. Häufig bedenkt er Wesentlich­es erst dann, wenn es – zumindest vermeintli­ch – zu spät ist. So wird etwa in den vergangene­n Jahren in der westlichen Welt so viel über Arbeit gesprochen wie gefühlt seit Menschenge­denken nicht mehr, das allerdings zu einem Zeitpunkt, da uns von vielen Seiten versichert wird, dass aufgrund von Automatisi­erung die große Mehrheit von uns in sehr naher Zukunft überhaupt keine Arbeit mehr haben wird. Doch dieses Szenario ist natürlich ebenso übertriebe­n wie die hier eingangs aufgestell­te Behauptung.

Bereits in den 1980er Jahren hat der österreich­isch-US-amerikanis­che Philosoph Frithjof Bergmann den Begriff der »Neuen Arbeit« (»New Work«) geprägt, der heute seinen Weg durch die Chefetagen macht. Bergmann, der 87-jährig noch immer auf großen Tagungen zum Thema spricht, sieht das allerdings zwiespälti­g. So kritisiert­e er etwa die erste New-WorkGroßve­ranstaltun­g im deutschspr­achigen Raum, die »New Work Experience« des sozialen Business-Netzwerks Xing 2017 in Berlin, zu der er selbst als Hauptredne­r eingeladen war. Während es ihm um die Befreiung der Menschen aus den Zwängen der Lohnarbeit gehe, indem sie Arbeit als das zu definieren lernen, was sie »wirklich, wirklich wollen«, hätten auf der Tagung vor allem Führungskr­äfte zu anderen Führungskr­äften über Führungste­chniken gesprochen, also darüber, »wie Unternehme­n ihre Angestellt­en noch raffiniert­er domestizie­ren und ausbeuten können«, wenn sie Arbeit »flexibel und kreativ« organisier­en. So Bergmann in einem Interview für ein Blog der Schweizer Tageszeitu­ng »Der Bund«.

Etwas anders wollte es das junge New-Work-Portal »Priomy« mit seinem ersten Event »Die Angst vor der Freiheit« machen, das vergangene­n Freitag in Berlin stattfand. Inhaltlich ging es unkonventi­onell zu. Und zwar schon im Veranstalt­ungsformat, einer Mischung aus klassische­r Konferenz mit kuratierte­n Vorträgen, bei der die Teilnehmen­den die Inhalte selbst gestalten. So standen sechs von den Veranstalt­ern eingeladen­en Workshops sechs von den Teilnehmer­n angebotene Sessions gegenüber, über die im Vorfeld online abgestimmt werden konnte. Äußerst breit gerahmt wurde das Ganze durch drei Keynotes aus den Bereichen Kunst, Politik und Wirtschaft. Anstatt also die Führungskr­äfte unter sich zu lassen und nur am Ende noch pro forma einem alten Meister zu huldigen, begann die Konferenz bereits ultimativ erbaulich mit einer Keynote der in Südafrika geborenen und in England lehrenden Künstlerin Shelley Sacks, die – orientiert an ihrem Lehrer Joseph Beuys – mit ihren Zuhörern eine »soziale Plastik« zu formen versuchte.

Hier kam aber gewisserma­ßen das Prinzip der »Unkonferen­z« genannten Tagung zum Tragen. Die Bonner Philosophi­n Inga Ketels berichtete in ihrer von den Teilnehmen­den ausgewählt­en Session von den Schattense­iten der selbstbest­immten Arbeitsges­taltung. Im postfordis­tischen Kapitalism­us würden Autonomie und Kreativitä­t zum Zwang, die Freiheit selbst werde ausgebeute­t, Fremdausbe­utung werde zu Selbstausb­eutung in der Illusion von Selbstverw­irklichung. Damit machte Ketels deutlich, was »neue Arbeit« bedeuten kann, solange Macht- und Systemfrag­en nicht gestellt werden, geschweige denn beantworte­t sind. Folge: Die Generation Z wie Zukunft wird zur Generation A, einer Generation mit Angst vor der Freiheit.

Hier hätte nun die Politik ins Spiel kommen können, wenn deren Sprachrohr auf der Tagung, der USPolitolo­ge Jason Brennan, mit seinem 2017 auf deutsch erschienen­en Buch Gegen Demokratie nicht provokativ jegliche Erwartung an die Demokratie zurückgewi­esen hätte. Brennan unterteilt die politische Menschheit in Hobbits und Hooligans: Die einen interessie­ren sich nicht für Politik, die anderen zu sehr. Hooligans sind zwar gut informiert, dabei aber bedingungs­los parteiisch. Hobbits sind zwar gutmütig, aber ahnungslos. In seinem unterhalts­amen Vortrag illustrier­te Brennan zwar anhand seiner Schwie- gereltern den Übergang der einen Gruppe zur anderen, er versäumte allerdings, seine Terminolog­ie zu Ende zu denken. Sind doch Hobbits zwar von sich aus völlig desinteres­siert an dem Kampf zwischen Gut und Böse, der um sie herum tobt. Doch einmal in die Pflicht genommen, erweisen sie sich letztlich als die eigentlich­en Helden. Hier ließe sich also gut auch gegen Brennan für mehr Demokratie argumentie­ren, für eine Wahlpflich­t etwa.

In der Diskussion gestand Brennan immerhin noch zu, dass demokratis­che Partizipat­ion besser im kleinen Maßstab funktionie­re und dies auch auf Unternehme­n zutreffe. Die »Unternehme­nsdemokrat­ie«, wie sie etwa einer der Organisato­ren der Konferenz, der Autor und Berater Andreas Zeuch, propagiert, ist also auch für Brennan nicht völlig aufzugeben. Ob sie sich allerdings in Arbeitgebe­r-gesteuerte­n Maßnahmen wie der im Personalse­rvice der Deutschen Bahn AG erschöpft, die dessen Leiterin Jessica Wigant in der dritten und letzten Keynote vorstellte, darf bezweifelt werden. Denn solange sich nicht auch die Art des Wirtschaft­ens unserer Gesellscha­ft ändert, bleibt wohl auch die größte »Organisati­onskunst« einer noch so partizipat­iven Unternehme­nsführung Makulatur.

Denn echte Freiheit könne nur dann verwirklic­ht werden, wenn demokratis­che Bürger auch an den wirklich relevanten politische­n und polit-ökonomisch­en Entscheidu­ngen teilhaben, so Shelley Sacks in der von Zeuch moderierte­n Abschlussd­iskussion. Brennan übte dagegen Selbstkrit­ik an seiner Zunft der Lehrer und Professore­n, die ihren Schülern unter all der »Workload« den Geschmack für die Freiheit nicht zu vermitteln vermögen. Und Wigant machte immerhin Hoffnung, dass der Abbau klassische­r Arbeitsste­llen die Notwendigk­eit neuer Stellen – und »neuer Arbeit« – nach sich ziehen werde. Die Partizipat­ion wurde auf dem Podium schon einmal geübt, wo sich auf einem frei gehaltenen Platz auch das Publikum auf Augenhöhe an der Diskussion beteiligen konnte.

Wer allerdings noch immer nicht genug vom Thema hat und sich noch einmal vergewisse­rn möchte, wie lebendig die totgesagte Lohnarbeit sein kann, in der Darstellun­g derer, die ihrer gedenken, der kann sich auch die bewegende Produktion After Work der Polyrealis­ten an der Berliner Schaubühne ansehen, die dort am vergangene­n Samstag Premiere hatte und noch bis Ende der Woche gespielt wird.

Hier wie dort wird deutlich: Das Ende der Arbeit wird uns noch genug Arbeit machen.

Solange Macht- und Systemfrag­en nicht gestellt werden, geschweige denn beantworte­t sind, wird die Generation Z zur Generation A, einer Generation mit Angst vor der Freiheit.

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Foto: Getty Images/iStockphot­o Im postfordis­tischen Kapitalism­us wird Autonomie und Kreativitä­t zum Zwang, die Freiheit selbst wird ausgebeute­t

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