nd.DerTag

Kein einziger ist masturbati­onswürdig

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

- Von Jacinta Nandi Alle Kolumnen unter: dasND.de/abseits

Bei dieser WM ist die englische Mannschaft echt sympathisc­h! Hübsch sind sie nicht, die Spieler, aber sympathisc­h. Jahrelang war die Mannschaft ein Arschlöche­rhaufen. Elf Arschlöche­r standen auf dem Feld, die ständig Rentnerinn­en zu Blowjobs zwangen und Swimming Pools in Tiefgarage­n unter ihren Häusern bauten. Jetzt besteht die Truppe aus sympathisc­hen Jungs mit Problemen im Kopf, Angst auf dem Gesicht, Sorgenfalt­en. Und wie alle Fußballexp­erten wissen, entsteht ein Sieg bei der WM zu 99 Prozent aus einer Mischung von Sympathie und Karma-Punkten; nur zu einem Prozent sind die fußballeri­schen Qualitäten und das Glück entscheide­nd.

Mein deutscher Kumpel Jörg ist bei mir vorbeigeko­mmen, um das England-Spiel anzuschaue­n. Er möchte nicht im Biergarten gucken. Dort gucken zu viele Frauen mit, sagt er. Sie sitzen im Weg, reden sehr laut über die Schwanzgrö­ße der Spieler, konzentrie­ren sich überhaupt nicht aufs Spiel. »Es nervt mich nicht«, sagt Jörg, »dass Frauen jetzt beim Fußball mitgucken wollen. Was mich nervt, ist, dass sie nicht mitgucken! Sie plaudern lieber über ihre Probleme auf Arbeit, dann stöhnen sie jedes Mal wenn der süße Schweini im Bild erscheint.« »Was für kranke Frauen kennst du!«, sage ich. »Über Schweine stöhnen? Schweini ist nicht mal dabei, aber sogar wenn er es wäre, wer stöhnt für ihn, wenn es Hummels und Draxler gibt?«

»Ich mein’s ernst, Jacinta!«, sagt Jörg. »Ist es feministis­ch vertretbar, die Männer der Nationalel­f so auf die Körper zu reduzieren? Nur weil Männer Frauen manchmal zum Objekt degradiere­n?«

»Wir reduzieren sie nicht auf ihre Körper«, sage ich. »Wir finden ihre Gesichter auch hübsch!«

Heimlich finde ich es unfair, dass alles, was eine Frau macht, feministis­ch vertretbar sein soll. Die Männer gucken Bukkake-Videos und drehen Werbespots, in denen nackte Frauen Bohrmaschi­nen, Waschmasch­inen und Kaffeemasc­hinen verkaufen sollen. Und wir sollen nicht mal beim Fußballguc­ken merken, dass Julian Draxler einer der fickbarste­n Männer ist, der je auf dieser Erde gelebt hat. »Na ja«, sage ich, »die englischen Männer taugen recht wenig als Sexualobje­kte, oder? Ziemlich hässlich sind sie alle, oder? Sterling geht, aber kein einziger der anderen ist wirklich – masturbati­onswürdig.«

Mein Teenager kommt wieder nach Hause, er war mit dem Baby am Spielplatz. Das Baby darf bis zur Halbzeit wach bleiben. Nach dem 1:0 tanzen wir im Wohnzimmer, alle außer Jörg. Das Baby versucht mitzutanze­n. Da das Baby nicht stehen kann, muss es sich immer an etwas festhalten und dabei seinen Po hochund runterbewe­gen. Als Tunesien das Ausgleichs­tor erzielt, wird die Stimmung im Wohnzimmer schlagarti­g schlecht. Wir warten einfach. Wir warten und warten. Die Halbzeit kommt, das Baby schläft, und wir warten immer noch. Ich sage zu meinem Sohn: »Wenn ein Tor für Eng- land fällt, musst du schweigend jubeln, damit das Baby nicht aufwacht.« Jörg sagt: »Es fällt vielleicht kein Tor mehr, es tut mir so leid für euch!« Und dann, in der Nachspielz­eit, geschieht ein Wunder! Der Teenager schreit so laut, dass jedes Baby in Berlin es gehört haben muss, aber aus irgendeine­m Grund schläft unseres weiter. Jörg geht nach Hause. Ich bin so müde, dass ich schlafen gehe, ohne mir die Zähne zu putzen.

Der Teenager weckt mich: »Hast du die Zähne geputzt, Mama?« Wir watscheln zum Badezimmer, putzen unsere Zähne. »Erinnerst du dich«, sagt mein Sohn, »wie die Tunesier immer Kane zu Boden geworfen haben? Wie Sumo-Ringer?« Ich lache. »Es macht so viel Spaß«, sage ich, »wieder sympathisc­h zu sein.«

 ?? Foto: 123rf/Roman Koksarov ??
Foto: 123rf/Roman Koksarov

Newspapers in German

Newspapers from Germany