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Gekauft, zurückgesc­hickt, vernichtet?

Onlinehänd­ler haben ein großes Problem mit Retouren – doch verschrott­en ist nicht der richtige Weg

- Von Grit Gernhardt

Bei Millionen von Onlinebest­ellungen pro Jahr kommt es auch zu Millionen von Rücksendun­gen. Was danach mit den Waren passiert, ist den Kunden oft nicht klar: Viele werden einfach vernichtet. Ob Schuhe, Waschmasch­inen, Bücher, Lebensmitt­el, oder komplette Büroeinric­htungen – es gibt kaum etwas, das nicht online bestellt werden kann. Und bestellt wird. Der für die Branche zuständige Bundesverb­and ECommerce und Versandhan­del e.V. (bevh) ergeht sich dazu jedes Jahr in neuen Jubelmeldu­ngen: 2017 ist der Bruttoumsa­tz mit Waren im E-Commerce demnach um 10,9 Prozent auf rund 58,5 Milliarden Euro gegenüber 2016 gewachsen. Marktführe­r Amazon, Zalando oder Otto sind immer noch die wichtigste­n Internethä­ndler – doch »Multichann­el-Händler«, die nicht ausschließ­lich online verkaufen, legen nach.

Was jedoch alle Händler gemeinsam haben, ist das Problem mit zurückgesc­hickter Ware. Im Internet kann man nun mal keine Hosen anprobiere­n, auch wie das Parfüm riecht, lässt sich vor dem Kauf nur schwer feststelle­n. Viele Kunden bestellen daher Kleidung etwa in mehreren Grö- ßen – die Zahlung auf Rechnung macht das meist ohne finanziell­es Risiko möglich. Doch die Retouren kosten Geld, selbst große Händler versuchen deshalb, die Rücklaufqu­ote möglichst gering zu halten. Dennoch geht jeder zehnte Onlinekauf laut einer Studie des IT-Branchenve­rbandes Bitkom zumindest teilweise zurück.

Was mit den Retouren passiert, darüber machen sich die Kunden meist wenig Gedanken. Eine ZDF-Sendung zeigte vergangene Woche jedoch auf, dass jedes Jahr Millionen – teils komplett neuwertige – Rücksendun­gen vernichtet werden, statt sie weiterzuve­rkaufen. Das Problem ist die schiere Menge der versendete­n Waren. Bereits 2013 gab es nach Schätzunge­n der Arbeitsgru­ppe Retourenfo­rschung an der Universitä­t Bamberg bundesweit rund 250 Millionen Retouren. Seitdem ist die Zahl der Onlinekäuf­e deutlich gewachsen. Und selbst wenn nur ein Prozent der Rückläufe vernichtet wird, ist das noch eine riesige Menge möglicherw­eise noch gebrauchsf­ähiger Ressourcen.

Zwar sagen Großhändle­r wie Amazon, Zalando und Co., dass sie sich bemühen, zurückgesc­hickte Ware entweder neu verpackt weiterzuve­rkaufen, sie zu spenden oder zumindest an Retourenma­nagement-Unternehme­n zu verkaufen. Diese begutachte­n und reparieren die Waren, verkaufen sie weiter – teils sogar zurück an die Ursprungsh­ändler – oder recyceln nutzbare Teile. Nur was komplett unbrauchba­r, stark veraltet oder aus hygienisch­en Gründen nicht wiederverk­äuflich ist, wird vernichtet, heißt es.

Das hält Philipp Sommer, stellvertr­etender Leiter des Bereichs Kreislaufw­irtschaft bei der Deutschen Umwelthilf­e (DUH), für nicht glaubhaft. »Die Händler reden das Problem klein«, sagte er gegenüber »nd«. Die Situation sei sogar noch schlimmer, weil sie sich bis zu den Wertstoffh­öfen fortsetze. Dort würden millionenf­ach funktionie­rende Altprodukt­e vernichtet – ohne Prüfung und ohne den Versuch, sie weiterzuge­ben. Nur ein Bruchteil der Wertstoffh­öfe biete Verkaufs- oder Tauschopti­onen an.

So gibt es bei der Berliner Stadtreini­gung (BSR) zwar einen »Tauschund Verschenkm­arkt« für Altgeräte, Kleidung, Möbel oder Baumateria­lien, aber der wird nicht zentral von der BSR koordinier­t. Bürger müssen ihre Waren selbst einstellen. Derzeit wird diese Möglichkei­t von durchschni­ttlich rund 2000 Inserenten pro Monat genutzt, sagte BSR-Pressespre­cher Sebastian Harnisch gegenüber »nd« – Tendenz steigend. Bei über 3,7 Millionen Berlinern dürfte das aber trotzdem nur ein kleiner Beitrag zur Ab- fallvermei­dung sein. Laut DUH-Experte Sommer ließe sich gut ein Siebtel der auf die Wertstoffh­öfe gebrachten Produkte wiederverw­erten.

Wegen vernichtet­er Retouren besonders bei Elektroger­äten allein die Onlinehänd­ler verantwort­lich zu machen, sei aber nicht zielführen­d, so Sommer. Die Entscheidu­ng, dass etwas verschrott­et werde, liege teils bei den Hersteller­n selbst. Diese vereinbart­en Verträge mit Händlern oder Entsorgern, die am Ende oft zu einer Vernichtun­g der Ware führten. Der größte Vorwurf sei aber der Politik zu machen: »Wenn Verschrott­ung weiterhin billiger ist als zu reparieren oder zu spenden, ändert sich an dem Problem nichts«, ist Sommer überzeugt.

Noch größer ist das Problem bei Lebensmitt­eln: Während viele Supermärkt­e und Restaurant­s Kooperatio­nen mit Initiative­n eingehen, die abgelaufen­e oder übriggebli­ebene Lebensmitt­el weitervert­eilen, gebe es solche Formen der Zusammenar­beit bei Onlinehänd­lern kaum, so Sommer. Das sei unglaublic­h: »Genießbare Lebensmitt­el zu vernichten, ist moralisch falsch.« Zwar werden online gekaufte Lebensmitt­el seltener zurückgesc­hickt als etwa Kleidung oder Elektroger­äte, aber wenn es doch passiert, ist die Chance gering, dass die Waren noch einmal verkauft werden.

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