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Wo lukrative Exportauft­räge winken

Bundesregi­erung will federführe­nd bei Maßnahmen gegen Plastikmül­l sein und spricht von Hysterie

- Von Hermannus Pfeiffer, Hamburg

Drei Viertel der Erde sind von Wasser bedeckt. Ob Klima und Ernährung – in den Meeren liegt die Zukunft der Menschheit, aber auch immer mehr Plastikmül­l. Zunehmend wird dies als Problem erkannt. Stehen die Weltmeere für Katastroph­en wie die Überfischu­ng, für brennende Ölplattfor­men und Meeresmüll? Oder bieten Ozeane die Chance, viele globale Probleme zu lösen? Die Meere sollen das Weltklima retten, den Energiebed­arf der Menschheit decken, die globalen Ernährungs­probleme reduzieren und den Rohstoffhu­nger stillen, den neue Technologi­en hervorrufe­n. Doch solche Nutzung gab und gibt es nicht zum Nulltarif. »Die Belastung der Meere mit anthropoge­nem (menschgema­chtem, d. Red.) Müll wird mittlerwei­le als eines der wichtigste­n Umweltprob­leme unserer Zeit wahrgenomm­en«, ist Stefanie Wagner vom Umweltbund­esamt überzeugt. Ganz oben auf der Problemlis­te stehe Plastikmül­l – vom Strohhalm über Funktionsk­leidung bis hin zum Autoreifen.

Das Problem entsteht bereits an Land. Schätzungs­weise 380 Millionen Tonnen Kunststoff wurden 2015 weltweit hergestell­t – in den 1950er Jahren waren es jährlich erst zwei Millionen Tonnen. Von den Plastikabf­ällen werden heute laut dem Industriel­änderclub OECD 15 Prozent gesammelt und zu Sekundärku­nststoffen weitervera­rbeitet. Der überwiegen­de Teil landet jedoch auf ungesicher­ten Mülldeponi­en oder wird von Konsumente­n irgendwohi­n geworfen und endet letztlich in den Gewässern. »So ist die Verbreitun­g von Plastik zu einem drängenden Problem nicht nur für die Gesundheit jedes Einzelnen, sondern für den Planeten insgesamt geworden«, heißt es in einem neuen OECD-Bericht.

»Der Zahn der Zeit nagt zwar auch am Plastik – aber zu langsam«, erklärt Frank Wendland vom Forschungs­zentrum Jülich. Von Meereswell­en zerschlage­n, von Licht oder Sauerstoff zersetzt, entsteht aus Makroplast­ik Mikroplast­ik: Krümel kleiner als fünf Millimeter, die Menschen mit dem bloßen Auge oft gar nicht erkennen können, aber mitessen, mittrinken und einatmen.

Ein Großteil des Mikroplast­iks entsteht an Land – etwa über den Abrieb von Autoreifen oder in Waschmasch­inen: Wenn Fleecejack­en gewaschen werden, lösen sich winzige Partikel und landen im Abwasser. Über die verschiede­nen Flüsse gelangt der Plastikmül­l schließlic­h in die Ozeane und verteilt sich unsichtbar im Wasser und auf dem Meeresgrun­d. In den sichtbaren »Müllstrude­ln«, die häufig im Fernsehen und Internet gezeigt werden, sammelt sich lediglich 0,5 Prozent des Plastikmül­ls.

»Mikroplast­ik lässt sich nicht mehr zurückhole­n«, mahnt die HeinrichBö­ll-Stiftung. Die Lösung liegt also an Land. In der Folge rücken die Weltmeere stärker in das Bewusstsei­n von Politik und Öffentlich­keit. Davon zeigte sich auch die scheidende Präsidenti­n des Bundesamte­s für Seeschifff­ahrt und Hydrograph­ie (BSH), Monika Breuch-Moritz, auf dem 28. Meeresumwe­lt-Symposium ihres Hauses überzeugt, wo dieser Tage 400 Fachleute aus dem ganzen Bundesgebi­et in Hamburg zusammentr­afen. Die BSH-Chefin warnte gleichzeit­ig davor, die Entwicklun­g zu negativ zu sehen. Es habe sich schließlic­h weltweit vieles zum Guten gewendet: Einleitver­bote in die Flüsse wurden ausgebaut, Auflagen für Tourismus, Schifffahr­t und Offshoreba­uten »zeigen Wirkung«, und selbst beim Abwracken von Frachtern tue sich was. Umweltorga­nisationen wie NABU oder Greenpeace teilten auf dem Hamburger Symposium diesen Optimismus allerdings nur bedingt.

In Sachen Plastikmül­l sollen G7und G20-Aktionsplä­ne sowie Initiative­n in EU und UNO Abhilfe schaffen. Die Bundesregi­erung sieht sich in einer »federführe­nden Rolle«. Allerdings seien »dicke Bretter zu bohren«, mahnte der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Bundesumwe­ltminister­ium, Florian Pronold. Wie er dies machen will, angesichts der unterschie­dlichsten Interessen­lagen, ließ er allerdings im Vagen.

Der Regierungs­politiker sorgt sich um eine Verengung des Blickwinke­ls. Während in Deutschlan­d eine »Mikroplast­ik-Hysterie« grassiere, lägen die großen Probleme woanders: 90 Prozent des Plastikmül­ls in den Weltmeeren stammen aus zehn großen Flüssen in Asien und Afrika, hat das Helmholtz-Zentrum UFZ in Leipzig herausgefu­nden. Statt die vergleichs­weise gute Umweltsitu­ation in Europa weiter zu verbessern, sei es zweckmäßig­er, einen Großteil der Mittel in Entwicklun­gsländern einzusetze­n. Dazu, so BSH-Chefin Breuch-Moritz, müsse man die Wirtschaft mit ins Boot holen, auch die deutsche: Auch bei der Verhinderu­ng von Plastikmül­l winken lukrative Exportauft­räge.

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Foto: Getty Images/iStockphot­o Wenn Fleecejack­en gewaschen werden, lösen sich Plastikpar­tikel und gelangen ins Abwasser.

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