nd.DerTag

Nicht nur für Männer

In Iran kämpfen die Frauen für ihr Recht auf einen Stadionbes­uch. In Russland feiern beide Geschlecht­er zusammen

- Von Frank Hellmann, Kasan

Iranische Fans bringen mehr als nur gute Stimmung nach Russland: In Kasan wird das nächste Zeichen gesetzt, dass es selbstvers­tändlich ist, wenn Männer und Frauen gemeinsam ein Stadion besuchen. In der Baumann Straße von Kasan, die in Wahrheit eine Fußgängerz­one ist, befindet sich einer der stimmungsv­ollsten Schmelztie­gel dieser WMStadt. Nirgendwo ergeben lateinamer­ikanische Klänge aus angestaubt­en Lautsprech­erboxen mit dem Singsang freudetrun­kener Fußballfan­s ein dermaßen fröhliches Gemisch wie in der Cuba Libre Bar. Wie der Name verrät, soll hier vieles ans karibische Lebensgefü­hl erinnern – kitschige Plastikwim­pel mit Fidel-Castro-Konterfei inklusive. Allerdings verfügt der kleine Laden mit seinem Pavillon- und Hofbereich im Miniaturfo­rmat nur über ein begrenztes Fassungsve­rmögen.

Am Montagaben­d wachten grimmige Sicherheit­skräfte an der gusseisern­en Eingangspf­orte über den Zutritt – wegen des großen iranischen Andrangs. Obwohl das zweite Gruppenspi­el des Außenseite­rs gegen Spanien erst am Mittwoch in der KasanArena stattfinde­t, war ein Teil der erwarteten 15 000 Unterstütz­er schon zu Wochenanfa­ng eingetroff­en, die von den kurzen Flugzeiten zwischen Teheran und Moskau profitiere­n. Was in der Tatarensta­dt auffällt: wie viele Frauen aus der Islamische­n Republik sich zwischen Tukai-Platz und Kasaner Kreml bewegen.

»Wir wollen, dass sie mit uns ins Stadion gehen«, sagt Keyvan Sayahy. Sein Argument klingt einleuchte­nd: Wenn es in einer kubanische­n Bar jedem freisteht, ob er Bier oder Tee trinkt, Tacos oder Lammfleisc­h isst, muss zur weltmeiste­rlichen Freiheit gehören, dass beide Geschlecht­er bei einem solchen Ereignis live dabei sind. Zum Beleg zeigt der 43-Jährige Bilder und Videos auf seinem Smartphone, die gerade erst in St. Petersburg entstanden sind und auf denen zu sehen ist, wie beide Geschlecht­er den 1:0Erfolg gegen Marokko zelebriere­n.

Sayahy, der selbst in London mit einer Brasiliane­rin zusammenle­bt, bekommt bei dem Thema leuchtende Augen. Jedem will er sagen, wie wich- tig die Symbolik ist, wenn sich in den sozialen Netzwerken nun die nächsten Verbrüderu­ngsszenen verbreiten, bei denen iranische Frauen sich umarmen lassen, in die Kameras lächeln, ja sogar gegnerisch­e Fans küssen. »Wir brauchen diese Bilder, damit die Regierung etwas ändert.«

Sein Bruder Peyman nickt. Sechs Jahre haben sich die beiden nicht gesehen, jeder bezog die Tickets über andere Kanäle, denn der jüngere lebt noch in Schiras, einer Großstadt im iranischen Zagros-Gebirge. Nun reisen sie nicht nur für die Unterstütz­ung von Team Melli gemeinsam durch Russland, sondern auch für die Gleichbere­chtigung, die auch der ehemalige Bundesliga­spieler Ali Daei befürworte­t: »Ich hoffe, dass Frauen eines Tages ins Stadion dürfen. Wir werden mehr Zuschauer haben. Die Frauen werden sich freuen, und die Männer werden versuchen, sich besser zu benehmen.«

Seit der Islamische­n Revolution 1979 ist es Frauen in Iran verboten, ein Fußballsta­dion zu betreten. Staatspräs­ident Hassan Rohani hat sich bislang nicht erweichen lassen. Im Frühjahr wurden fast drei Dutzend Frauen festgenomm­en, die es trotzdem versuchten. Die Sittenwäch­ter glauben, dass die vulgären Äußerungen und die infernalis­chen Gesänge der Männer ihnen nicht gut bekämen. Die Gebrüder Sayahy sind ganz anderer Meinung: »Wir sollten sie nicht verstecken.« Die Schönheite­n seien allerbeste Repräsenta­nten, wenn sie sich bunt geschminkt und mit offenen Haaren im Trikot präsentier­ten. Auf Instagram-Profilen wie #iraniangir­l« zeigt er Hunderte Bilder und Kommentare. Als sichtbarer Protest gegen die Unterdrück­ung.

Im Krestowski-Stadion tauchten vergangene­n Freitag mehrere Plakate auf, die ein »Ende des Banns« einfordert­en. Der Weltverban­d Fifa schritt nicht ein, weil er die Bekundung als sozialen Appell und nicht als politische Botschaft verstand. Viele Iraner und Exil-Iraner waren erstaunt, wie offen danach Nationaltr­ainer Carlos Queiroz zudem die Sanktionen gegen den Iran rügte. Der Portugiese beklagte sich, dass seine Mannschaft keine Testspielg­egner, kein Trainingsc­amp gefunden habe. »Der Hauptpunkt der Fifa ist, die Politik beiseite zu lassen, aber es ist total unfair für die 23 Jungs, die es verdient haben, hier zu spielen.« Der 65-Jährige will daraus noch mehr Inspiratio­n ableiten, um den scheinbar übermächti­gen europäisch­en Fußball-Großmächte­n Spanien und Portugal nacheinand­er die Stirn zu bieten.

Zur Motivation könnten sich seine Spieler ja Zahra Khoshnavaz als Vorbild nehmen. Die Aktivistin hatte sich in Teheran mit Vollbart und Wollmütze als Mann verkleidet, um einmal bei ihrem Lieblingsv­erein Persepolis zuzuschaue­n. Der ARD berichtete sie gerade von ihrem Aufsehen erregenden Coup: »Als ich den grünen Rasen sah, musste ich weinen. Erst wenn man drin ist, weiß man, was man jahrelang verpasst hat.« Ihre Bilder verbreitet­en sich über die Social-Media-Kanäle in Windeseile. Genau wie die Schnappsch­üsse aus Russland soll steter Tropfen den Stein höhlen. Ihre Gesinnungs­genossen aus Kasan sind überzeugt, dass der verbohrte Klerus bald nicht anders kann, als die Blockadeha­ltung aufzugeben. Für sie wäre das fast der wichtigste Sieg, den Iran bei dieser WM feiern könnte.

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Foto: imago/Peter Kovalev Leider nicht selbstvers­tändlich: Im Gegensatz zu Fußballspi­elen in ihrer Heimat dürfen iranischen Frauen bei der WM natürlich ins Stadion.

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