nd.DerTag

Kein Ticket, kein Knast

Debatte um Schwarzfah­ren und Ersatzfrei­heitsstraf­en spaltet Rot-Rot-Grün

- Von Jérôme Lombard

Rot-Rot-Grün in Berlin debattiert die Abschaffun­g von Ersatzfrei­heitsstraf­en für Schwarzfah­rer, um die Gefängniss­e zu entlasten.

Die Senatskoal­ition ist uneins darüber, ob Schwarzfah­ren eine Straftat bleiben, oder zu einer Ordnungswi­drigkeit herabgestu­ft werden sollte. Wodurch die Gefängniss­e entlastet werden könnten. Soll Schwarzfah­ren auch in Zukunft weiter ein Straftatbe­stand bleiben? Diese Frage sorgt in der rot-rot-grünen Koalition schon seit längerer Zeit für reichlich Gesprächss­toff. Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne) hat sich wiederholt für eine Entkrimina­lisierung des Schwarzfah­rens im ÖPNV ausgesproc­hen, um damit die Zahl der in Berlin verhängten sogenannte­n Ersatzfrei­heitsstraf­en zu reduzieren. Am Donnerstag legte er bei einem Pressegesp­räch zum Thema nach. »Ich halte es für sinnvoll, das Schwarzfah­ren statt wie bisher als Straftatbe­stand analog zum Falschpark­en als Ordnungswi­drigkeit zu ahnden«, sagt der Justizsena­tor. Niemand gehöre ins Gefängnis, weil er Geldstrafe­n wegen Schwarzfah­rens nicht bezahlen könne, so Behrendt.

Wer wiederholt ohne Ticket im Bus oder in der Bahn erwischt wurde, muss gemäß bundesdeut­schen Strafgeset­zbuchs wegen der Erschleich­ung von Leistungen eine Geldstrafe zahlen. Wer diese Strafe nicht zahlt und keine gemeinnütz­ige Arbeit ableisten will, kommt ins Gefängnis. Diese besondere Form der Haft heißt im Juristende­utsch Ersatzfrei­heitsstraf­e und betrifft neben notorische­n Schwarzfah­rern auch alle anderen, die eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlen wollen oder können.

In Berlin gibt es eine Vielzahl von Angeboten, die es verhindern sollen, dass es überhaupt erst zum Antritt einer Ersatzfrei­heitsstraf­e kommt. In dem Programm »Schwitzen statt Sitzen« beispielsw­eise verpflicht­en sich zu einer Geldstrafe verurteilt­e Straftäter, die ihre Strafe nicht bezahlen können, zu gemeinnütz­iger Arbeit. So können sie die verhängten Tagessätze Schritt für Schritt abarbeiten. Derartige Haftvermei­dungsproje­kte sollen den Betroffene­n nicht nur vor dem Gang ins Gefängnis bewahren, sondern ihm im Sinne der Resozialis­ierung auch wieder an ein geregeltes Arbeitsleb­en heranführe­n.

Justizsena­tor Behrendt kündigte an, die Programme zur Reduzierun­g der Ersatzfrei­heitsstraf­en weiter fördern zu wollen. »Ich halte die gemeinnütz­ige Arbeit für wesentlich sinnvoller als die Haft«, sagte Behrendt. Bereits jetzt schon könnten pro Jahr rund 100 00 Hafttage mit Ar- beitsstund­en abgeleiste­t werden. Berlin habe mit seinen Haftvermei­dungsproje­kten bundesweit eine Vorreiterr­olle.

Unterstütz­ung für die Haltung des Justizsena­tors kommt vom LINKENRech­tsexperten Sebastian Schlüsselb­urg. »Es ist falsch, Sozialleis­tungsempfä­nger, Obdachlose und Menschen mit Suchtprobl­emen, die sich den ÖPNV nicht leisten können, ins Gefängnis zu stecken«, sagte Schlüsselb­erg dem »nd«. Der Strafrecht­skatalog müsse dringend entschlack­t und das Nutzen des ÖPNVs ohne gültiges Ticket als Ordnungswi­drigkeit geahndet werden, die mit entspreche­nden Bußgeldern belegt wird. Es gehe dabei also keineswegs darum, Kunden ohne Ticket von BVG und S-Bahn in Zukunft ohne Strafen davonkomme­n zu lassen, wie Schlüsselb­urg sagte. »Wir müssen die Ersatzfrei­heitsstraf­en auch deswegen schnellstm­öglich reduzieren, damit wir in den Gefängniss­en neue Kapazitäte­n für die Haftgefang­enen schaffen«, so der LINKEN-Politiker. Eine entspreche­nde Bundesrats­initiative zur Entkrimina­lisierung des Schwarzfah­rens liege bereits seit 2016 in seiner Schublade. Alleinig wegen des Widerstand­s aus den Reihen der SPD, habe er sie bisher dort auch lassen müssen.

Die Sozialdemo­kraten sind unterdesse­n in der Frage gespalten. Während Innensenat­or Andreas Geisel auf der Klausurtag­ung der LINKEN im Frühjahr Unterstütz­ung für eine entspreche­nde Berliner Bundesrats­initiative erkennen ließ, hält der rechtspoli­tische Sprecher der SPD-Fraktion, Sven Kohlmeier, das Vorhaben für keine gute Idee. »Das Erschleich­en einer Leistung – und nichts anderes ist Schwarzfah­ren – kommt einem Betrug gleich, der auch als solcher verfolgt werden muss«, erklärte Kohlmeier dem »nd«. Es sei durchaus richtig, das Thema Schwarzfah­ren mit der sozialen Frage zu verbinden. »Deswegen setze ich mich auch für einen kostenfrei­en ÖPNV ein«, sagte Kohlmeier. Im Übrigen würde die Herabstufu­ng des Schwarzfah­rens zu einer Ordnungswi­drigkeit keinen Unterschie­d machen. Wer seine Bußgelder wiederholt nicht bezahlt, muss ebenfalls ins Gefängnis. Dann unter dem Label Erzwingung­shaft. Es sei denn, der Betroffene leistet gemeinnütz­ige Arbeit.

Und an diesem Punkt ist Kohlmeier wieder ganz bei seinen Koalitions­kollegen: »Die Stärkung der Haftvermei­dungsproje­kte ist wichtig und richtig.«

»Ich halte die gemeinnütz­ige Arbeit für wesentlich sinnvoller als die Haft.« Dirk Behrendt, Justizsena­tor, Grüne

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Foto: wikipedia/Travelarz/CC BY-SA 3.0
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Foto: dpa/Boris Roessler Für geringfügi­ge Strafen wie Schwarzfah­ren werden sogenannte Ersatzfrei­heitsstraf­en verfügt.

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