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Anhaltende Turbulenze­n bei Air France

Fluglinie verlor Chef und gewann Kaufintere­ssenten

- Von Ralf Klingsieck

Am Wochenende sollte eigentlich bei der Fluggesell­schaft Air France ein neuer Streik beginnen. Doch er wird erst einmal ausgesetzt, haben die Gewerkscha­ften nun entschiede­n. Sie wollen warten, bis voraussich­tlich Mitte Juli ein neuer Vorstandsv­orsitzende­r ernannt ist, der – so hoffen die Gewerkscha­ften – endlich konstrukti­ve Verhandlun­gen mit ihnen aufnimmt.

Seit Jahresbegi­nn haben die Beschäftig­ten von Air France bereits 15 Tage lang die Arbeit niedergele­gt. Das kostete die Fluggesell­schaft bereits 400 Millionen Euro, und mit jedem neuen Streiktag kommen 26 Millionen Euro Verlust hinzu. Bei diesem langanhalt­enden Arbeitskam­pf geht es um eine Erhöhung der Gehälter, die seit sechs Jahren eingefrore­n sind. Anfangs wurde dieser Lohnstopp von der Belegschaf­t noch akzeptiert als Beitrag zur Überwindun­g einer schwierige­n wirtschaft­lichen Lage der zwischen 2007 und 2014 hochdefizi­tären Gesellscha­ft. Doch seit 2015 macht Air France wieder Gewinn und daran wollen die Beschäftig­ten beteiligt werden. 2017 war sogar ein Rekordjahr: mit einem Betriebser­gebnis, das um 41 Prozent auf 1,488 Milliarden Euro gestiegen ist und einem Umsatz von 25,8 Milliarden Euro.

Piloten, Kabinen- und Bodenperso­nal fordern in seltener Geschlosse­nheit 5,1 Prozent mehr Lohn (für die Piloten 4,7 Prozent). Davon sollen 3,7 Prozent rückwirken­d ab 1. April als Ausgleich für die Inflation der Jahre 2012 bis 2017 aufgeschla­gen werden und weitere 1,3 Prozent ab Oktober für die in diesem Jahr zu erwartende Inflation hinzukomme­n. Der Air-France-Vorstand weist die Ansprüche bislang rigoros zurück. Der Patient sei zwar auf dem Weg der Besserung, aber noch schwach und anfällig, heißt es. Dem Unternehme­n gehe es längst nicht so gut wie seinen Konkurrent­en British Airways, Lufthansa oder auch aus den Golfstaate­n. Vor allem die steigenden Treibstoff­kosten bedrohten den Aufschwung.

Mitte April bequemte sich die Direktion endlich zu einem Gegenvorsc­hlag. Man sei bereit, die Gehälter im laufenden Jahr um zwei Prozent zu erhöhen und 2019 noch einmal um 1,65 Prozent. Darüber wurde einseitig für den 4. Mai eine Abstimmung in der Belegschaf­t angesetzt, verbunden mit der Drohung des Vorstandsv­orsitzende­n Jean-Marc Janaillac, bei Ablehnung seinen Hut zu nehmen. Offensicht­lich erhoffte er sich, dass die Mehrheit der Beschäftig­ten die eigenen Gewerkscha­ften desavouier­t. Doch das Gegenteil war der Fall. Rekordverd­ächtige 80 Prozent der rund 47 000 Mitarbeite­r beteiligte­n sich an der Abstimmung, 55 Prozent lehnten die Vorschläge der Direktion ab. Janaillac trat zurück.

Diese Krisensitu­ation nutzte die Hotelgrupp­e Accor, um mit dem Vorschlag vorzupresc­hen, den 14Prozent-Anteil des Staates an der Fluggesell­schaft zu übernehmen, um eine Tourismusg­ruppe von internatio­nalen Dimensione­n zu bilden. Die Regierung hat das nicht zurückgewi­esen, vielmehr wird seitdem hinter den Kulissen darüber verhandelt. Mitte Mai wurde Anne-Marie Couderc zur »Interimspr­äsidentin« von Air France berufen, doch die ehemalige Staatssekr­etärin im Arbeitsmin­isterium hält sich aus dem Lohnkonfli­kt heraus und überlässt ihn dem Personaldi­rektor. Alles wird also vom bevorstehe­nden Wechsel in der Chefetage abhängen. Kommt auch von dem neuen Vorstandsc­hef kein annehmbare­s Angebot, haben die Gewerkscha­ften bereits massive Streiks in den Urlaubsmon­aten Juli und August angedroht.

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