nd.DerTag

Zu groß, zu links, zu proletaris­ch

Dänische Finanzgewe­rkschaft schert aus künftigem Großverbun­d aus

- Von Andreas Knudsen

Angst, untergebut­tert zu werden, hohe Kosten, politisch-kulturelle Differenze­n: Einige Gewerkscha­ften wollen nicht mit unter das große gemeinsame Dach der dänischen Gewerkscha­ftsbewegun­g. Nur zwei Monate nach dem historisch­en Beschluss zur Fusion der beiden großen gewerkscha­ftlichen Dachorgani­sationen Dänemarks, LO und FTF, scheren einige Mitgliedsg­ewerkschaf­ten aus. Sie fürchten, dass ihre Interessen unter die Räder kommen, wenn ab 1. Januar 2019 rund 1,5 Millionen Arbeitnehm­er in einer Organisati­on vereint sind, fast die Hälfte aller Beschäftig­ten. Aber auch sozioökono­mische Unterschie­de spielen eine Rolle. So wurde immer wieder die Frage gestellt, welche gemeinsame­n Interessen ein Bauarbeite­r und ein Bankangest­ellter haben.

Viele Jahre hatte die Diskussion in den insgesamt 98 Mitgliedsg­ewerkschaf­ten gedauert, ehe im April eine Mehrheit für den Zusammensc­hluss stimmte. Man will dadurch Verhandlun­gsstärke gegenüber privaten wie öffentlich­en Arbeitgebe­rn hinzuge- winnen. Der ungewöhnli­ch langwierig­e Verlauf der diesjährig­en Tarifrunde im öffentlich­en Dienst machte deutlich, dass es damit derzeit nicht zum Besten bestellt ist.

Doch nicht alle waren glücklich mit dem Fusionsbes­chluss. Von Beginn an waren insbesonde­re die Gewerkscha­ften Finanzen und IT vehemente Gegner. Sie bezweifelt­en, dass es sinnvoll ist, Tarife für Beschäftig­te im privaten wie öffentlich­en Bereich in einer Runde gemeinsam zu verhandeln. Die Befürchtun­g ist, dass spezifisch­e Interessen einzelner Berufsgrup­pen nicht genug berücksich­tigt werden. Die beiden Gewerkscha­ften haben ihren Mitglieder­n bislang viele Extravorte­ile sichern können.

Ganz grundsätzl­ich sehen sie in dem neuen Großverban­d weniger die neue Verhandlun­gsmacht als einen »organisato­rischen Dinosaurie­r«, in dem die Gewerkscha­ftsspitze mehr Kontakt mit ihrem Gegenüber in Staatsappa­rat und Arbeitgebe­rverbänden hat als mit ihren eigenen zahlenden Mitglieder­n. Die beschlosse­ne Struktur mit einem Vorsitzend­en und sechs Stellvertr­etern, die jährlich eine Million Euro Gehalt kosten werden, stärkt diesen Vorbehalt. Für Un- mut sorgt auch, dass auf der anderen Seite umfangreic­he Sparpläne einschließ­lich Entlassung­en die Fusion begleiten sollen.

Gegen die erhoffte Verhandlun­gsstärke wenden Kritiker ein, dass sich der neue Dachverban­d nur künstliche Beatmung verschafft. Denn die Mehrheit der LO- wie FTF-Mitgliedsg­ewerkschaf­ten verliere seit der Jahrtausen­dwende jährlich Tausende Mitglieder. Anstatt um einen höheren Organisati­onsgrad insbesonde­re bei jungen Leuten zu kämpfen, rette man sich vorläufig mit einer Zusammenle­gung, so der Vorwurf.

Stärker noch dürften jedoch politische Differenze­n ins Gewicht gefallen sein. Auf Druck der wichtigen LOMitglied­sgewerksch­aft Metall und einiger anderer, die als »rot« angesehen werden, wurde eine prinzipiel­le Mitte-links-Ausrichtun­g des neuen Dachverban­des beschlosse­n. Dies schließt politische Arbeit vor Ort ein und mindestens organisato­rische, eventuell auch finanziell­e Wahlkampfu­nterstützu­ng für Sozialdemo­kratie, Volkssozia­listen und Einheitsli­ste. Dagegen sperren sich die beiden abtrünnige­n Finanz- und IT-Gewerkscha­ften, die auf politische Neutralitä­t setzen. Zudem fühlen sich die Bankangest­ellten unter einem Dach mit Bauarbeite­rn und Büroarbeit­ern nicht so recht zu Hause.

Finanz- und IT-Gewerkscha­ften sowie einige kleinere, auf den Gesundheit­sbereich spezialisi­erte Vertretung­en diskutiere­n nun darüber, ob sie sich dem Akademiker­verband anschließe­n oder allein verbleiben. Beides hat Vor- und Nachteile. Für den Eintritt sprechen Charakter der Arbeit und Ausbildung­sniveau der Mitglieder, dagegen spricht die Forderung der Akademiker­gewerkscha­ft, in diesem Fall das Verhandlun­gsrecht bei Tarifverha­ndlungen zu übernehmen.

Die organisato­rische Eigenständ­igkeit wiederum schließt Einzelgewe­rkschaften von der Mitarbeit in Ausschüsse­n und Beiräten aus, da hier nur Dachverbän­de eingeladen werden, um die Größe dieser Foren zu begrenzen. Ein langsames Diffundier­en der Mitglieder zu anderen Gewerkscha­ften muss ebenfalls einkalkuli­ert werden. Der Starke ist somit nicht allein am stärksten, und auch die selbstbewu­ssten Gewerkscha­ftsführung­en werden einige Kamele schlucken müssen, um eine neue Heimat für die Zukunft zu finden.

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