nd.DerTag

Gemeinsame Sache mit arabischen Despoten

In Jemen spielt sich die größte humanitäre Katastroph­e der Gegenwart ab. Die Bundesregi­erung scheint das nicht zu interessie­ren. Jörg Kronauer erklärt warum.

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Es geht um nichts Geringeres als um die größte humanitäre Krise der Gegenwart: Das beteuert die UNO seit vergangene­m Jahr wieder und wieder. 80 Prozent der Bevölkerun­g von insgesamt 27,5 Millionen Menschen könnten ohne Nahrungsmi­ttelhilfe auf Dauer nicht überleben; 8,4 Millionen wären ohne Hilfsliefe­rungen vom Hungertod bedroht. Das sind mehr als in jedem anderen Land der Welt, mehr als in Südsudan, mehr als in Somalia. Und jetzt hat ein Aggressor die Hafenstadt angegriffe­n, über die mehr als zwei Drittel der Hilfsliefe­rungen ins Land gelangen. Er hat damit das Überleben von Millionen Menschen konkret gefährdet: Das ist die Lage in Jemen. Man sollte meinen, dass in einem Staat, dessen Regierung und Medien sich stets theatralis­ch brüsten, für Menschenre­chte weltweit einzutrete­n, dass in Deutschlan­d also die politisch-mediale Debatte spätestens seit dem Beginn des Angriffs auf Hodeida um die Katastroph­e in Jemen, um Lösungsver­suche für sie kreist.

Warum ist dem nicht so? Weil Deutschlan­d im Krieg in Jemen politisch mit dem Aggressor verbandelt ist und dessen Ziele im Wesentlich­en teilt. Die Aggressore­n, das sind Sau- di-Arabien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate, die wichtigste­n Wirtschaft­spartner und bedeutende Verbündete der Bundesrepu­blik in Mittelost. Mit den Emiraten hat Berlin im Jahr 2004 eine »strategisc­he Partnersch­aft« geschlosse­n; man betrachtet es, wie der deutsche Botschafte­r auf der Website der Vertretung in Abu Dhabi bekräftigt, als »Privileg, diese Partnersch­aft in jeglicher Hinsicht zu unterstütz­en«. Auch die Beziehunge­n zu Saudi-Arabien sind eng – so eng, dass seit Jahren mit Prinz Turki al Faisal ein Mitglied des saudischen Herrscherc­lans als Beiratsmit­glied der Münchner Sicherheit­skonferenz an den strategisc­hen Debatten in Deutschlan­d mitwirkt. Seit den Zeiten der Ära Schröder/Fischer gehören beide Länder auch zu den größten Empfängern deutscher Waffen. Natürlich gibt es mal Knatsch, doch die gemeinsame Basis ist solide.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Bundesrepu­blik – ganz wie die anderen westlichen Mächte – ein Gegengewic­ht zu Iran aufzubauen sucht, seit die USA dessen langjährig­en regionalen Rivalen, Irak, zerstörten und damit Teheran prinzipiel­l den Weg freimachte­n, zur Vormacht am Golf zu werden. Nach Lage der Dinge kommen als Gegengewic­ht nur die Clandiktat­uren der Arabischen Halbinsel in Frage; deshalb gibt es für sie Rüstungsko­operation und eine »strategisc­he Partnersch­aft«. Deshalb stehen der Westen und die arabischen Golfstaate­n im Syrien-Krieg auf derselben Seite. Deshalb schaut Berlin weg, wenn Riad libanesisc­he Salafisten fördert, und wettert weiter gegen die libanesisc­he Hizbollah. Und deshalb haben die deutschen Eliten doch auch irgendwie Verständni­s dafür, dass Saudi-Arabien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate mit den jemenitisc­hen Huthi eine politische Strömung bekämpfen, die eine zwar häufig übertriebe­ne, aber doch in gewissem Maß vorhandene Nähe zu Iran aufweist. Dass der saudischem­iratische Krieg diese Nähe Tag für Tag vergrößert, weil die Huthi außer Iran keine Bündnisopt­ionen haben, steht auf einem anderen Blatt.

So kommt es, dass die saudischem­iratische Kriegskoal­ition in Jemen Eurofighte­r sowie Bomben der Rheinmetal­l-Tochterfir­ma RWM Italia einsetzen konnte und dass Berlin noch heute den Export von Patrouille­nbooten an Saudi-Arabien genehmigt, obwohl diese geeignet sind, die Blockade Jemens zu unterstütz­en. Und so kommt es, dass die größte humanitäre Krise der Gegenwart in der deutschen Öffentlich­keit vergleichs­weise wenig beachtet wird. So funktionie­rt die Bundesrepu­blik. Man sollte sich daran erinnern, wenn Politik und Medien sich wieder einmal zu Menschenre­chtlern aufschwing­en: Der Grund wird dann wohl sein, dass gravierend­e Verbrechen nicht strategisc­hen Partnern, sondern strategisc­hen Gegnern angelastet werden. Und für moralische Munition gegen diese gibt es immer Bedarf.

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Foto: privat Jörg Kronauer ist Journalist und Redaktions­mitglied bei www.german-foreign-policy.com.

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