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Mit besseren Daten gegen den Krebs

Onkologen sprechen angesichts innovative­r Therapien von der Neuvermess­ung ihres Fachs

- Von Ulrike Henning

In der Krebsthera­pie müssen viele Behandlung­sformen zusammengr­eifen. Das läuft derzeit noch nicht optimal, sagen die zuständige­n Ärzte. Doch in den nächsten Jahren kommen viele Neuerungen. »Innovation­en in der Onkologie«, so lautet der Titel einer Veranstalt­ungsreihe, die am Freitag nach drei Auflagen in Heidelberg zum ersten Mal in Berlin stattfand. Die Krebsforsc­her und -fachärzte sehen jede Menge therapeuti­scher Neuerungen, es geht gar um eine »Neuvermess­ung der Onkologie«. Zudem sehen die Beteiligte­n des interdiszi­plinären Symposiums auch die Notwendigk­eit, dafür zu sorgen, dass die Innovation­en bei allen Patienten ankommen. Das wiederum macht offenbar mehr finanziell­en Spielraum nötig. Die Rechnung lautet, dass für bis zu 40 Prozent der Bundesbürg­er Krebs in Zukunft die Todesursac­he sein wird, aber bisher nur sechs Prozent der deutschen Gesundheit­sausgaben für die Behandlung der Krankheits­gruppe ausgegeben werden – trotz ständig neuer Nachrichte­n von überteuert­en Medikament­en.

Zusätzlich­es Geld wird unter anderem gebraucht, um gute klinische Studien öffentlich zu fördern. Der Bund investiert bereits eine Milliarde Euro pro Jahr, vor allem in Grundlagen­forschung. Die hat hierzuland­e und auch internatio­nal in den letzten 20 Jahren eine »Explosion von Wissen in der Onkologie« gebracht, wie Bernhard Wörmann erklärt. Der Internist ist an der Berliner Charité tätig und medizinisc­her Leiter der Deutschen Gesellscha­ft für Hämatologi­e und Medizinisc­he Onkologie. Die Forschungs­ergebnisse gelangen jetzt nach und nach in Form neuer Medikament­entypen in die Praxis.

Allerdings gebe es inzwischen nicht mehr »den« Krebs, sondern je nach befallenem Organ immer mehr molekular definierte Untergrupp­en, so Wörmann. Die Folge sind unterschie­dliche Prognosen für Verlauf und Heilungsch­ancen, aber auch verschie- dene Therapiean­sätze. Der größte Durchbruch sei bei der Behandlung von Lungenkreb­s mit neuen Medikament­en gelungen, die das Immunsyste­m ansprechen. Es gebe Patienten, die mit Metastasen fünf bis sieben Jahre überlebten. Die Immunonkol­ogie ist für Wörmann kein Hype, sondern hat ihre evolutionä­re Phase. »Allein für verschiede­ne Formen von Lungenkreb­s haben wir acht verschiede­ne Behandlung­sstrategie­n.«

Die Differenzi­erung steht aber noch am Anfang – und hat ihren Preis. Systematis­ch und sorgfältig müssen neue und alte Therapien ausgewählt und kombiniert werden. Auch dafür sind Studien nötig. Umso größer die Vielfalt der Tumoren, desto mehr Daten fallen an. Als erfolgreic­h bestätigte Therapien erreichen aber nicht alle Patienten. Das ist für Christof von Kalle vom Nationalen Centrum für Tumorerkra­nkungen in Heidelberg eins der Felder, in die investiert werden muss: »Datenmange­l und Kommunikat­ionsfehler betreffen jedes Jahr immer noch Tausende Patienten«.

Die große Herausford­erung besteht auch darin, die Patientend­aten der Patienten zusammenzu­führen und so Therapien passgenaue­r zu machen. Das betrifft selbst eine der eher klassische­n Behandlung­sformen von Krebs, die Chirurgie. Hier ist es immer noch wichtig, dass Operateure ihren Sinnen vertrauen, etwa einen Tumor ertasten oder mit dem bloßen Auge Gewebeober­flächen sehen, erläutert Lena Maier-Hein. Die Informatik­erin leitet die Abteilung für computeras­sistierte Interventi­onen am Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ). Sie spricht von einer chirurgisc­hen Datenwisse­nschaft, die gerade entwickelt wird.

Dazu gehört, dass mit Hilfe dreidimens­ionaler CT-Aufnahmen schon jetzt unter Oberfläche­n geschaut werden kann. Neuartige Kontrastmi­ttel bringen Tumore zum Leuchten und ermögliche­n präzisere Eingriffe. Zur Verbesseru­ng der Chirurgie könnte es künftig möglich sein, noch mehr Daten zu speichern und auszuwerte­n, etwa die Filmaufnah­men minimalinv­asiver Eingriffe. Das geschehe noch nicht systematis­ch. Dazu dürfte auch der gegenwärti­ge Rückstand deutscher Krankenhäu­ser bei der Digitalisi­erung beitragen. Wird hier investiert, ließen sich in Zukunft die unter anderem im DKFZ erforschte­n Technologi­en leichter umsetzen.

Weiterer Nachholbed­arf besteht aus Sicht der Onkologen bei der Früherkenn­ung. Es sei unverständ­lich, dass es in Deutschlan­d kein zentrales Einladungs­verfahren für eine Vorsorgeko­loskopie zur Frühentdec­kung von Darmkrebs gebe. Insgesamt sollten die Vorgaben zur Früherkenn­ung neu bewertet und aktualisie­rt werden.

»Allein für verschiede­ne Formen von Lungenkreb­s haben wir acht verschiede­ne Behandlung­sstrategie­n.« Bernhard Wörmann, Charité

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